Die ArbeitnehmerInnen des Versandhändlers Amazon kämpfen seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen. Über ein System, das die Arbeitskraft Mensch bis zum letzten Tropfen auswringt.
Vor etwas mehr als einem Vierteljahrhundert wurde Amazon gegründet –seither ist das Unternehmen extrem gewachsen, gehört zu den weltweit erfolgreichsten Firmen, sein Besitzer Jeff Bezos gilt als einer der reichsten Menschen überhaupt. Ursprünglich ein Internetversand-Buchhandel, ist Amazon zu einem Online-Marktplatz für Waren aller Art und erfolgreichen Streaming-Portal gewachsen.
Millionenschwere Wölkchen, wohltemperierte Roboter
Außerdem werden als AWS (Amazon Web Services) u.a. Server und Cloud-Dienste höchst profitabel an andere Unternehmen vermietet. Selbst die direkte Konkurrenz wie Netflix oder Zalando nutzen AWS. Damit generiert Amazon freilich massig Geld: Im Vergleich zum Vorjahresquartal ist der Umsatz im dritten Quartal 2020 um rund 37 Prozent gestiegen – von rund 69,98 auf 96,15 Milliarden US-Dollar!
Mega-Erfolg und Giga-Wachstum basieren auf massivem Druck und Schraubstock-Technik– auf allen Ebenen. Amazon gilt als schlechter Arbeitgeber und zwar weltweit. Die Skandale sind mannigfaltig: den Beschäftigten bleibt nicht einmal genug Zeit für einen Toiletten-Gang (wer zu oft muss, der fliegt). Die lückenlose Überwachung der MitarbeiterInnen (auch durch einen Algorithmus, der die Arbeit kontrolliert und auswertet) gehört dazu. Einem Bericht des britischen „Guardian“ zufolge, haben in Großbritannien Beschäftigte einer Amazon-Lagerhalle 6,7 Sekunden Zeit, um ein Produkt aus einer roboterartigen Maschine zu entnehmen und es korrekt einzusortieren. Und da scheint es nur noch konsequent, die Bitte der Belegschaft eines New Yorker Amazon-Lagers nicht zu erfüllen: der großen Hitze wegen hatten die Menschen um Kühl-Ventilatoren ersucht. Das Management verweigerte mit der Begründung, die Ventilatoren könnten die optimalen Umgebungstemperaturen der Roboter beeinflussen.
Amazon lässt die Aktivitäten seiner Beschäftigten offenbar europaweit von einer Detektei überwachen, schleust sogar Spione ein – dadurch konnte etwa ein Streik im Amazon-Lager in Barcelona im Herbst 2019 bespitzelt werden. Amazon behindert Gewerkschaftsaktivitäten und versucht weltweit Betriebsratsarbeit zu unterbinden.
Unterhalb, niedriger, Sub-Sub
Auch in Österreich gestaltet sich die Lage beim Online-Versandriesen nicht rosiger. Bereits im Sommer 2019 hat die Gewerkschaft GPA gemeinsam mit einem Amazon-Arbeiter im Verteilzentrum Großebersdorf unmenschliche Arbeitsbedingungen aufgezeigt. Die Vorwürfe reichen von der Überwachung der Belegschaft über Disziplinierungsmaßnahmen bis hin zu erniedrigenden Vorschriften, denen die Beschäftigten ausgesetzt sind.
Nun wurden Details einer Überprüfung aus dem Februar 2020 bekannt: „Ich kann mich an keine Kontrolle erinnern, bei der wir auf derartig viele Gesetzesübertretungen gestoßen sind“, erklärte Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpolizei im Finanzministerium gegenüber Medien.
„Die Verantwortung darf nicht auf die ArbeitnehmerInnen abgewälzt werden. Für die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen sind die Arbeitgeber – allen voran Amazon selbst – verantwortlich“.
Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA
Die kontrollierten Firmen stellen im Auftrag von Amazon Produktsendungen im Großraum Wien zu, offiziell hat Amazon nur 13 Vertragspartner. Was von der GPA jedoch schon länger vermutet und aufgezeigt wurde, ist nun bestätigt worden: die Aufträge wurden an Subunternehmen weitergegeben, nicht selten arbeiten Menschen als Scheinselbstständige. Offiziell sind sie Einzelunternehmer, die Arbeitszeitgesetze gelten nicht und 12-Stunden-Schichten sind ein Normalzustand. Bei der Razzia vom Februar 2020 traf die Finanzpolizei auf 133 Amazon-Dienstleister – darunter 96 Subfirmen, weitere 24 Sub-Subfirmen und 2.416 DienstnehmerInnen. Das jedenfalls hat die „Entwirrung des Geflechts aus Unternehmen, Sub- und weiterer Sub-Sub-Unternehmen“ bisher ergeben, erklärt die Finanzpolizei.
Konkret wurden 468 Übertretungen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, 144 Übertretungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz, zwölf Übertretungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, drei Übertretungen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz sowie eine Übertretung der Gewerbeordnung festgestellt. Die Behörde beantragte Strafen in der Höhe von fast 770.000 Euro, Forderungspfändungen von rund 325.000 Euro und sie stellte gut 88.000 Euro sicher.
Keine schöne neue Welt
„Offenbar hat sich im Bereich der privaten Paketzustellung ein System der Umgehung von arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen entwickelt“, erklärt Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA. Die GPA begrüßt die behördliche Prüfung: „Nun geht es darum, diese Machenschaften dauerhaft zu beenden“, so Teiber. Dabei muss der Konzern Amazon genauso in die Pflicht genommen werden wie die Subunternehmen, fordert die GPA. Die staatlichen Behörden werden aufgerufen, öfter zu kontrollieren.
Die GPA-Vorsitzende: „Die Verantwortung darf nicht auf die ArbeitnehmerInnen abgewälzt werden. Für die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen sind die Arbeitgeber – allen voran Amazon selbst – verantwortlich“. Dass dieses gesetzwidrige Dumpingsystem einen Wettbewerbsvorteil im Konkurrenzkampf ermöglicht, ist umso bedenklicher.
Nicht nur der Scheinselbstständigkeit soll der Kampf angesagt werden, auch ein überwiegender Anteil der Beschäftigten im Amazon-Lager ist nicht direkt beim Unternehmen angestellt – es sind Leiharbeitskräfte. GPA-Vorsitzende Barbara Teiber: „Gemeinhin werden Leiharbeiter von Firmen engagiert, um Spitzen abzudecken, aber nicht für die Regelarbeit“. Um einen derartigen Missbrauch in Zukunft zu unterbinden, fordert die GPA von der Regierung: der Anteil an Leiharbeitskräften in einem Unternehmen muss auf 50 Prozent beschränkt werden. „Außerdem sollen Leiharbeitskräfte nach 12 Monaten, sofern sie es wünschen, fix angestellt werden.“
Her mit der echten Digitalsteuer!
Wie andere Online-Giganten zahlt auch Amazon de facto keine Gewinnsteuern in Österreich. Die GPA fordert eine echte Digitalsteuer – anders als jene von der Regierung präsentierte und bloß umgestaltete Werbeabgabe. Die echte Digitalsteuer umfasst nicht nur Umsätze aus der Online-Werbung (wie derzeit), sondern auch Erträge aus dem Verkauf von Nutzerdaten und aus Online-Plattform-Gebühren. GPA-Vorsitzende Teiber: „Da eine Gewinnbesteuerung national nicht möglich ist, schlagen wir eine fiktive Gewinnbesteuerung von fünf Prozent des Umsatzes vor“. Das würde dem österreichischen Staat in etwa 130 Millionen Euro jährlich bringen. Ferner fordert die GPA die Einführung der digitalen Betriebsstätte – auch wenn Digitalkonzerne in Österreich keine greifbare Unternehmensniederlassung unterhalten, so müssen sie trotzdem Steuern zahlen. Nach Schätzungen der Uni Wien würde Österreich dadurch etwa 300 Millionen Euro pro Jahr einnehmen. Summen, die benötigt werden – immer und gerade in dieser wirtschaftlich extremen Zeit.