Arbeitszeitverkürzung: Wie sie zu einer Win-Win-Situation wird.

Die britische Atom Bank setzt auf Arbeitszeitverkürzung und Flexibilisierung.
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Die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen wünscht sich eine Arbeitszeitverkürzung, immer mehr Unternehmen setzen sie freiwillig um. Dabei ist es wichtig, dass die Verkürzung der Arbeitszeit klar geregelt wird, sagt Arbeitszeitexpertin Bettina Stadler von FORBA.

Bei der britischen Atom Bank heißt es seit 1. November: Vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Bei vollem Lohnausgleich. Ein Modell, das derzeit so oder so ähnlich in vielerlei Betrieben Schule macht, aber im Bankensektor durchaus überraschen mag. Die 430 Atom-Bank-MitarbeiterInnen arbeiten jedenfalls seit Anfang November bei gleichem Gehalt nur noch 34 Stunden pro Woche statt wie bisher 37,5 Stunden. Es stellt sich die Frage: Worauf muss man achten, dass es dadurch nicht nur zu einer Arbeitsverdichtung kommt?

Arbeitseffektivität, Arbeitsdruck

In einer Aussendung begründet Atom Bank-CEO Mark Mullen die Arbeitszeitverkürzung damit, seinen MitarbeiterInnen mehr Zeit für Hobbies und Familie gewähren zu wollen, „eine gesündere Work-Live-Balance zu errichten“. Außerdem wolle er damit die „Begeisterung unserer Leute erhalten“, wie Mullen gegenüber der Financial Times sagte. Finanziell, schätzt Mullen, würden die Arbeitszeitverkürzung durch die Steigerung der „Arbeitseffektivität“ wieder ausgeglichen. Studien zeigen nämlich, wer weniger arbeitet, arbeitet konzentrierter, schneller und ist seltener krank. Klingt nach einer Win-Win-Situation.

Auf dem Weg hin zu mehr „Arbeitseffektivität“ sei die Stundenreduktion allerdings „nicht der einzige Weg“. Bei Atom Bank, das auf reines Online-Banking setzt und keine Filialen betreibt, setzt man zusätzlich auf Flexibilisierung: „die Menschen wünschen sich Wahlmöglichkeiten und Flexibilität“, ist Mullen überzeugt.

Bettina Stadler, Soziologin und Mitglied des Leitungsteams der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), begrüßt die Verkürzung von Arbeitszeiten, warnt aber vor voreiligen Schlüssen. Kürzere Arbeitszeiten bedeuten nicht automatisch immer einen Vorteil für Lohnabhängige. Entscheidend ist zunächst einmal die Frage: „Wer zahlt? Handelt es sich um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich?“.

Gerade in Österreich, das einen vergleichsweise großen Niedriglohnsektor hat, kommt eine Arbeitszeitreduktion für viele Beschäftigte nicht in Frage – weil dann zum Leben zu wenig übrigbleibt. Besonders klassische „Frauenberufe“, etwa im Handel oder in der Reinigungsbranche, sind davon betroffen.

Auch bei gleichbleibendem Lohn kann eine Reduktion der Arbeitszeit nicht nur Vorteile mit sich bringen. Was Atom Bank-CEO Mullen eine Steigerung der „Arbeitseffektivität“ nennt, kann für Lohnabhängige bedeuten, „dass die Arbeit enorm verdichtet wird“, gibt Stadler zu bedenken. Es bleibt dieselbe Arbeitsmenge, aber weniger Zeit, sie zu bewältigen. Die Kaffeepause, der Plausch am Gang, lockere Teammeetings – sprich: sozialer Austausch – fällt dann oftmals weg. Bei eMagnetix, einer oberösterreichischen Marketingagentur, die 2018 als einer der ersten hierzulande bei vollem Lohnausgleich von 38,5 auf 30 Stunden reduzierte, mussten MitarbeiterInnen anfangs beim Betreten der Firma ihre Handys abgeben. Arbeitszeitverkürzung kann auch heißen: Du bist gekommen, um zu arbeiten, für alles andere bleibt keine Zeit.

„Gerade im Hinblick auf Arbeitszeitverkürzungen sei wichtig, dass entsprechende Vereinbarungen mittels Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt werden“

Bettina Stadler

Chancen und Gefahren

Gerade im Hinblick auf Arbeitszeitverkürzungen sei wichtig, dass entsprechende Vereinbarungen mittels Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt werden, betont Soziologin Stadler. Ein Modell, das auf Freiwilligkeit beruht, wie das häufig bei Start-ups oder Kleinunternehmen der Fall ist, „kann funktionieren – in Zeiten, in denen die Sonne scheint“. Birgt aber genau so Gefahren in sich, dass die Regelungen wieder aufgegeben werden, wenn sie sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen.

Bereits heute sehen zahlreiche Kollektivverträge (KV) in Österreich Modelle für eine (indirekte) Arbeitszeitverkürzungen vor. So beispielsweise die sogenannte Freizeitoption, also das Umwandeln einer Lohnerhöhung (in Folge von KV-Verhandlungen) in Freizeit.  Auch Jubiläumsgelder können in Zeitguthaben ausbezahlt werden. In manchen Branchen ist ein Freizeitausgleich für besonders belastende Arbeitszeiten möglich. Hinzu kommen Optionen, die weniger an der Wochen- als vielmehr an der Jahres- oder Lebensarbeitszeit ausgerichtet sind, beispielsweise eine 6. Urlaubswoche, ein Sabbatical oder die Frühpension.

FORBA-Soziologin Stadler ist überzeugt davon, dass weitere Modelle folgen werden und dass sich der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten zukünftig noch stärker in Unternehmen durchsetzen wird. Das liege auch am Zeitgeist der jüngeren Generation, „eine perspektivische Veränderung, dahingehend, dass Erwerbsarbeit im Leben nicht mehr den Stellenwert hat als in früheren Generationen“.

Generationaler Wandel

Das steht auch mit einem generationalen Wandel in unserer Arbeitswelt im Zusammenhang. Erwerbsbiografien wie einst – idealtypisch von der Lehre bis zur Pension im selben Betrieb – sind heute die Ausnahme. Vielfach gleichen Arbeitsbiografien einem Flickenteppich aus Praktika, befristeten Anstellungen und (kurzzeitiger) Arbeitslosigkeit. Die Befürchtung, dass man mit 60 oder 65 ohnehin noch nicht in Pension gehen kann, tut ihr übriges.

Auch aus ökologischer Sicht – gerade für junge Menschen ein starkes Motiv – spricht vieles für eine Reduktion der Arbeitszeit. Laut einer Berechnung des ÖGB könnten allein in Österreich durch die Einführung einer 4-Tage-Woche jährlich 250.000 Tonnen CO2 eingespart werden, weil sich dadurch der PendlerInnenverkehr reduziert.

Zurück zur Frage, wie die Atom Bank-Vereinbarung einzuschätzen ist. Arbeitszeitverkürzung ist prinzipiell im Sinne der Lohnabhängigen und vor allem für die jüngeren unter ihnen besonders attraktiv. Doch nicht jedes Modell bringt zwingend automatisch nur Vorteile. „Wichtig ist, dass sich die Interessen der ArbeitnehmerInnen bei der Ausgestaltung der Arbeitszeitverkürzung gut abgesichert wiederfinden“, konstatiert Stadler.

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