„Hinter sexueller Belästigung steht meist ein Machtgefälle“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Seit #metoo sind sexuelle Übergriffe vermehrt Thema. Was aber kann man in der Arbeit gegen anzügliche Witze durch KollegInnen oder ungewollte Einladungen vom Chef tun? Sandra Konstatzky, die Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft, beantwortet alle Fragen für Kompetenz-Online.

KOMPETENZ: Was ist die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW)?

Sandra Konstatzky: Wir bieten unabhängige Beratung und Unterstützung von Diskriminierungsopfern an und wir leisten Informations- und Bewusstseinsarbeit im Bereich Gleichstellung und Anti-Diskriminierung. Wir arbeiten in fünf Büros in ganz Österreich.

Die GAW betreut Fälle von Sexismus, Rassismus, Homophobie, von Diskriminierung aufgrund des Alters, der Religion oder der Weltanschauung. Sexuelle Belästigung ist in unserer Beratung aber immer noch das Thema Nummer eins.

KOMPETENZ: Wo beginnt sexuelle Belästigung?

Sandra Konstatzky: Im Gleichbehandlungsgesetz gibt es eine sehr klare Definition von sexueller Belästigung, die aus vier Elementen besteht: Erstens geht es um sexualisiertes Verhalten. Das kann schon bei Witzen und Sprüchen anfangen, und geht bis hin zu unerwünschten Einladungen oder anzüglichen Bemerkungen über den Körper der Betroffenen und scheinbar unabsichtlichen Berührungen. Zweitens muss eine objektive Würdeverletzung vorliegen, ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der oder des Betroffenen. Es ist natürlich ausschlaggebend, ob ein Chef seine Sekretärin zum Abendessen einlädt, oder sogar jemanden bei einem Bewerbungsgespräch mit so etwas überfällt –  wo man ganz genau weiß, dass das Gegenüber so etwa nicht gut ausschlagen kann. Die Situation muss außerdem für die Person subjektiv unangenehm sein. Zuletzt kommt es auch auf das Umfeld an, es muss eine demütigende, feindselige Arbeitsumwelt entstehen, um ein Verhalten als sexuelle Belästigung vor dem Gesetz definieren zu können.

„Dem Gleichbehandlungsgesetz zufolge haben Betroffene einen Anspruch auf Schadensersatz. Das ist aber das, was die wenigsten Betroffenen wollen.“

Sandra Konstatzky

KOMPETENZ: Was passiert wenn eine sexuelle Belästigung festgestellt wurde?

Sandra Konstatzky: Dem Gleichbehandlungsgesetz zufolge haben Betroffene einen Anspruch auf Schadensersatz. Das ist aber das, was die wenigsten Betroffenen wollen. Die wichtigere Anknüpfung im Gesetz ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin. Das heißt, die Führungskraft bzw. der oder die ArbeitgeberIn ist verantwortlich. Die müssen Abhilfe gegen sexuelle Belästigung schaffen. Das kommt auf die Situation an und kann alles mögliche sein: Eine Verwarnung, eine Versetzung des Belästigers oder wenn es ganz krass ist, dann kann auch eine Kündigung/Entlassung ausgesprochen werden. Jedenfalls muss etwas getan werden, dass die Belästigung oder Diskriminierung nicht mehr stattfindet.

Sandra Konstatzky ist Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Wird sexuelle Belästigung auch nach dem Strafrecht verfolgt?

Sandra Konstatzky: Strafrechtlich relevant ist ein körperlicher Übergriff im Sinne einer geschlechtsbezogenen Handlung in der Öffentlichkeit oder ein Begrapschen am Po oder an der Brust. Oft fängt die Belästigung aber schon vorher an, da greift dann das Gleichbehandlungsgesetz.

Wichtig ist, dass ein Machtgefälle dahinter steckt. Dass geglaubt wird, man hätte Verfügungsgewalt über jemanden, man könne das sexuelle Selbstbestimmungsrecht einer anderen Person in Frage stellen oder auch man hätte das Recht, eine Frau nur auf körperliche Attribute zu reduzieren.

KOMPETENZ: Wer meldet sich bei der GAW wegen sexueller Belästigung, sind immer nur Frauen betroffen?

Sandra Konstatzky: Im Jahr kommen etwa 200 Beschwerden aus ganz Österreich bei uns an. Man muss leider sagen, dass es sich um ein geschlechtsspezifisches Machtgefälle handelt. In 99 Prozent der Fällen wenden sich Frauen an uns und in 98 Prozent sind die Täter Männer. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, weil zunehmend Frauen in Machtpositionen kommen. Frauen sind nicht die besseren Menschen, sie haben nur weniger Chance böse Dinge zu tun.

„In 99 Prozent der Fällen wenden sich Frauen an uns und in 98 Prozent sind die Täter Männer.“

Sandra Konstatzky

Beispielhaft ist ein Fall, den ich vertreten habe: Ein junger Mann wurde im Handel von seiner Abteilungsleiterin massiv bedrängt mit ihr auszugehen, mit ihr zu schlafen. Als er das verweigert hat, wurde er von seiner Chefin gekündigt. Das war eindeutig sexuelle Belästigung. Wir haben den Fall vor der Gleichstellungskommission gewonnen.

Das Ausnutzen einer Machtposition um sexuelle Verfügbarkeit zu bekommen ist eine der wesentlichsten Situationen der sexuellen Belästigung.

KOMPETENZ: Was kann man tun als Betroffene?

Sandra Konstatzky: Man kann sich an die Arbeiterkammer, Gewerkschaften oder den Betriebsrat wenden- und natürlich an die GAW, weil wir eine spezialisierte Einrichtung für dieses Thema sind. Auf uns kommen oft auch BetriebsrätInnen zu, um Rat zu bekommen, welche Schritte bei einem Vorfall wichtig sind. Wir haben nicht nur das juristische Wissen, sondern auch die Erfahrungskompetenz von der Behandlung vieler Fälle. Oft will man ja pragmatische Lösungen im Betrieb. Gute Lösungen gibt es oft, wenn wir ArbeitgeberInnen anschreiben und Abhilfe einfordern, wenn wir für die Betroffenen verhandeln und es vor die Gleichstellungskommission bringen.

Wir beraten jedenfalls vertraulich. Die Unterstützung, die wir bieten, ist immer ganz klar mit den Betroffenen abgestimmt. Es passiert nichts, was die Betroffenen nicht wollen.

KOMPETENZ: Abseits vom Juristischen – was können KollegInnen tun?

„Das wesentliche bei Belästigungen ist, dass sie benannt werden. Es hat einen großen Wert, wenn andere, vielleicht sogar solidarische Männer, klar sagen: Das ist nicht in Ordnung!“

Sandra Konstatzky

Sandra Konstatzky: Im Gleichbehandlungsgesetz gibt es ein Benachteiligungsverbot für ZeugInnen und UnterstützerInnen. Nicht nur im Gesetz ist Solidarität ausdrücklich erwünscht!

Das wesentliche bei Belästigungen ist, dass sie benannt werden. Es hat einen großen Wert, wenn andere, vielleicht sogar solidarische Männer, klar sagen: Das ist nicht in Ordnung!

Leider sind die Belästiger oft machtvolle Menschen in Unternehmen. Die KollegInnen sind auch wichtig für ein etwaiges Gerichtsverfahren als ZeugInnen. Haben sie etwas gesehen oder bemerkt, dass sich die Betroffene zurückzieht, weil sie soziale Situationen mit dem Belästiger vermeidet?

Auch kann es helfen, wenn nicht die Betroffene selbst, sondern wer anderes eine Schulung zum Umgang mit sexueller Belästigung im Betrieb fordert. Alles was zur Sensibilisierung oder Sichtbarmachung beiträgt kann helfen.

KOMPETENZ: Um unangenehme Situationen vorab zu unterbinden, was können ArbeitgeberInnen oder BetriebsrätInnen tun?

Sandra Konstatzky: Wichtig ist klar zu machen, dass sexuelle Belästigung im Unternehmen keinen Platz hat und dass dagegen vorgegangen wird.

ArbeitgeberInnen haben eine Fürsorgepflicht und sind damit verpflichtet zu handeln. Es muss klar sein, dass die Führungskraft sexuelle Belästigung erkennt und das nötige Rüstzeug an der Hand hat: Wie geht man damit um? An wen muss der Vorfall gemeldet werden? Wer setzt etwaige Schritte gegen den Belästiger?

Wenn eine Belästigung passiert, ist es sehr wichtig, dass die Unternehmen am Thema dran bleiben. Sie sollen unbedingt Schulungen organisieren, über das Thema reden und die Bewusstseinsarbeit vorantreiben. Sonst hat man eine riesige Unruhe in der Firma, es bilden sich Gruppen, es gibt sozialen Unfrieden. Es braucht einen Raum wo solche Vorfälle besprochen und eingeordnet werden können.

Denn eines ist sicher: Sexuelle Belästigung schadet auch den Unternehmen. Es fördert die Fluktuation, es gibt mehr Krankenstände und schwierige Situationen zwischen MitarbeiterInnen.

Zur Person:

Sandra Konstatzky ich Juristin mit Spezialisierung auf Legal Genderstudies. Sie arbeitet seit 2003 bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW). 2018 übernahm sie die Leitung der GAW, nachdem sie dort schon viele Jahre zum Schwerpunkt „Equal Pay“ gearbeitet hatte.

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