Die Beschäftigten des 2020 neu eröffneten Amazon-Logistikzentrums in Alabama versuchten gemeinsam mit der Gewerkschaft RWDSU den ersten Unternehmensstandort in den USA gewerkschaftlich zu organisieren. Amazon reagierte darauf mit einer gewerkschaftsfeindlichen Kampagnen-Maschinerie, die auf Einschüchterung der MitarbeiterInnen und Unwahrheiten aufgebaut war.
Dem Unternehmen gelang es dadurch, eine Gewerkschaftsgründung am Standort zu verhindern. US-Arbeitsrechtsexperten fordern nun rasche Reformen.
Amazon suchte „billigsten“ Standort für neues Logistikzentrum
Amazon stellte im letzten Jahr weltweit über 437 000 neue Arbeitskräfte ein. Im März 2020 nahm das Unternehmen ein Logistikzentrum in Bessemer, US-Bundesstaat Alabama, in Betrieb. Amazon hat sich dabei bewusst für einen Standort im wirtschaftlich schwachen Süden der USA entschieden. Niedrige gewerkschaftliche Organisationsraten sowie eine schwach ausgeprägte arbeitsrechtliche Absicherung der Beschäftigten machen den Standort für das Unternehmen besonders attraktiv. Obwohl Amazon seinen Beschäftigten mit 15 US-Dollar zumindest das Doppelte des vorgeschriebenen Mindestlohnes in Alabama pro Stunde bezahlt, sind die Arbeitsbedingungen im Logistikzentrum in Bessemer genau so prekär wie an anderen Unternehmensstandorten in den USA und Europa.
Überwachung, hoher Arbeitsdruck und mangelhafte Gesundheits- und Sicherheitsvorkehrungen
Amazon überwacht seine Beschäftigten systematisch und setzt diese dadurch auch enorm unter Druck. So wird beispielsweise gemessen, wie lange LagerarbeiterInnen brauchen, um Bestellungen zusammenzustellen und zu verpacken. Für Pausen und insbesondere für Toilettenpausen werden den MitarbeiterInnen strikte Zeitvorgaben gemacht. Diejenigen, die diese Vorgaben überschreiten, bekommen Verwarnungspunkte.
Aufgrund der Corona-Pandemie stehen vor allem die mangelhaften Hygiene-, Gesundheits- und Sicherheitsvorkehrungen in der Kritik. MitarbeiterInnen beklagen fehlende Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel. Notwendige Hygienemaßnahmen, wie das Händewaschen oder das Reinigen von Arbeitsmitteln, sind aufgrund der vorgegebenen Erfüllungsquoten kaum möglich. Darüber hinaus berichten Beschäftigte über verwirrende Regelungen bei Krankheitsfällen und der Weigerung des Unternehmens, Krankenstände, hervorgerufen durch das Corona-Virus, zu entlohnen. Alleine in den USA haben sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie mehr als 20 000 Beschäftigte in Amazon Lagern mit COVID-19 infiziert.
Beschäftigte starteten Initiative zu Gewerkschaftsgründung am Standort in Alabama
Aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen sind die MitarbeiterInnen des Standortes in Bessemer bereits im Sommer 2020 an die US-Handelsgewerkschaft RWDSU herangetreten, um Unterstützung bei der Gründung einer betrieblichen Gewerkschaft zu bekommen.
In den USA braucht es im Vorfeld die Unterstützung von mindestens 30 Prozent der Belegschaft eines Betriebes, um Gewerkschaftswahlen überhaupt einleiten zu können. Bei der Wahl selbst, und um Vertretungsrechte für Verhandlungen zu bekommen, müssen mindestens 50 Prozent der Beschäftigten für eine betriebliche Gewerkschaftsgründung stimmen.
Bis Jahresende 2020 ist es gelungen, die Unterstützungserklärungen von mehr als 2000 Beschäftigten (rund 1/3 der Belegschaft) für eine Gewerkschaftswahl zu sammeln.
Amazon reagierte darauf mit gewerkschaftsfeindlicher Kampagnen-Maschinerie
Amazon startete daraufhin eine groß angelegte Gegenkampagne, um eine gewerkschaftliche Organisierung am Standort zu verhindern. Unterstützung holte sich das Unternehmen dabei von hoch bezahlten Beraterfirmen, die auf Antigewerkschaftskampagnen spezialisiert sind. Alleine in Alabama budgetierte Amazon mehrere Tausend US-Dollar pro Tag und Person für sogenannte „Union Busters“, die gegen die Gewerkschaftskampagne vorgingen.
Die Beschäftigten wurden daraufhin mit gewerkschaftsfeindlichen Textnachrichten überflutet und waren gezwungen, sich Vorträge anzuhören, in denen eine Gewerkschaftsgründung am Standort als Nachteil für sie dargestellt wurde. Im Mittelpunkt der Unternehmenskampagne standen vor allem die Gewerkschaftsbeiträge. Bewusst außer Acht gelassen wurde dabei die Tatsache, dass aufgrund geltender Gesetze in Alabama die Beschäftigten nicht einmal verpflichtet wären, einen Gewerkschaftsbeitrag zu bezahlen.
Am Betriebsgelände wurden Plakatwände mit der Aufschrift „Gewerkschaften können es nicht. Aber wir.“ angebracht und sogar die Toiletten der MitarbeiterInnen wurden mit Antigewerkschaftspropaganda zugepflastert. Auch die Ampelschaltung bei der Werkseinfahrt wurde in kürzere Intervalle umgestellt, damit es die GewerkschaftsaktivistInnen noch schwieriger hatten, mit den Beschäftigten in Kontakt zu treten.
Einschüchterungen haben sich bezahlt gemacht – Beschäftigte stimmen gegen Gewerkschaftsgründung
Per Gerichtsbeschluss versuchte Amazon noch erfolglos die Stimmabgabe in Wahllokalen am Unternehmensstandort zu erzwingen. Von Anfang Februar bis Ende März stimmten die Beschäftigten dann mittels Briefwahl über die betriebliche Gewerkschaftsgründung ab.
Nur etwas mehr als die Hälfte der circa 6000 Beschäftigten haben ihre Stimme überhaupt abgegeben. 1798 Beschäftigte stimmten letztlich gegen eine Gewerkschaftsgründung, 738 dafür. Amazon selbst hat mehr als 500 abgegebene Stimmen beanstandet und als ungültig gewertet. Der Gewerkschaft bleibt es somit weiterhin verwehrt, auf Standortebene mit Amazon zu verhandeln.
RWDSU hat unterdessen jedoch bereits angekündigt, die Vorgehensweise des Unternehmens keinesfalls zu dulden und das Ergebnis dieser Wahl beim „National Labour Relations Board“ (Bundesarbeitsaufsichtsbehörde) anzufechten. Antigewerkschaftskampagnen, die noch dazu von Einschüchterungen und Unwahrheiten geprägt sind, dürfen nicht erfolgreich sein.
Kaum Schutz für GewerkschaftsaktivistInnen durch US-Arbeitsrecht
Die derzeitigen Bestimmungen im US-Arbeitsrecht ermöglichen es Unternehmen, Betriebsgewerkschaften und deren AktivistInnen praktisch ohne rechtliche Konsequenzen zu bekämpfen. Die Arbeitgeber haben daher ihre Bemühungen enorm verstärkt, Beschäftigte daran zu hindern, sich gewerkschaftlich zu organisieren bzw. betriebliche Vereinbarungen zu verhandeln. Drei von vier Unternehmen in den USA stellen gewerkschaftsfeindliche Berater ein und geben jährlich insgesamt fast eine Milliarde Dollar aus, um gewerkschaftliche Organisierungsbemühungen zu unterdrücken.
US-Arbeitsrechtexperten meinen zum Fall Amazon in Alabama, dass der Rückgang der Unterstützung bei den Beschäftigten für eine Gewerkschaftsgründung die Macht zeige, die die Arbeitgeber gegenüber den Gewerkschaften in Form von Kampagnen aufbauen können. In der Praxis zeigt sich das vor allem durch die verpflichtende Teilnahme an Versammlungen, bei denen Stimmungsmache gegen die Gewerkschaften betrieben wird. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Gewerkschaftsgründung müssen sich daher unbedingt ändern. Stuart Appelbaum, Präsident der Gewerkschaft RWDSU meint dazu: „Unser System ist kaputt. Amazon hat das voll ausgenutzt.“ Ohne eine Reform des US-Arbeitsrechtes können sich die Beschäftigten in den USA kaum organisieren.
Gesetzespaket zum Schutz des Vereinigungsrechts wird von Republikanern blockiert
Um die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Gewerkschaften in den USA zu verbessern, hat die Demokratische Partei bereits einen Gesetzesvorschlag im Kongress (US-Abgeordnetenhaus) eingebracht. Der sogenannte „PRO-Act“ würde dem Schutz des Vereinigungsrechts von Beschäftigten dienen. Darin sind finanzielle Strafen für Betriebe vorgesehen, die eine gewerkschaftliche Organisierung durch Kündigungen Beschäftigter oder andere Schikanen zu verhindern versuchen. Unternehmen, die sich weigern mit den Betriebsgewerkschaften Vereinbarungen auszuhandeln, wären darüber hinaus gezwungen, zurück an den Verhandlungstisch zu kehren und einen Abschluss zu erzielen. Das Gesetzespaket fand im Repräsentantenhaus zwar bereits Unterstützung, wird jedoch von der Republikanischen Partei im Senat blockiert.