Am Rande von Corona-Demos häufen sich Attacken auf Journalistinnen und Fotografen. Betroffene fordern mehr Polizeipräsenz und appellieren an politisch Verantwortliche.
„Lügenpresse, Lügenpresse, Lügenpresse!“. Auf der Linzer Nibelungenbrücke formiert sich ein Mob um Claus Muhr, brüllt, umzingelt, bedroht und verfolgt ihn: „Mörder, Mörder, Massenmörder!“. Im Auftrag des ORF sollte Muhr Anfang Dezember vergangenen Jahres eine Corona-Demo auf der Linzer Nibelungenbrücke filmen. Zunächst aus der Distanz, als er seine Kamera für eine Nahaufnahme aufbaut, wird er zur Zielscheibe des Hasses der DemonstrantInnen auf die „Lügenpresse“.
Vorfälle wie diese, bei denen JournalistInnen auf Corona-Demos bei ihrer Arbeit behindert, bedroht, verbal oder physisch attackiert werden, häufen sich in den vergangenen Monaten. Bei einer Kundgebung in Wien Mitte Dezember werden MedienvertreterInnen mit Schneebällen und Eisbrocken beworfen, eine PULS4-Journalistin von DemonstrantInnen eingekesselt und bedroht. Der freischaffende Journalist Michael Bonvalot, der regelmäßig über die Aufmärsche berichtet, wurde eigenen Angaben zu Folge mit Flaschen beworfen und mit Pfefferspray attackiert. Zentrale Akteure der rechtsextremen Szene stehen immer wieder im Mittelpunkt des Geschehens. Einige Medienhäuser schicken ihr Personal nur noch in Begleitung von Securities auf Demos.
„Als hätte jemand das Zeitrad zurückgedreht“
Seit 33 Jahren ist Claus Muhr mit seiner Kamera in der ganzen Welt unterwegs. Er berichtete 1994 vor Ort über die Wahlen in Südafrika, über den Jugoslawienkrieg, über den Krieg in Afghanistan. „Ich war schon in einigen Kriegs- und Krisengebieten unterwegs“, sagt Muhr. Brenzliche Situationen ist er gewohnt, die auf der Nibelungenbrücke war sicherlich keine, die ihm den Schlaf raubt. „Aber in unseren Breitengraden habe ich so etwas noch nie erlebt. Es hat mich überrascht, wie schnell das ging“. Erschreckend sei gewesen, dass die Beteiligten „eigentlich ganz Normalaussehende waren“, keine Rechtsextremen oder Hooligans mit einschlägigem Auftreten, sondern unscheinbare, ‚ganz normale‘ Personen. „Es fühlt sich an, als hätte jemand das Zeitrad zurückgedreht“, gibt Muhr zu Bedenken.
„Ich war schon in einigen Kriegs- und Krisengebieten unterwegs. Aber in unseren Breitengraden habe ich so etwas noch nie erlebt. Es hat mich überrascht, wie schnell das ging“.
Claus Muhr, ORF-Kameramann
Gabriel Egger, Chronik-Redakteur bei den Oberösterreichischen Nachrichten, war dabei, als Muhr auf der Nibelungenbrücke attackiert wurde. Er versuchte ihn abzuschirmen, während dieser sich mit seiner Kamera aus der Gefahrenzone manövrierte. Kurze Zeit später schritt die Polizei ein. Auch Egger zeigt sich besorgt: „Ich habe in dem Moment echt Schlimmeres befürchtet“. Erschreckend sei vor allem, „dass so etwas in Linz passiert“.
Dass Menschen mit Blick auf Corona und Impfung gewisse Sorgen haben, kann Egger durchaus nachvollziehen. Diese Sorgen öffentlich zu artikulieren hält er für berechtigt. „Aber das war banale Aggression, Muhr hat einfach seine Arbeit gemacht, wie jeder andere auch“. Es falle schwer, die Ängste und Sorgen von Menschen ernst zu nehmen, die JournalistInnen als „Massenmörder“ beschimpfen oder körperlich attackieren.
Seit diesem Vorfall diskutiere man in der Redaktion, wie man weiter über Corona-Demos berichten will. Nicht-Berichten, stellt Egger klar, ist keine Option, gleichzeitig müssen RedakteurInnen geschützt werden.
„Mit der Corona-Problematik wurde ein neuer Höhepunkt erreicht, körperliche Attacken sind eine völlig neue Dimension“
Eike-Clemens Kullmann, Vorsitzender der JournalistInnengewerkschaft in der GPA
Rechtsextremer Strategiewechsel
Als Journalist sei man verbale Beschimpfungen mittlerweile gewohnt, „aber derzeit fallen offensichtlich sämtliche Hemmungen“, beobachtet Eike-Clemens Kullmann. Er ist Bundesvorsitzender der JournalistInnenengewerkschaft in der GPA, wie Egger Redakteur bei den Oberösterreichischen Nachrichten und seit 40 Jahren im Geschäft. Bereits vor Corona sei das Verhalten auf Demonstrationen gegenüber MedienvertreterInnen aggressiver geworden. „Aber mit der Corona-Problematik wurde ein neuer Höhepunkt erreicht, körperliche Attacken sind eine völlig neue Dimension“. In seinen vier Jahrzehnten als Journalist habe er so etwas noch nicht erlebt. Nicht zu berichten schließt er dennoch kategorisch aus. „Gott sei Dank sind wir an diesem Punkt noch nicht – und ich hoffe, dass wir nie dort hinkommen“.
Standard-Redakteur Markus Sulzbacher beobachtet das Geschehen auf den Corona-Demos von Anfang an. Erstmals berichtete er im April 2020, eine überschaubare Gruppe mit einschlägig bekannten Rechtsextremen versammelte sich damals in Wien. „Im Gegensatz zu heute waren die durchaus bemüht, in Medien reinzukommen und gaben bereitwillig Interviews“, erinnert sich Sulzbacher. „Erst mit Herbst 2020 wurde „das ‚Feindbild Medien‘ kultiviert“, erklärt er. Im Jänner 2021 kam es zu ersten Attacken auf JournalistInnen und FotografInnen am Rande von Corona-Demos.
Polizei in der Kritik
Sulzbacher berichtet nach wie vor über die Demos in Wien, mittlerweile in Zivil und nicht als Journalist erkennbar. Bekannten Rechtsextremen geht er bewusst aus dem Weg. „Man muss mittlerweile damit rechnen, dass man körperlich attackiert, beschimpft oder bespuckt wird – man muss echt aufpassen!“, betont Sulzbacher.
Der Standard-Journalist kritisiert das Verhalten der Polizei bei den Protestmärschen, diese würden Journalistinnen und Fotografen nur unzureichend schützen. „Wenn man als Journalist nicht mehr sicher von Demos berichten kann, ist das ein Riesenproblem – ein Problem der gesamten Gesellschaft“, bekräftigt Sulzbacher.
„Man muss mittlerweile damit rechnen, dass man körperlich attackiert, beschimpft oder bespuckt wird – man muss echt aufpassen!“
Markus Sulzbacher, Standard-Redakteur
Auch Journalistengewerkschafts-Vorsitzender Eike-Clemens Kullmann appelliert an die Exekutive, MedienvertreterInnen bei ihrer Arbeit besser zu schützen. Außerdem müssten politisch Verantwortliche endlich aktiv werden. Besonders in der Pflicht sieht er jene Akteure, die hinter den entsprechenden Demonstrationen stehen: „Jede Seite muss gefahrlos seine Meinung äußern und Journalistinnen und Journalisten gefahrlos darüber berichten können“, fordert Kullmann.
„Es ist eine Sache, seine Meinung auf der Straße kundzutun“, kritisiert auch GPA-Vorsitzende Barbara Teiber. Aber gewalttätige Übergriffe auf JournalistInnen seien indiskutabel. Teiber fordert eine „Schutzstrategie seitens der Polizei. Wir wollen keine amerikanischen Zustände, wo bei Demonstrationen Redakteure verprügelt und Kameras zerstört werden.“