Kampf gegen virale Nachwirkungen

Foto: Lea Aring,

Immer mehr Menschen erkranken durch Long Covid an ME/CFS, einem chronischen Erschöpfungs-Syndrom. Das könnte Schwung in die Bemühungen bringen, die Diagnose, soziale Absicherung und Rehabilitationsmöglichkeiten für diese Erkrankung zu verbessern.

Aktuell wird die Krankheit selten richtig diagnostiziert, Betroffene bekommen nicht die medizinische Behandlung, die sie brauchen und sind sozial schlecht abgesichert.

Eine wachsende Zahl an Long-Covid PatientInnen klagt nach der Virusinfektion über anhaltende Müdigkeit und Leistungsabfall. Dadurch rücken bestehende Probleme bei der Diagnose und Absicherung von Menschen in den Blickpunkt, die – meist aufgrund anderer viraler Infekte, wie beispielsweise dem Pfeifferschen Drüsenfieber – ebenfalls unter chronischer Erschöpfung leiden, was mit schweren körperlichen Einschränkungen, bis hin zum völligen Verlust der Arbeitsfähigkeit einhergehen kann.

Das chronische Erschöpfungssyndrom (englisch: Chronic Fatigue Syndrome CFS, auch Myalgische Enzephalomyelitis ME genannt) wird in der medizinischen Praxis selten richtig erkannt. Aufgrund der geringen Bekanntheit der Erkrankung in der ärztlichen Praxis gehen internationale Studien davon aus, dass 84 bis 90 Prozent nicht oder nicht richtig diagnostiziert werden. In Österreich sind bis zu 80.000 Menschen betroffen, im Schnitt dauert es 5 bis 8 Jahre bis zur richtigen Diagnose.

ExpertInnen fordern schon lange eine Ergänzung der medizinischen Lehrpläne und Schulungen für niedergelassene ÄrztInnen. Für Betroffene wäre eine exakte Diagnose in medizinischer und sozialer Hinsicht extrem wichtig. Oft wird die Erkrankung nicht erkannt oder gar als psychisches Problem abgetan. ÄrztInnen raten oft zu Bewegung – was bei chronischer Erschöpfung kontraproduktiv ist und sogar eine nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustandes auslösen kann.

Ihre sozialrechtlichen Ansprüche betreffend werden Betroffene häufig zwischen AMS und Pensionsversicherungsanstalt im Kreis geschickt, weil Richtlinien zur adäquaten Einstufung ihrer Behinderung fehlen.

Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS hat im November eine online-Petition zur besseren Anerkennung, medizinischen Versorgung und Absicherung von Betroffenen gestartet. Gefordert werden mehr Information und Aufklärung, der Aufbau medizinischer Behandlungs- und Versorgungsstrukturen, soziale Absicherung sowie Forschungsförderung. Die Petition wurde von knapp 28.000 Menschen unterzeichnet.

Postvirales Erschöpfungs-Syndrom
Das chronische Erschöpfungssyndrom (englisch: Chronic Fatigue Syndrome CFS, auch Myalgische Enzephalomyelitis ME), ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die häufig zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Als Leitsymptom der chronischen Krankheit gilt eine Zustandsverschlechterung nach Belastung bzw. eine außergewöhnlich schnelle körperliche und geistige Erschöpfbarkeit, die in extremen Fällen bis zu einer weitreichenden Behinderung und Pflegebedürftigkeit führen kann.
Ein Großteil der Betroffenen ist nicht mehr arbeitsfähig, leicht Erkrankte arbeiten meist in Teilzeit und unter großen Einschränkungen. Etwa ein Viertel der Betroffenen sind an Haus oder Bett gebunden und auf Hilfe – bis hin zur künstlichen Ernährung – angewiesen.

Mehr als ein bisschen Müdigkeit

Regina Zauchner ist von ME/CFS betroffen und gibt einen Einblick in die vielschichtigen Probleme ihres Alltags.

Zauchner: Ein ganz großes Anliegen von uns Betroffenen ist, dass unser Krankheitsbild nicht allein auf die Müdigkeit reduziert wird. Die durch ME/CFS verursachten Beeinträchtigungen sind weit vielschichtiger, die Müdigkeit ist meistens unser geringstes Problem. Erschöpfung im Sinne von ME/CFS hat mit Müdigkeit nichts zu tun. Das wäre so, wie wenn man eine intensivmedizinische Lungenbeatmung mit einer Sauerstoffdusche vergleicht.

Chronische Schmerzen, kognitive oder gastrointestinale Probleme und diverse Komorbiditäten wiegen zumeist viel schwerer bzw. sind im Alltag weit beeinträchtigender.

KOMPETENZ: Wie gut sind Sie mit Ihrer Erkrankung sozialrechtlich abgesichert?

Zauchner: Ich befinde mich in einem arbeitsrechtlichen Graubereich. Es gibt für die Krankheit ME/CFS keine adäquate Einstufungsverordnung für den Grad der Behinderung, die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit gibt, wenn es um soziales Entschädigungsrecht oder Schwerbehindertenrecht geht. Viele Betroffene können deswegen nicht den Status eines „begünstigten Behinderten“ bekommen.

Sobald eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit vorliegt, wird man als Betroffene von den Behörden im Kreis geschickt. In Krankenstand kann man nur gehen, solange man arbeitsfähig ist. Wer aber chronisch arbeitsunfähig ist, wird vom AMS weiter zur Pensionsversicherungsanstalt geschickt, wo Berufsunfähigkeitspension oder Rehabilitationsgeld beantragt werden können.

In meinem Bekanntenkreis gibt es Betroffene, die letztlich eine psychiatrische Diagnose akzeptieren, nur damit etwas im Befund steht, was ihre Arbeitsunfähigkeit begründet. Hier braucht es klare Richtlinien vom Sozialministeriums-Service, um die Krankheit richtig einordnen zu können. Es kann nicht sein, dass die Diagnose abhängig vom Gutachter gestellt wird. Das kostet uns Betroffene sehr viel Kraft.

KOMPETENZ: Werden Sie medizinisch adäquat versorgt?

Zauchner: Aus meiner Erfahrung heraus leider sehr selten. Das Problem bei Menschen mit ME/CFS ist, dass im aktuellen System versucht wird, sie durch Eingliederungsmaßnahmen wieder arbeitsfähig zu bekommen. Derartige Therapien sind oft schädlich, führen zu langanhaltenden Erschöpfungszuständen und verschlechtern den weiteren Verlauf der Erkrankung. Ich kenne einige PatientInnen, denen es nach Rehabilitationsaufenthalten schlechter ging als zuvor.

KOMPETENZ: Was tut sich aktuell?

Zauchner: Das Thema Long-Covid erzeugt derzeit hohe Aufmerksamkeit für das Krankheitsbild, hier wird bereits an Richtlinien gearbeitet, wie mit der Erkrankung umgegangen werden soll. Ein zentraler Baustein dabei ist das sogenannte „Pacing“, also eine strikte Schonung als mögliche Therapieoption. Betroffene sollten versuchen, immer innerhalb der eigenen Ressourcen zu bleiben, auf ihre Grenzen achten und keine Überlastungen erzeugen, damit sich ihr Gesundheitszustand nicht verschlimmert. Das gilt auch im Falle von ME/CFS.

KOMPETENZ: Was muss sich ändern?

Zauchner: Auf Dauer braucht es eine eigene Ambulanz für Betroffene. Derzeit gibt es keine öffentlichen Anlaufstellen für die Diagnosestellung, Beratung, Betreuung und Behandlung von ME/CFS Betroffenen und auch keine spezialisierten Rehabilitationseinrichtungen oder Pflegeplätze.

Die Covid-Pandemie macht durch die große Zahl an Betroffenen die Langzeitfolgen von postviralen Erkrankungen sichtbar und zeigt das Ausmaß auf, in dem ME/CFS bisher in Versorgung und Forschung vernachlässigt wurde. Momentan gibt es selbst nach einer korrekten Diagnose oft keine richtige Behandlung, weil ungenügend erforscht ist, welche Therapien genau helfen. Es gibt einige Therapie-Ansätze, die aber aktuell von den Krankenkassen nicht bewilligt oder in Österreich gar nicht angeboten werden. Wenn man der ME/CFS-Forschung schon früher mehr Priorität eingeräumt hätte, stünde man den Auswirkungen von Long Covid jetzt nicht ganz so hilflos gegenüber.

Hier geht’s zur Petition

Hier geht’s zum ausführlichen Petitionstext inkl. Stellungnahmen von österreichischen ÄrztInnen und ForscherInnen: https://cfs-hilfe.at/petition/

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