In der Pflege fehlt es überall am Personal und am Nachwuchs, die Situation ist nach wie vor extrem angespannt. Sabine Maier und Markus Prantl, beide BetriebsrätInnen in Pflegeeinrichtungen, kritisieren den akuten Personalmangel und fordern von der Politik tiefgreifende Verbesserungen.
Am Tag der Pflege, dem 12. Mai, versammelten sich die Beschäftigten aus Krankenhäusern und Pflegeberufen gemeinsam am Dornbirner Marktplatz. Ihr Ziel: Politik und Bevölkerung auf die prekäre Lage in der Gesundheits- und Pflegebranche aufmerksam zu machen. „Wir sind dieses Jahr als eine Einheit an die Öffentlichkeit getreten, MitarbeiterInnen aus der Langzeitpflege, der Akutpflege, der Hauskrankenpflege und den Spitälern – alle gemeinsam ziehen wir am gleichen Strang“, berichtet Sabine Maier (57), Betriebsratsvorsitzende im SeneCura Sozialzentrum Lauterach von der Aktion. „In meiner Branche herrscht seit Jahren akuter Personalmangel. Wir alle sind überarbeitet und erschöpft.“
Markus Prantl (49), schlägt in die gleiche Kerbe. „Das große Problem in der Pflege sind der Personalmangel und der fehlende Nachwuchs. Trotz Arbeitszeitverkürzung auf 37 Wochenstunden arbeiten die meisten von uns länger, weil es einfach nicht genug MitarbeiterInnen gibt und ständig eingesprungen werden muss.“ Ebenso wie Maier ist auch Prantl von Beruf Pflegeassistent und Betriebsratsvorsitzender beim gleichen Arbeitgeber. Er und sein BR-Team betreuen die SeneCura-Häuser in Villach-Vassach und in Arnoldstein.
Politik in der Pflicht
Maier und Prantl sehen beide die Politik in der Pflicht. „Ich bin von der Bundesregierung komplett enttäuscht. Es gibt ständig Ankündigungen, die aber dann gar nicht oder nur zum Teil umgesetzt werden“, kritisiert Prantl offen die Vorgehensweise der Regierung.
Auch Maier sieht hier die Wurzel des Problems. Die Umsetzung der Pflegereform ließe leider auf sich warten.
„Die Leute bleiben nicht. Nur einige finanzielle ‚Zuckerl‘ da und dort, das ist zu wenig. Noch dazu jetzt, wo alles teurer wird.“
Sabine Maier
„Die personelle Situation“, nimmt Maier sich kein Blatt vor den Mund, „ist ein Desaster! Und wenn oben von der Politik nichts gemacht wird, müssen wir unten warten.“ Neue Beschäftigte seien schwer zu finden und auch schwer zu halten, weil aufgrund des Personalmangels alle überlastet sind. „Die Leute bleiben nicht. Nur einige finanzielle ‚Zuckerl‘ da und dort, das ist zu wenig. Noch dazu jetzt, wo alles teurer wird.“
Die Situation sei in Wahrheit schon seit 30 Jahren problematisch, erzählt Maier weiter. In Vorarlberg verschärft sich der Personalmangel durch die angrenzende Schweiz, die mit höheren Gehältern GrenzgängerInnen lockt. „Schon in den neunziger Jahren schlugen die GewerkschafterInnen Alarm!“ verweist Maier auf einen Artikel in der ‚Presse‘ von 1990, der von Personalnotstand und zu niedrigen Gehältern berichtet. „Es hat sich seither nichts Grundlegendes geändert. Wir leiden immer noch unter Personalnotstand.“
Engagement als Betriebsrätin
Sabine Maier kommt ursprünglich aus dem Einzelhandel und fand über den mobilen Hilfsdienst zur Pflege. 2016 schloss sie ihre Ausbildung zur Pflegeassistentin ab, bereits 2018/19 hat sie sich als Betriebsrätin engagiert: „Es war mir ein Anliegen, mich einzubringen, das BR-Team neu aufzubauen. Ich möchte auch meine KollegInnen motivieren, sich stärker im Betrieb zu engagieren. Ohne Betriebsrat und ohne Gewerkschaft haben wir keinen guten Kollektivvertrag!“
Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?
Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
Du möchtest mit uns darüber reden? Dann wende dich an unsere Beratung in deinem Bundesland. Alle Kontakte findest du hier: https://www.gpa.at/kontakt
In Maiers Team sind drei aktive BetriebsrätInnen und zwei Ersatz-BR tätig. Ihre Tätigkeit ist mit einem hohen Zeitaufwand verbunden: „Ich möchte jederzeit für meine KollegInnen erreichbar sein, selbst in meiner Freizeit. Sie sollen wissen: Jemand ist für sie da, unterstützt sie, hat ein offenes Ohr.“ Für sie persönlich ist dieses Engagement sehr wichtig: „Wir sind alle so in der Familie, auch zwei meiner Schwestern sind Betriebsrätinnen, das wurde uns in die Wiege gelegt.“
Maier kann gegenüber früher Fortschritte sehen: Im Kollektivvertrag für die Vorarlberger Sozialdienste wurde die Arbeitszeit von 40 auf 39 Stunden verkürzt. Es werden vom Arbeitgeber Supervision und Weiterbildungen angeboten, es gibt auch AnsprechpartnerInnen wie eben den Betriebsrat und außerdem eine österreichweite Ombudsfrau von SeneCura. Was sich ebenfalls geändert hat: „Früher hat man als kleine Bürgerin nicht gewagt, den Chef oder den Bürgermeister zu kritisieren. Heute trauen wir uns, auf die Straße zu gehen, so wie am 12. Mai, und unsere Anliegen öffentlich zu machen. Das war ein harter Weg!“
Berufung Pflege
Markus Prantl kommt ebenfalls aus einem anderen Beruf. Als gelernter Bürokaufmann war er lange Zeit auf der Suche nach einer Tätigkeit, die ihn wirklich ausfüllt. Nach einem Schnupperpraktikum im Pflegebereich wusste er, dass er seine Berufung gefunden hatte. Seit 11 Jahren arbeitet er nun als Pflegeassistent, seit 2017 auch als Betriebsrat und mittlerweile BR-Vorsitzender an seinem Arbeitsplatz in Villach-Vassach sowie im Haus in Arnoldstein.
„Wir haben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte, und die meisten von uns arbeiten einfach zu viel.“
Markus Prantl
Zusammen in einem Team von fünf BR-Mitgliedern betreut er insgesamt rund 120 Beschäftigte. Er will seine KollegInnen unterstützen und beraten: „Wir haben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte, und die meisten von uns arbeiten einfach zu viel. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Dienstpläne zu erklären, die Arbeitszeiten und die Einhaltung der Ruhezeiten, aber auch die Urlaube und Sonderurlaube. Was im Kollektivvertrag steht, muss umgesetzt werden, darauf liegt mein Hauptaugenmerk.“
Langsam und stetig haben sich die Dinge zum Besseren geändert, die KollegInnen sind froh, dass sie jederzeit auf die Unterstützung durch den Betriebsrat im Haus bauen können
Darüber hinaus haben er und Maier als weiteren Schwerpunkt Aktionen für die MitarbeiterInnen initiiert. Prantl und sein Team organisieren Betriebsausflüge, Vergünstigungen für den Einkauf und im Tourismus, wie z.B. preisreduzierte Schikarten im Winter oder Ermäßigungen bei Thermenbesuchen. Maier setzt ebenfalls auf gemeinsame Ausflüge und vergünstigte Einkäufe bei regionalen Unternehmen, besonders im Fitnessbereich.
Gutes Gesprächsklima
Die betriebliche Zusammenarbeit beschreibt Prantl als gut. Man treffe sich regelmäßig zu Besprechungen, bei einem guten Gesprächsklima. „Ich versuche, auch die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers zu verstehen. Ohne Kompromisse geht es eben nicht. Wir sitzen im gleichen Boot, und es läuft besser, wenn wir alle gleichzeitig rudern.“
Das Haus im Zentrum von Lauterach, in dem Maier arbeitet, wird derzeit vergrößert und umstrukturiert. Neue MitarbeiterInnen werden eingestellt, neue BewohnerInnen aufgenommen. Auch sie ist mit der betrieblichen Zusammenarbeit zufrieden. „Für uns als BR-Team bedeutet die Erweiterung viel zusätzliche Arbeit. Wenn etwas nicht passt, spreche ich das bei der Leitung an und wir finden gemeinsam eine Lösung.“ Letzten Endes müssen alle am gleichen Strang ziehen, wenn es darum geht, gute neue Beschäftigte zu finden.
Pflegelehre
Viele aktuelle politische Entscheidungen haben wenig mit den Anforderungen der Praxis zu tun, kritisiert Prantl. Insbesondere an der Pflegelehre lässt er kein gutes Haar: „Aus meiner Sicht ist es nicht tragbar, junge Menschen bereits so früh mit Krankheit, Leid und Tod zu konfrontieren.“ An sich ist vorgesehen, erst ab dem 17. Lebensjahr ‚am Bett‘, also direkt mit den PatientInnen, zu arbeiten. Nur: „Was sollen die Lehrlinge denn dann in den ersten beiden Lehrjahren zwischen 15 und 17 erlernen?“ Prantl warnt davor, sehr junge Menschen zu früh in diesen schwierigen und oft psychisch belastenden Beruf zu stoßen. „Ich habe PraktikantInnen gesehen, die sind zerbrochen und haben ihre Berufslaufbahn aufgegeben. Für diese Aufgabe braucht man ein Minimum an Lebenserfahrung. Und die hat man nicht mit 17.“
Von der Politik erwartet sich Prantl alternative Lösungen, eine bessere Bezahlung sei wichtig, reiche allein aber nicht aus. In Kärnten hatte er zusammen mit anderen BetriebsrätInnen die Idee, zur Entlastung des Pflegepersonals Hilfskräfte einzustellen, die nicht-pflegerische Tätigkeiten ausführen, wie z.B. Essen reichen, Betten machen, Wäsche waschen, u.a.m. Das Land Kärnten stellte insgesamt 120 solcher Hilfskräfte, auf alle Heime verteilt, ein. „Das ist für uns eine echte Entlastung! Und diese Arbeitskräfte sind am Arbeitsmarkt verfügbar, da sie keine Fachausbildung benötigen. Solche Problemlösungen sollten bundesweit angedacht werden“, fordert Prantl.
Arbeitszeit
Was die Arbeitszeit angeht, besteht die Forderung nach einer weiteren Verkürzung auf 35 Stunden um die Beschäftigten zu entlasten. „Die 37-Stunden-Woche, die wir gemeinsam mit der Gewerkschaft erkämpft haben, ist ein großer Fortschritt“, sagt Prantl. „Aber da wir unter akutem Personalmangel leiden, sind es in der Realität doch oft mehr Stunden, weil die Dienstpläne zu unsicher sind und oft eingesprungen werden muss. Arbeitszeitverkürzung funktioniert nur, wenn es ausreichend Beschäftigte gibt.“
„Die 37-Stunden-Woche, die wir gemeinsam mit der Gewerkschaft erkämpft haben, ist ein großer Fortschritt“
Markus Prantl
Auch bei den behördlichen Kontrollen vom Arbeitsinspektorat und vom Land wären Verbesserungen notwendig. Bei den Landeskontrollen erhalte Prantl als Betriebsrat kein Protokoll und ist auch nicht mit eingebunden. „Das muss sich ändern, denn die Kontrolle der Arbeitsbedingungen sehe ich als ureigenste Aufgabe des Betriebsrates.“
Fachkräfte
Maier und ihre BR-KollegInnen aus den anderen Vorarlberger Häusern treffen sich regelmäßig zum Austausch und für Gespräch. Prantls Ziel wäre eine zentrale Vertretung für alle MitarbeiterInnen für alle Häuser über ganz Österreich.
„Heute ist endlich klar, dass Pflege ein Beruf ist!“
Sabine Maier
Beide wollen sie sich weiter dafür einsetzen, dass sich in der Branche die Dinge endlich zum Besseren ändern. Arbeitszeit, Bezahlung und Ausbildung – es besteht ein enormer Reformstau, in einer Frauenbranche, die über die Jahre hinweg gelernt hat, für ihre Forderungen aufzustehen. Maier bringt es auf den Punkt: „Früher haben diese Arbeit die Klosterschwestern verrichtet, die machten das aus Nächstenliebe ohne Geld zu verlangen. Dann übernahmen das die Hausfrauen. Heute ist endlich klar, dass Pflege ein Beruf ist! Man sucht qualifizierte Fachkräfte, doch die haben sich eine entsprechende Bezahlung und Arbeitsbedingungen verdient.“
Das könnte dich auch interessieren:
- Margit Luxner ist Betriebsratsvorsitzende im Altenwohnheim im Altenwohnheim in Kitzbühel und hat für die Beschäftigten eine bessere Anrechnung der Vordienstzeiten erkämpft.
- Marianne Schiel-Koren ist Betriebsratsvorsitzende der Wiener Sozialdienste. Sie will die Lage in den sozialen Berufen verbessern.
- Mehr über die Rechte und Pflichten eines Betriebsrats verrät dir unsere Rechtsexpertin Andrea Komar.