Kollektivverträge gelten für alle Beschäftigten

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die Kollektivvertragsdichte ist in Österreich mit deutlich über 90 Prozent weltweit einmalig. Davon profitiert die überwiegende Mehrheit der unselbständig Beschäftigten. Die KOMPETENZ blickte im Gespräch mit der Historikerin Brigitte Pellar in die Vergangenheit: Wie entstanden die ersten Kollektivverträge und was macht die heimischen Kollektivverträge so besonders?

KOMPETENZ: Wann gab es den ersten Kollektivvertrag in Österreich und wie ist dieser entstanden?

1896

Brigitte Pellar: Der erste moderne Kollektivvertrag entstand 1896 bei den Buchdruckern, die damals die am besten organisierte Gewerkschaft waren. Das war natürlich kein Kollektivvertrag für ganz Österreich oder gar die Monarchie, sondern wurde im Rahmen der gewerblichen Genossenschaften für Wien und Niederösterreich abgeschlossen.

KOMPETENZ: Was waren die wesentlichen Punkte dieses Kollektivvertrags?

Brigitte Pellar: Es wurden von Anfang an nicht nur Lohnfragen behandelt, es ging immer auch zum Beispiel um Arbeitszeit, bis hin dazu, dass festgelegt wurde, dass die Gesellen höflich angesprochen werden. Das war eine ganz massive Forderung, dass man mit Respekt behandelt wird. In späteren Kollektivverträgen ging es auch darum, dass die Arbeitnehmervertretungen im Betrieb Kündigungsschutz haben müssen. Damals gab es noch keine Betriebsräte.

KOMPETENZ: Die Buchdrucker haben also den ersten modernen Kollektivvertrag ausverhandelt. Wann gab es davor schon einmal einen Kollektivvertrag?

Brigitte Pellar: In der Revolution von 1848 haben die Buchdrucker, die damals im Bereich der Zünfte sehr gut organisiert waren, bereits einen Kollektivvertrag durchgesetzt, der in Prag und Wien und allen Gebieten dazwischen galt. Er hat allerdings nur ein halbes Jahr gehalten, als die Revolution niedergeschlagen wurde, war auch dieser Kollektivvertrag wieder weg. Aber es war ein erster Versuch.

KOMPETENZ: In welchen Berufsgruppen sind dann Ende des 19. Jahrhunderts die nächsten Kollektivverträge gekommen?

Brigitte Pellar: In einer ganzen Menge. Anton Hueber, der große Organisator der Gewerkschaftsbewegung in Österreich, hat immer geschimpft, es gibt eine Kollektivvertragsritis. Es war aber natürlich besser, etwas über einen Vertrag zu bekommen als streiken zu müssen. Schon früh gab es Kollektivverträge zum Beispiel für Metall-Berufe, aber auch für die Bauarbeiter. Das Wesentliche waren starke arbeitsrechtliche Regelungen wie zum Beispiel, dass der 1. Mai frei war, dass die gewerkschaftlichen Vertrauensleute in den Betrieben, wenn sie Vertretungsaufgaben übernahmen, nicht gekündigt wurden. Und es wurde auch die Arbeitszeit geregelt. Gesetzlich gab es den Elf-Stunden-Tag, was auch schon ein Fortschritt war. Aber der Acht-Stunden-Tag war das Ziel der Gewerkschaften. Und das wurde schon in einigen Berufen durchgesetzt.

KOMPETENZ: Von welchem Jahr sprechen wir da? 

1907, 1908

Brigitte Pellar: 1907, 1908, also noch vor dem Ersten Weltkrieg. Das waren zum Beispiel die Goldschmiede, die das durchgesetzt haben. Aber auch die Erdölarbeiter in Galizien, also in der heutigen Ukraine. Österreich war damals der größte Erdölexporteur der Welt und entsprechend  wirtschaftlich wichtig waren diese Arbeiter, die das daher durchsetzen konnten.

KOMPETENZ: Inwiefern waren die Kollektivverträge auch demokratiepolitische Meilensteine?

Die Historikerin Brigitte Pellar über die Geschichte der Kollektivverträge
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Brigitte Pellar: Das gilt in Wirklichkeit erst in der Ersten Republik, als Österreich eine echte Demokratie wurde. Mit den ersten Kollektivverträgen wussten die Arbeitgeber und auch der Staat eigentlich nicht wirklich etwas anzufangen. Sie waren rechtlich nicht Fisch und nicht Fleisch. Sie waren nicht verbindlich, es konnte kein Arbeitgeber gezwungen werden, ihn auch einzuhalten. Deswegen haben Gewerkschaften wie die der Bäcker große Kampagnen initiiert, wo sie schöne Logos mit dem Wort „Tariftreue“ an Betriebe, die den Kollektivvertrag einhielten, aufgepickt und die KonsumentInnen aufgefordert haben, sie sollen dort einkaufen gehen.

1919

1919 wurde dann das Kollektivvertragsgesetz beschlossen, das Anfang 1920 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz brachte die Rechtsverbindlichkeit der Kollektivverträge. Damit gab es zum ersten Mal eine gesetzliche Grundlage dafür, dass die ArbeitnehmerInnenseite allein für sich verhandeln konnte.

Das ist bis heute einer der großen Grundsätze innerhalb der österreichischen Arbeitsrechtspolitik. Anders als in Deutschland gibt es die absolute Gegnerfreiheit. Das heißt, die Interessen der ArbeitnehmerInnen und die der ArbeitgeberInnen werden nicht vermischt. Genau deshalb funktionierte die Sozialpartnerschaft bei uns so gut.

KOMPETENZ: Was passierte ab 1934, also in der faschistischen Ära, mit den Kollektivverträgen?

1934

In der Ersten Republik gab es viele Kollektivverträge, aber es gab noch ganz wenige, die wirklich flächendeckend waren. Und sie wurden – wie überall auf der Welt – nur für Gewerkschaftsmitglieder abgeschlossen. Als dann politisch schon die Entwicklung in Richtung rechts gegangen ist und nur mehr rechts-konservative Koalitionsregierungen am Ruder waren, wurde versucht, den freien Gewerkschaften das Wasser abzugraben. Und eine der Maßnahmen, die da getroffen wurden, war das sogenannte Anti-Terror-Gesetz, das besagt, es darf nicht sein, dass nur Mitglieder einer speziellen Gewerkschaft, die einen Kollektivvertrag im Betrieb hat, dort auch eine Anstellung finden.

Das war das „Closed-Shop-Prinzip“, das heute noch in England oder den USA üblich ist. Man musste jener Gewerkschaft beitreten, die den Kollektivvertrag in einem Betrieb ausverhandelt hatte. Das hat natürlich die starken sozialdemokratischen freien Gewerkschaften bevorzugt, weil sie die besseren und mehr Verträge hatten als andere Gewerkschaften. Und politisch anders Gesinnte haben da manchmal dann keinen Job gefunden oder haben sich gezwungen gesehen, wenn sie unpolitisch waren, der sozialdemokratischen Gewerkschaft beizutreten. Das hat den christlichen Gewerkschaften geschadet. Deswegen wurde das „Closed-Shop-Prinzip“ verboten. Ab da galt ein Kollektivvertrag für alle Beschäftigten eines Betriebs.

Käthe Leichter, die berühmte AK-Expertin, hat damals gemeint, das schaut zwar sehr schlecht für die freien Gewerkschaften aus, sei in Wirklichkeit aber gut, weil es so einen Zugang zu vielen Menschen gibt, die sonst nie zur Gewerkschaft kommen würden und das könne man auch positiv nutzen. Nach 1945 hat sich herausgestellt, dass sie Recht gehabt hat. Ab Beginn der austrofaschistischen Diktatur 1934 spielte das aber ohnehin keine Rolle mehr, weil nur mehr eine Staatsgewerkschaft bestand, die kaum Chancen hatte, wirklich gute Kollektivverträge gegen die UnternehmerInneninteressen durchzusetzen.

KOMPETENZ: Welchen weiteren Einschnitt hat dann der Nationalsozialismus gebracht?

Brigitte Pellar: Jede Form von Gewerkschaft wurde verboten, es gab nur mehr die Deutsche Arbeitsfront. Da waren ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zusammengefasst, aber letztere hatten keine Mitsprachemöglichkeiten. Kollektivverträge gab es gar keine mehr.  Arbeitsrecht-Bestimmungen sind ausschließlich von oben oktroyiert worden

KOMPETENZ: Wie wurden die Kollektivverträge nach 1945 neuerlich verankert?

nach 1945

Brigitte Pellar: Zunächst gab es für die notwendige Organisation des Alltags weiter die Gesetze aus der Nazi-Zeit, natürlich mit Ausnahme aller mit faschistischer Ideologie. Es wurden dann Überleitungsgesetze gemacht oder man hat inoffizielle Absprachen getroffen. Eine solche gab es zum Kollektivvertrags- und dem Betriebsrätegesetz aus der Ersten Republik. Beide galten nicht mehr, aber es gab eine Absprache zwischen dem damaligen SPÖ-Vorsitzenden Adolf Schärf und dem späteren Wirtschaftskammer-Chef Julius Raab im Sommer 1945, dass sich die ArbeitgeberInnenseite so verhalten würde, als ob es diese Gesetze noch gäbe. Das war möglich, weil sich die Regierung zur demokratischen Verfassung von 1920 bekannte und sie auch von den Alliierten als Grundlage für die Weiterentwicklung Österreichs angesehen wurde.

KOMPETENZ: Man hat also Kollektivverträge wieder auf Basis jener aus der Ersten Republik verhandelt.

Brigitte Pellar: De facto ja. Und parallel dazu wurde ein neues Kollektivvertrags- und ein neues Betriebsrätegesetz vorbereitet.

KOMPETENZ: Wann sind diese verabschiedet worden?

1947

1947 sind diese beiden Gesetze beschlossen worden und in Kraft getreten.

KOMPETENZ: Welchen Rahmen ermöglichte das Kollektivvertragsgesetz?

Brigitte Pellar: Es hat die Position der Gewerkschaften innerhalb des Verhandlungssystems gestärkt. Es hat natürlich wieder Rechtsverbindlichkeit geschaffen. Und die Wirtschaftskammer, die alle Unternehmen vertritt, verhandelte die ArbeitgeberInnenseite, was automatisch auch ArbeitnehmerInnen ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft einbezog. Aber entscheidend war, dass auf der Gewerkschaftsseite die Außenseiterwirkung aus der Ersten Republik weiter bestanden hat. Damit war die flächendeckende Gültigkeit von Kollektivverträgen doppelt abgesichert. Die Gültigkeit für Nichtmitglieder war innerhalb der Gewerkschaften sehr umstritten, doch es stellte sich heraus, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Außerdem zahlen in Österreich alle ArbeitnehmerInnen die AK-Umlage und leisten so doch einen Beitrag für die KV-Verhandlungen, weil die AK ja die Gewerkschaften mit ihren ExpertInnen bei der Vorbereitung von Kollektivvertragsverhandlungen unterstützt.

Heute

KOMPETENZ: Wie hoch ist denn heute die Kollektivvertragsdichte in Österreich?

Brigitte Pellar: Es gibt unterschiedliche Berechnungen, aber sie liegt jedenfalls deutlich über 90 Prozent.

KOMPETENZ: Wie steht Österreich hier im internationalen Vergleich da?

Brigitte Pellar: Einmalig. Wenn nun im Zug von Kollektivvertragsverhandlungen bemängelt wird, dass es anderswo höhere Abschlüsse gibt, muss man sagen: Wenn Dockarbeiter in Liverpool jetzt ein Plus von 15 Prozent durchgesetzt haben, dann gilt das ausschließlich für die Dockarbeiter in Liverpool und für sonst niemanden. Es wird immer vergessen, dass diese hohe Kollektivvertragsdichte in Österreich bewirkt, dass vielleicht Spitzenabschlüsse nicht in diesem Ausmaß zustande kommen, aber dafür das durchschnittliche Lohnniveau stabiler bleibt. Zusätzlich gibt es ein klares Bekenntnis des ÖGB zu einer solidarischen Lohnpolitik. Das heißt, dass man in den untersten Lohnkategorien überdurchschnittlich anhebt.

KOMPETENZ: Die Öffentlichkeit schaut immer besonders interessiert auf die Metaller-Abschlüsse. Wenn dort ein gutes Ergebnis erzielt wird, hat das auch Einfluss auf die Verhandlungen in anderen Branchen. Warum ist das so?

Brigitte Pellar: Die Metallindustrie löste die Textilindustrie als Leitindustrie ab. Sie konnte, später gemeinsam mit der Elektroindustrie, mit den großen halb oder ganz verstaatlichten Betrieben, die besten Abschlüsse erzielen. Das hilft auch schwächer organisierten Gewerkschaften gute Ergebnisse herauszuholen.

KOMPETENZ: Warum ist das aber so?

Brigitte Pellar: Weil das eine Latte setzt und die ArbeitgeberInnenseite sich schwerer tut zu sagen, das geht nicht. Aktuell hat allerdings die Metallindustrie schlechter abgeschlossen als das Bewachungsgewerbe und das Flughafensicherheitspersonal, das kurz darauf ein Plus von im Schnitt 10,3 Prozent durchsetzte. Die Metaller haben heuer nicht am besten abgeschlossen, weil man nicht sicher wusste, wie sich die Energiesituation entwickelt.

KOMPETENZ: Heuer ist der Blick auf die einzelnen Kollektivvertragsverhandlungen besonders interessant, zuletzt ging es um den Handel und die Eisenbahner. Anliegen Nummer eins ist das Abgelten der hohen Inflation. Wann gab es dieses Thema schon einmal?

1920er-Jahre

Brigitte Pellar: Um die Inflation ging es massiv in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Damals hat man über die Kollektivverträge eine gleitende Lohnskala durchgesetzt. Man konnte nicht alle fünf Wochen neu verhandeln und hat daher ein Modell geschaffen, mit dem die Inflation automatisch abgegolten wurde. Das war bis zur Sanierung des Budgets durch einen Kredit des Völkerbunds, der 1924 voll griff, wirksam. Durch diese Sanierung entstand der harte Schilling, der berühmte Alpendollar, aber der Wirtschaftsaufschwung wurde gebremst und die Arbeitslosigkeit stieg wieder.

Zu Beginn der Zweiten Republik bestand wieder die Gefahr einer hohen Inflation. Der ÖGB versuchte mit „Lohn-Preis-Abkommen“ gegenzusteuern. Die Unternehmen sollten sich mit den Preisen zurückhalten, die Gewerkschaften würden dafür nicht alle Möglichkeiten zur Lohnerhöhung ausschöpfen. Es wurden trotzdem gute Kollektivverträge abgeschlossen, von denen aber in erster Linie die niedrigen Lohngruppen profitierten. Das führte bei den anderen vielfach zum Unmut und zum Vorwurf, die Gewerkschaft würde die ArbeitnehmerInnen verraten.

KOMPETENZ:  Worum ging es da konkret?

1950

Brigitte Pellar: 1950, nach dem Ende der Subventionierung der Landwirtschaft durch den Marshall-Plan, dem Wiederaufbauprogramm der USA für Europa, stiegen die Preise auch für Nahrungsmittel sehr spürbar und das merkten vor allem die gut verdienenden FacharbeiterInnen in der Industrie, deren Löhne wenig gestiegen waren. Der Versuch, einen Generalstreik gegen das in diesem Jahr abgeschlossene „Lohn- und Preisabkommen“ zu organisieren, führte zu heftigen Auseinandersetzungen, vor allem, als sich im Herbst die kommunistischen GewerkschafterInnen an die Spitze der Protestbewegung stellten. Viele fürchteten, die Kommunistische Partei würde wie in Nachbarländern einen Putsch planen. Diese Furcht war aber unbegründet, solche Pläne gab es nicht und die sowjetische Besatzungsmacht hätte sie ohnehin nicht zugelassen, sie brauchte Österreich als Brücke zwischen Ost und West im Kalten Krieg. Das „Lohn-Preis-Abkommen“ wurde nicht gekippt und die gefürchtete Inflation blieb aus, aber das Problem einer unkontrollierten Preisentwicklung, die die Löhne und Gehälter auffrisst, blieb bestehen.

KOMPETENZ: Wie wurde das dann gelöst?

1957

Brigitte Pellar: 1957 wurde die „Paritätischen Kommission für Preise und Löhne“ gegründet In ihr waren – freiwillig – ÖGB, Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer und der Staat vertreten, den Vorsitz führte der Finanzminister. Sie war der Kernder österreichischen Sozialpartnerschaft. Ihre Aufgabe war es nicht zuletzt, dafür zu sorgen, dass die Preise für alles, was die Grundbedürfnisse des Lebens betrifft, unter Kontrolle bleiben – etwas, worüber jetzt wieder diskutiert wird.

Aber ihre Tätigkeit beschränkte sich nicht darauf. Sie entwickelte sich zu einer „triparitären“ Konfliktregelungsplattform der Wirtschaftsparteien und des Staates, wo faire Kompromisse unter Einbeziehung der wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklung gesucht wurden. Das konnte manchmal auch Zurückhaltung der Gewerkschaft bei Lohnforderungen nach sich ziehen, etwa um die 40-Stunden-Woche durchzusetzen.

1990er-Jahre

Sie gibt auch bis heute Kollektivvertragsverhandlungen frei. Ansonsten hat sie ihre Arbeit Anfang der 1990er Jahre im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt eingestellt, da Preisabsprachen aufgrund der EU-Vorgaben nicht mehr getroffen werden konnten. Als Plattform für Konfliktregelung und Interessenausgleich blieb die Sozialpartnerschaft bis zum Jahr 2000 aber weiter wichtig. Damals kündigte die ÖVP-FPÖ-Regierung die Beteiligung des Staates auf, seitdem wird unter Sozialpartnerschaft nur mehr die Kompromissfindung zwischen den Arbeitsmarktparteien verstanden.

KOMPETENZ: Man müsse aus der Geschichte lernen, heißt es. Was bedeutet das im Umgang mit der aktuell hohen Inflation? Sind die massiven Lohnzuwächse, die es mit den aktuellen Kollektivvertragsabschlüssen gibt und die teilweise bei acht, neun, zehn Prozent liegen, das Mittel der Wahl oder befeuern sie nicht nur die Teuerung weiter?

Brigitte Pellar: Mittlerweile haben WirtschaftswissenschafterInnen, und zwar bis auf ganz wenige Ausnahmen, quer durch ihre unterschiedlichen Positionen festgestellt: Das tun sie nicht, besonders nicht in Österreich, denn die Gewerkschaften verhandeln nach dem Prinzip der berühmten Benya-Formel, benannt nach dem ehemaligen ÖGB-Präsidenten Anton Benya. Berücksichtig wird dabei nur die Inflationsentwicklung bis zu dem Abschluss der Verträge und nicht eine prognostizierte. Das hat also keine Auswirkung für die Zukunft. Berücksichtigt wird außerdem die Produktivitätsentwicklung, die derzeit in einigen Branchen trotz Covid- und Energiekrise sehr gut ist. Ein Teil dieser Produktivitätsentwicklung muss auch für die ArbeitnehmerInnen etwas bringen, eine entsprechende Lohnforderung hat auch hier keinen preistreibenden Effekt.

Darüber hinaus wird es vernünftig sein, für bestimmte Güter Preisobergrenzen einzuführen, wie das zu Recht von Gewerkschaften und AK gefordert wird. Sogar die EU, die gerne auf den freien Markt setzt, hat jetzt solche Preisregulierungen frei gegeben. Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, hätten wir mit der ursprünglichen Form der österreichischen Sozialpartnerschaft ein gutes Modell, um solche notwendigen Markteingriffe gut zu organisieren.

Zur Person:

Brigitte Pellar, geb. 1947 in Hermagor, aufgewachsen und Matura in Villach, danach Geschichtestudium an der Universität Wien. Schon während des Studiums für IFES tätig, dort fast zehn Jahre Projektleiterin für Studien unter anderem zum Bereich Arbeitsmarkt. Anschließend im ÖGB-Verlag für die Erstellung von Schulungsunterlagen für BetriebsrätInnen zuständig sowie Arbeit an vielen historischen Publikationen, unter anderem die Geschichte vieler Gewerkschafteb.1989 Wechsel in die Arbeiterkammer, dort zunächst politische Sekretärin im Bereich Bildungspolitik, später bis zur Pensionierung 2007 Leiterin des Geschichtsinstituts von ÖGB und AK. Parallel dazu Lehrauftrag am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien. Bis heute ist Pellar als Forscherin und Autorin für Gewerkschaftsmedien tätig.

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