Mit Jahresende arbeiten Journalist:innen ohne Kollektivvertrag*. Für Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell wird damit am falschen Eck gespart. Anstatt den Qualitätsjournalismus weiter zu schwächen fordert er europäische Digitalplattformen und eine Bildungsoffensive zur besseren Unterscheidung von Werbung und seriöser Berichterstattung.
*Ende September kündigte der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) den „Journalisten-Kollektivvertrag“ einseitig auf. Die Journalist:innengewerkschaft hat sich inzwischen mit dem VÖZ darauf verständigt, dass die Kündigung ohne inhaltliche Vorbedingungen zurückgezogen wird und Verhandlungen aufgenommen werden. Alle geplanten Kampfmaßnahmen sind daher vorerst ausgesetzt.
KOMPETENZ: Hat es Sie überrascht, dass der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) den Kollektivvertrag (KV) für Journalist:innen mit Ende 2023 aufgekündigt hat?
HAUSJELL: Nein, denn die Strategie der journalistischen Arbeitgeber ist seit Jahren von geringer Perspektiven-Freudigkeit geprägt. Nachdem im Frühjahr mit der Limitierung der „blauen“ ORF-Seiten versucht wurde, ein gut funktionierendes, öffentlich-rechtliches Online-Medium zu ruinieren, ist die Aufkündigung des KVs jetzt der nächste, sehr unvernünftige Schritt von Seiten der Medienunternehmen.
KOMPETENZ: Warum ist die Kündigung unklug?
HAUSJELL: Es ist wenig umsichtig, die Journalist:innen selbst zum Teil des Problems zu machen. Die Branche leidet seit mehr als 20 Jahren unter Einnahmenverlusten, die mit der erstklassigen Arbeit der Berichterstatter:innen nichts zu tun haben. Die Wissenschaft meldet das den Eigentümern und der Politik auch regelmäßig zurück.
Durch das Aufkündigen des Kollektivvertrags wird signalisiert, dass die Journalist:innen als Kostenfaktor zu teuer kämen. Das ist grundlegend falsch. Die Verantwortung für Fehlentwicklungen liegt bei Eigentümern und Managern, die ja alle Vorgänge in der Branche maßgeblich steuern können.
KOMPETENZ: Welche Fehler wurden gemacht?
HAUSJELL: Digitale Ausspielformate, die durch das Internet möglich geworden sind, wurden über mehr als zwei Jahrzehnte lang kostenlos hergeschenkt. Das war keine Entscheidung der Journalist:innenen, sondern des Medienmanagements. Wir haben mehrere Generationen in der Gewohnheit aufwachsen lassen, digitale Medien gratis zu konsumieren. Woher soll da eine Bereitschaft kommen, für qualitätsvolle Inhalte zu bezahlen?
„Die Medienmanager haben es verabsäumt digitale Vertriebskanäle in Europa aufzubauen, über welche die Werbeeinnahmen zu nationalen Qualitätsmedien zurückfließen.“
Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell
Das Medienmanagement war im Dornröschenschlaf.
Die Manager:innen haben es verabsäumt, eigene digitale Ausspielformate und europäische Vertriebsplattformen zu entwickeln. Stattdessen hat man tatenlos zugesehen, wie die große digitale Konkurrenz aus den USA und China den bestehenden Werbemarkt zunehmend abgrast. Die Werbeeinnahmen sind zu den Digitalgiganten abgewandert, den traditionellen Medien im Land ging ein zentrales Standbein ihrer Finanzierung Stück für Stück verloren.
Um den weltweiten Digitalgiganten auf europäischer Seite die Stirn zu bieten, hätten gemeinsame Vertriebskanäle entwickelt werden müssen. Um diese europäische Plattform vor einem Kauf durch Giganten zu schützen, sollte sie genossenschaftlich organisiert sein.
KOMPETENZ: So würden mehr Werbeeinnahmen in Europa bleiben?
HAUSJELL: Genau. Auf starken europäischen Ausspielformaten könnten die Genossenschafts-Eigner ihre eigenen digitalen Inhalte bringen und mit Werbung finanzieren. Anstatt abzusichern, dass die Werbegelder so in die eigenen Kassen zurücklaufen, haben sich die Medienmanager:innen mit den Digitalgiganten herumgeschlagen um ihnen in mühsamen Verhandlungen abzuringen, dass zumindest ein paar ihrer ausgespielten Inhalte ein wenig abgegolten werden. Schlau wäre es, die Digitalgiganten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und das nationale Werbepotential mit Hilfe eines klugen digitalen Vertriebssystems von der rückläufigen Printstruktur in das boomende digitale Segment hinüberzuholen.
KOMPETENZ: Verschlechtert die zunehmende Digitalisierung die Qualität der Inhalte?
HAUSJELL: Das Qualitätsproblem entsteht dadurch, dass die Print-Branche laufend auf die schwindenden Einnahmen aus der Werbung reagiert, indem beim Personal gespart wird. Bereits vor der Jahrtausendwende sind die Kleinanzeigen für Autos, Wohnungen, Beziehungen und Arbeit als sichere Einnahmequelle weggebrochen und in digitale Portale abgewandert. Damals hätten sich die Medienkonzerne strukturelle Gedanken machen müssen, wie durch guten Lobbyismus digitale Ausspielkanäle europäischen Zuschnitts abgesichert werden können. Mit der Entwicklung der Smartphones, die persönliche Daten der Nutzer:innen sammeln und damit punktgenaue Werbung absetzen können, wanderten auch sehr viele Großanzeigen in die digitalen Portale.
KOMPETENZ: Wie könnte so eine europäische Medienplattform aussehen?
HAUSJELL: Das wäre eine Plattform, auf der nationale Medien komplett ausgespielt werden könnten und alles, was rundherum an Werbung geschalten wird, würde anteilig den beteiligten europäischen Medien zu Gute kommen – nicht wie derzeit den Digitalgiganten in China oder Silicon Valley.
Darüber hinaus sollten wir attraktive Social-Media-Kanäle aufbauen, die sich von den chinesischen und amerikanischen Plattformen unterscheiden, indem sie europäische Standards etwa in puncto Hass-Reden berücksichtigen. Die Persönlichkeitsrechte der Nutzer:innen wären dort besser geschützt als derzeit. Zudem sollte jeder Beitrag von User:innen gleiches Gewicht bekommen, um damit Debatten demokratischer zu gestalten. Die Werbung in den Social-Media-Kanälen europäischen Zuschnitts sollte jenen zu Gute kommen, die gehaltvolle journalistische Inhalte beisteuern.
„Wir brauchen europäische Social-Media-Kanäle, die demokratische Prozesse stützen und die Persönlichkeitsrechte der Nutzer:innen besser schützen.“
Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell
Aktuell geben wir einen Großteil unserer gesellschaftspolitischen Steuerungskompetenz an ausländische Großkonzerne ab. Dort gibt es keine klaren Kennzeichnungspflichten für PR und Propaganda. Eine europäische Medienstruktur könnte, auch dank automatisierter Übersetzungssoftware, eine europäische Öffentlichkeit schaffen, die weit mehr im Blickpunkt hat, als nationale Interessen.
KOMPETENZ: Können wir auf den digitalen Zug noch aufspringen?
HAUSJELL: Ja, durch ein auf mehrere Jahre ausgelegtes Notprogramm zur Rettung des komplexen journalistischen Medienangebotes. Es braucht eine gemeinwirtschaftlich ausgelegte Vertriebsstruktur für digitale Inhalte um den Qualitätsjournalismus und faire Arbeitsbedingungen in Europa langfristig zu gewährleisten.
Auf nationaler Ebene bräuchten wir eine Medien-Bildungsinitiative, die sich nicht auf Schulen beschränkt. Wir haben das Problem, dass mehrere Generationen an Erwachsenen nicht ausreichend in der Lage sind zu unterscheiden, welche Neuigkeiten im digitalen Raum Werbung, Propaganda, PR, Fake-News oder hochqualitativer Journalismus sind.
KOMPETENZ: Wie könnte das gelingen?
HAUSJELL: Es braucht eine breite kritische Auseinandersetzung mit kursierendem Unsinn in den real existierenden Social-Media-Kanälen. Dieser Aufgabe sollte sich der Journalismus in Form eines neuen Medien- und Faktenprüfjournalismus widmen. Journalistische Medien sollten Geschichten, die auf Social-Media stark viral gehen, auf den Faktengehalt und den Absender hin prüfen. Die daraus entstehenden Artikel sind im klassischen Sinn zwar Nicht-Geschichten. Aber sie müssen künftig geleistet werden, um dem medial in Umlauf befindlichem Unfug etwas entgegen zu halten und somit langfristig das Wasser abzugraben. Weil über die Jahre, Menschen anhand derartiger Medienkonsumentenschutz-Stories wieder stärker zu journalistischen Medien greifen werden.
KOMPETENZ: Braucht es eine grundsätzliche Aufklärung, wie guter Journalismus funktioniert?
HAUSJELL: Ja, das auch. Denn vielen Medien-Konsument:innen ist nicht klar, dass sie auf Social-Media-Kanälen ungeprüfte Inhalte lesen, die teils kommerzielle Hintergründe haben und mit unabhängiger Berichterstattung nichts zu tun haben. Sie merken gar nicht, dass sie manipuliert werden, weil sie den Unterschied zwischen journalistischer Themenbearbeitung und gesponserten Inhalten nicht erkennen. Heutzutage gehen skurrile Geschichten, die früher höchstens am Wirtshaustisch erzählt wurden, viral. Jeder kennt sie und einige Menschen halten sie zumindest teilweise für wahr.
Es wird der Bevölkerung aber nicht leicht gemacht. Mit Schaudern erinnere ich an den hohen Stellenwert der Message-Control Politik von ÖVP-Kanzlersprecher Gerald Fleischmann, der ein eigenes Kürzel als Synonym für gesteuerte Fehlinformationen verwendete: „SNU“ – für „Strategisch notwendigen Unsinn“. Solche Auswüchse müssten als Kommunikationsstrategie einer Regierung verboten oder zumindest öffentlich geächtet werden.
„Ohne Medienbildung können die Leute schlecht zwischen recherchierten Beiträgen und manipulativer Propaganda unterscheiden.“
Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell
KOMPETENZ: Was sagt die Politik zu Ihren Konzepten?
HAUSJELL: Bereits vor knapp zwei Jahren habe ich gemeinsam mit anderen Medienwissenschafter:innen entsprechende Vorschläge an Medienministerin Susanne Raab gemacht. Leider wurde der Bereich Medienkompetenz nicht als Förderungsgrund in das neue Qualitätsjournalismusförderungsgesetz aufgegriffen.
So lassen wir die Menschen weiterhin alleine, bei der Sichtung und Sortierung der vielen digitalen Medieninhalte. Die öffentliche Hand vergibt hier die Chance, der Bevölkerung zu vermitteln, dass sie bei qualitätsvollem Journalismus gut aufgehoben wäre.
KOMPETENZ: Welche Auswirkungen hat das?
HAUSJELL: Die Demokratie braucht einen qualitätsvollen Journalismus als unabhängige vierte Macht im Staat. Redaktionen, die journalistisch zur Verbesserung der Medienkompetenz der Bevölkerung beitragen, sollten gefördert werden, um sich dieser Bildungsaufgabe für die gesamte Gesellschaft stellen zu können. Auch freiberuflich tätige Journalist:innen müssen ordentlich bezahlt werden, damit sie nicht daneben besser bezahlte PR-Aufträge annehmen müssen, um sich ihr Leben finanzieren zu können.
Es ist eine schlechte Entwicklung, dass viele Medienunternehmen die Kosten in den Redaktionen noch weiter reduzieren wollen, obwohl in den letzten zwei Jahren bereits Kündigungswellen umgesetzt wurden und parallel dazu eine deutliche Erhöhung der Verkaufspreise über die Bühne gegangen ist. Massenmedien dürfen nicht nur für die Eliten leistbar sein, Menschen mit geringem Einkommen sollten nicht nur jene Medien nutzen können, die kostenlos zugänglich sind.
KOMPETENZ: Sollte gestreikt werden?
HAUSJELL: Ich habe großes Verständnis für Streiks, sie wären eine gute und öffentlichkeitswirksame Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu erreichen und erklären zu können, dass es hier darum geht, für die Bereitstellung qualitätsvoller journalistischer Inhalte eine faire und gerechte Entlohnung zu bekommen.