Pflegekräfte am Limit: „Bald ist Schicht im Schacht!“

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Als sich Österreich mit Ausbreitung des Corona-Virus an seine „LeistungsträgerInnen“ erinnerte, wurde eifrig von den Balkonen applaudiert. Die Beklatschten empfanden das eher als Zumutung denn als Motivation.

„Ich bin von den Ergebnissen nicht überrascht, leider“, sagt Eva Scherz, Kollektivvertragsverhandlerin des Bereichs Sozialwirtschaft der GPA. Bestehende Probleme haben sich verschärft, Neue sind hinzugekommen – so lautet, kurz zusammengefasst, das Ergebnis einer Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) zur Arbeitssituation von Langzeitpflegekräften während der zweiten Corona-Welle im Herbst 2020. Arbeitslose in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren könnte unmittelbar Abhilfe schaffen, fordern ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnen-Verbände.

Zur Ausgangslage

Die ökonomischen und psychologischen Folgen der Corona-Pandemie betreffen Frauen gesamtgesellschaftlich härter als Männer. Laut einer Studie der Donau Uni Krems leiden Frauen – vor allem seit dem 2. Lockdown im Herbst – häufiger an Depressionen, Angststörungen und Panikattacken. Bestehende Ungleichheiten treten in der Corona-Pandemie noch deutlicher zutage – geringeres Einkommen sowie die Ungleichverteilung unbezahlter Arbeit, verschärft durch geschlossene Betreuungseinrichtungen und Homeschooling. Gleichzeitig profitieren Frauen von den staatlichen Corona-Hilfen deutlich weniger als Männer, wie Momentum-Ökonomin Anna Hehenberger unlängst im Kompetenz-Interview kritisierte.
Und schon vor der Pandemie ermittelte der Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer OÖ große Unzufriedenheit in der Pflegebranche, einem Beruf mit überdurchschnittlichem hohen Frauenanteil. Nur rund ein Viertel der AltenpflegerInnen kann sich laut Erhebung vorstellen, diesen Beruf auch bis zur Pension auszuüben. Zum Vergleich: bei Bankangestellten sind es 80 Prozent.

„Ich kann nicht mehr!“

Ein Team aus drei Studierenden der WU Wien untersuchte im November vergangenen Jahres, wie sich die Situation für Pflegepersonal in der Langzeitpflege veränderte. Dazu führten sie Interviews in einer gemeinnützigen Einrichtung in Wien und in sechs Kärntner Privateinrichtungen. Insgesamt haben sich bereits zuvor bestehende „Stressoren“ – wie Personalmangel, physische und psychische Belastungen und mangelnde monetäre wie öffentliche Wertschätzung – während der Pandemie noch einmal drastisch verschärft, betonen die StudienautorInnen.

„Wir wussten was auf uns zukommt, aber insgesamt waren die Ergebnisse dann doch ärger als erwartet“

Jana Stefan

Hinzugekommen sind neue Stressoren, die den Arbeitsalltag erschweren, wie das mehrdeutige und teils verwirrende Informationsmanagement seitens Regierung und Vorgesetzten. Außerdem brachte die Pandemie zeitaufwendige Mehrarbeit mit sich, wie das An- und Ablegen von Schutzausrüstung oder die seelische Fürsorge für KlientInnen, weil Besuche nur eingeschränkt erlaubt waren.

„Wir wussten was auf uns zukommt, aber insgesamt waren die Ergebnisse dann doch ärger als erwartet“, erzählt die Co-Autorin der Studie Jana Stefan auf Nachfrage. In den Interviews beobachtete sie, dass ihre GesprächspartnerInnen entweder wütend oder ausgelaugt, ja resignierend wirkten, „der Großteil sagte: ‚Ich kann nicht mehr!‘“.

Balkonklatschen: „inkonsequentes, verärgerndes Getue“

Für eine erhebliche Mehrbelastung sorgte die Außerkraftsetzung von Arbeitszeitregelungen durch die Regierung, was die Einführung von Zwölf-Stundenschichten ermöglichte. Die Interviewten berichteten außerdem, sie seien in manchen Fällen vom Arbeitgeber gebeten worden, trotz positiven Corona-Tests ihre Schicht anzutreten. Laut dem Arbeitsklimaindex vom April gingen 71 Prozent der Pflegekräfte aus „Pflichtgefühl“ auch krank zur Arbeit. Vor der Pandemie waren es 45 Prozent. Insgesamt habe die Qualität der Pflege laut Betroffenen dadurch deutlich abgenommen.

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die plötzlich als „LeistungsträgerInnen“ erkannten Pflegekräfte in Form des „Balkonklatschens“ fasste die Mehrheit der Interviewten negativ auf. Die allabendliche Geste fühlte sich für die Beklatschten „wie inkonsequentes, verärgerndes Getue an, da tatsächliche Veränderungen ausblieben“, heißt es in der Studie. Derartige Unterstützung hätte man sich lieber während der Kollektivvertrags-Verhandlungen gewünscht.

Sorge um Nachwuchs

Dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, ist mittlerweile auch bei den ArbeitgeberInnen angekommen. Gemeinsam fordern die Gewerkschaften GPA und vida sowie der Arbeitgeberverband Sozialwirtschaft Österreich, 10.000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu holen, um in den Einrichtungen etwa Dokumentationspflichten oder das Fiebermessen von BesucherInnen zu übernehmen. Das Pflegepersonal solle sich wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren können. Außerdem fordern die drei Verbände eine monatliche Zulage von 150 Euro netto für alle Beschäftigten im privaten Pflege- und Betreuungsbereich.

„Um den Beruf auch für junge Menschen oder QuereinsteigerInnen attraktiv zu machen, muss Personen in Umqualifizierungsmaßnahmen ein Mindesteinkommen von 1.300 Euro netto garantiert sein“

Eva Scherz

Um dem Personalmangel in der Branche langfristig entgegenzuwirken, sollen im Rahmen einer zu gründenden Sozialwirtschaftsstiftung SchulungsteilnehmerInnen neben dem Arbeitslosengeld einen monatlichen Betrag von bis zu 400 Euro erhalten. „Um den Beruf auch für junge Menschen oder QuereinsteigerInnen attraktiv zu machen, muss Personen in Umqualifizierungsmaßnahmen ein Mindesteinkommen von 1.300 Euro netto garantiert sein“, fordert Eva Scherz von der GPA. Die Mittel dafür sollen aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds kommen.

„Die Arbeitsbedingungen in der Pflege waren schon vorher psychisch und physisch äußerst herausfordernd“, kritisiert Scherz. Diese Situation habe sich seit März 2020 zusätzlich verschärft. Die geforderten Investitionen sollen dem unmittelbar Abhilfe schaffen – und den Beruf auch in Zukunft wieder attraktiver machen.

Davon, dass unter diesen Bedingungen der Nachwuchs ausbleiben wird, ist auch Jana Stefan überzeugt und warnt vor einem baldigen „Notstand“: „Wenn sich nichts tut, dann ist sehr, sehr bald Schicht im Schacht!“.

Worte Reichen nicht – die Forderungen der GPA für den Sozialbereich:

  • Ein monatlicher steuerfreier Bonus von 150 Euro für Beschäftigte im privaten Gesundheits-, Sozial-, Pflege- und Bildungsbereich als Anerkennung für zusätzliche Schwerstarbeit.
  • Generell wird natürlich auch eine bessere Bezahlung gefordert.
  • Ein zusätzlicher freier Tag pro Monat für alle. Dieser Erholungstag soll gemeinsam mit der Wochenendruhe konsumiert werden.
  • Die GPA-Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bleibt aufrecht.
  • Helfende Hände fehlen! Die GPA setzt sich für die Schaffung von 20.000 Arbeitsplätzen im Support-Bereich ein: Jobs werden vom Träger bereitgestellt, von der öffentlichen Hand finanziert. Das qualifizierte Personal soll um 20 Prozent aufgestockt werden.
  • Ohne PraktikantInnen gibt es in Betrieben keine reibungslosen Abläufe. Eine faire Bezahlung von zumindest 950 Euro soll endlich Gerechtigkeit schaffen.
  • mehr unter https://worte-reichen-nicht.at/

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