Deutsche Bundestagswahl: SPD nach 16 Jahren wieder stärkste Kraft

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Mehrere Koalitionsvarianten sind möglich – Gewerkschaften untermauern ihre Forderungen

Das vorläufige amtliche Ergebnis der deutschen Bundestagswahl liegt vor. Der SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz ist es wie in den Umfragen bereits prognostiziert gelungen, mit 25,7% (+5,3%) erstmals seit 2005 wieder stärkste Kraft im Bundestag zu werden. Die CDU/CSU mit Spitzenkandidat Armin Laschet hat ihr historisch schlechtestes Ergebnis von 24,1% (-8,8%) eingefahren. Das Bündnis 90/Die Grünen mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock blieb trotz eines Zugewinnes von 5,7% hinter den Erwartungen zurück und erreichte 14,8%. Die FDP hielt ihr Wahlergebnis aus 2017 beinahe unverändert und erreichte 11,5%, dahinter rangiert die AfD mit 10,3% (-2,2%). Empfindliche Verluste musste die Linke (-4,3%) hinnehmen, die bei 4,9% landete.

Von Gewerkschaften bevorzugtes Linksbündnis ohne Mehrheit – Fortsetzung einer Großen Koalition schwer vorstellbar

Eine Koalition aus SPD, den Grünen und der Linken hätte die größte inhaltliche Übereinstimmung mit den Positionen und Forderungen der deutschen Gewerkschaften gehabt. Diese Variante ist jedoch aufgrund der vorliegenden Ergebnisse rechnerisch nicht realisierbar.
Möglich, jedoch wenig wahrscheinlich, wäre eine Fortsetzung der Großen Koalition. Diese würde durch den doch klaren Sieg der SPD wohl unter anderen Vorzeichen stehen und eine sozialdemokratische Kanzlerschaft bedeuten. Beide Parteien haben jedoch vor und nach der Wahl relativ deutlich klar gemacht, dass sie dieser Option wenig abgewinnen können. Nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint auch eine Koalition aus SPD, CDU/CSU und den Grünen. Die Gewerkschaften sehen diese Variante in Anbetracht der Realitäten des Wahlergebnisses noch als die beste an.

Ampel- oder Jamaika-Koalition müsste stark abweichende Positionen in Einklang bringen

Am wahrscheinlichsten scheint aus aktueller Sicht wohl entweder die Ampel-Koalition (SPD-Grüne-FDP) oder das Jamaika-Bündnis (CDU/CSU-Grüne-FDP). Am Wahlabend haben sowohl Olaf Scholz (SPD) als auch Armin Laschet (CDU) klargestellt, dass sie eine künftige Bundesregierung anführen wollen. Es wird daher wohl zu Sondierungsverhandlungen in beide Richtungen kommen. Der Ausgang dieser Verhandlungen ist aus heutiger Sicht schwer einzuschätzen.
Für eine Realisierbarkeit der Ampel-Koalition spricht jedenfalls die doch große inhaltliche Übereinstimmung zwischen SPD und Grünen. Wie es jedoch gelingen kann, die teilweise stark abweichenden Positionen der FDP damit in Einklang zu bringen, bleibt abzuwarten. Für die Realisierung eines Jamaika-Bündnis spricht die Nähe zwischen CDU/CSU und FDP, die in den Wahlprogrammen klar zum Ausdruck kommt. Ob die teils stark divergierenden Positionen der Grünen damit vereinbar sind, ist ebenfalls unklar. Was die Vorgehensweise rund um die Sondierungen betrifft, gibt es bereits den Vorschlag, zu Beginn Verhandlungen zwischen FDP und Grünen zu führen, um die größten inhaltlichen Unterschiede auf ihre Kompromissfähigkeit zu überprüfen.

Gewerkschaften sehen in Jamaika-Bündnis größten inhaltlichen Widerspruch

Die Gewerkschaften sehen in einer Jamaika-Koalition den größten Widerspruch zu ihren Positionen und Forderungen. Ein solches Regierungsbündnis wäre in diversen Politikfeldern ein herber Rückschlag für die Beschäftigten in Deutschland. Eine Ampel-Koalition würde gemessen an den Programmen von SPD und Grünen zwar durchaus zahlreiche Verbesserungen für die Beschäftigten mit sich bringen, es bliebe jedoch abzuwarten, wie stark die FDP diese Positionen in den Verhandlungen abschwächen kann.

Gewerkschaft ver.di stellt klare Forderungen an eine neue deutsche Bundesregierung

Die Gewerkschaft ver.di hat in einer ersten Stellungnahme zum Wahlergebnis den Fokus vor allem auf Inhalte und weniger auf Personal -und Koalitionsdebatten gelegt. „Wir brauchen ein Jahrzehnt der Investitionen in Klimaschutz, gute Arbeit und einen starken Sozialstaat – Zukunft gibt es nicht zum Nulltarif“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am Morgen nach der Wahl.

Tarifvertragssystem umfangreich stärken und 12-Euro-Mindestlohn einführen

Auf der Liste der deutschen Gewerkschaften stehen mehrere Themen, bei denen gesetzliche Verbesserungen dringend notwendig sind. Oberste Priorität haben eine umfangreiche Stärkung des Tarifvertragssystems sowie die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 12 Euro/Stunde. Das Ende von sachgrundlosen Befristungen in Arbeitsverträgen wird ebenfalls nachdrücklich eingefordert. Wesentlich sei außerdem, dass die Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegebereich verbessert werden. Dazu bedarf es einer flächendecken Gültigkeit und Anwendung von Tarifverträgen.

Ökologischen Umbau der Wirtschaft sozial ausgleichen

Der ökologische Umbau von Wirtschaft, Verkehr und Infrastruktur muss rasch vorangetrieben werden. Dabei stehen bezahlbare Energiepreise und ein gut ausgebauter und leistbarer öffentlicher Verkehr im Vordergrund. Steigende Kosten für den Klimaschutz sollen mit einem „Energiegeld“ für Beschäftigte mit geringeren Einkommen sozial ausgeglichen werden.
„Die nächsten vier Jahre dürfen nicht von Minimalkonsensen und Formelkompromissen in der Sozial- und Klimapolitik geprägt sein. Der Handlungsbedarf ist riesig, es bedarf grundsätzlicher Weichenstellungen, um das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen“, schließt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke.

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