Wo die Solidarität zählt

Seit 2018 ist Eva Milev freigestellte Betriebsrätin bei der VHS Wien und für rund 800 Beschäftigte zuständig.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die studierte Dolmetscherin Eva Milev ist stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Wiener Volkshochschulen. Die gebürtige Tschechin verkörpert die Vielfalt und auch den Kampfgeist der Wiener VHS-Mitarbeiter:innen.

Eva Milev, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Wiener Volkshochschulen, stammt ursprünglich aus Brünn. Wenige Monate nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kam sie im Sommer 1990 als 24-Jährige in das knapp 140 Kilometer entfernte Wien. Aus dem geplanten dreimonatigen Aufenthalt dank eines Stipendiums sind mittlerweile mehr als 30 Jahre geworden. Die Absolventin der Pädagogischen Fakultät, hatte ihre ersten deutschen Worte schon als Kind gelernt – schließlich ist es die Muttersprache enger Verwandter. In Brünn, damals noch in der Tschechoslowakei gelegen, absolvierte Milev zudem an der Universität eine staatliche Abschlussprüfung in Deutsch – ein Diplom, das sie letztlich nach Wien brachte.

Die vielen Seiten eines Buches

Was wie ein Studienaufenthalt begann, nahm in einem Bus, eine spannende Wendung. Gerade in einen tschechischen Roman vertieft, wurde sie von einer jungen Frau angesprochen, die Tschechisch in der Volkshochschule (VHS) Floridsdorf unterrichtete, aber aus Zeitmangel gerne ihren Kurs abgeben wollte. Fazit: Eva Milev stellte sich in der betreffenden VHS vor und konnte schließlich den Kurs „Tschechisch für Anfänger“ übernehmen. „Vor der Aufgabe hatte ich keine Angst, weil ich in Brünn bereits einige Jahre Kinder unterrichtet habe“, erzählt die 58-Jährige. Anstatt inmitten einer Schar aufgeweckter Kinder, fand sich Eva Milev plötzlich in einem Raum wissbegieriger Erwachsener wieder. „Das war ein ganz anderer Unterricht, der mir sehr gefiel – so vielen unterschiedlichen Menschen meine Muttersprache beizubringen, machte mir einfach Spaß.“ Die Volkshochschule eröffnete ihr neue Zugänge im Unterricht, Milev konnte Fort- und Weiterbildungen besuchen.

Parlieren statt Pauken

In den frühen 1990er Jahren war es noch geübte Praxis, eine neue Sprache erst über die Grammatik und durch die Anwendung der Fälle zu erproben – von angewandter Kommunikation noch keine Spur.

„Die Kursteilnehmer:innen wollten nicht zwei Jahre warten, bis sie ein paar korrekte Sätze bilden konnten“, berichtet die stellvertretende VHS-Betriebsratsvorsitzende. Noch recht neu in der Stadt, war die junge Brünnerin mit genug Energie und Neugier ausgestattet, um den Wünschen ihrer SchülerInnen prompt entgegen zu kommen. Das Lehrbuch landete in der Schublade, stattdessen setzte Milev eigene authentische Unterrichtsmaterialien ein. Die Grundlage dafür war die Fremdsprachenwachstums-Methode. Schnell zeigte sich: die Volkshochschüler:innen hatten nun viel mehr Spaß am Spracherwerb. Einige von Milevs Kursteilnehmer:innen wollten stetig weiter lernen – die Gruppe blieb ganze fünf Jahre gemeinsam in der VHS. „Als sie dann ihren wirklich letzten Kurs absolviert hatten, haben einige von ihnen beinahe perfekt Tschechisch gesprochen und sie kannten sich auch mit vielen Sprachlernmethoden aus, da wir alles, was ich mir im Laufe der Jahre angeeignet habe, im Kurs ausprobiert haben“, erzählt Eva Milev.

Hausübung für den Betriebsrat

Während ihrer Zeit als Studentin am Zentrum für Translationswissenschaft (Deutsch/Tschechisch/Russisch) der Uni Wien (damals noch das „Institut für Übersetzen und Dolmetschen“), unterrichtete Eva Milev abends an der VHS. Seit 2001 ist sie nun hauptberuflich in der Volkshochschule tätig und angestellt. Damals wechselte sie in die VHS Ottakring und arbeitete im Jugendbildungszentrum (JUBIZ) dabei unterrichtete junge Migrant:innen in der Sprachförderung und im Pflichtschulabschluss. Junge Menschen bei ihrem Start in ihre neue Heimat zu begleiten, ihnen ein solides Fundament geben auf dem sie ihre Zukunft selbst aufbauen können, ist extrem herausfordernd, aber auch ein Privileg. „Wo sonst kann man so vielen Menschen die eigenen Wertvorstellungen auf den Weg geben und ihnen vorleben, dass man trotz aller Unterschiede gut miteinander leben kann“, führt Eva Milev aus.

Wenn sie heute Jawad aus dem Irak trifft, der stolz berichtet, dass er jetzt eine Filiale eines Lebensmittelgeschäftes leitet und gerade dabei ist, die Matura nachzuholen (selbstverständlich an „seiner VHS“) oder wenn ihr im Krankenhaus Baljdiner aus Indien in ihrer Schwesternuniform über den Weg läuft, da weiß sie, dass ihre Arbeit Sinn gibt. „Es gibt viele solche Begegnungen und ich freue mich jedes Mal aufs Neue, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitragen konnte das Leben dieser Menschen zu verbessern. Ich bin überzeugt, dass mich meine Zeit im JUBIZ für meine Tätigkeit als Betriebsrätin bestens qualifiziert hat“, sagt Milev schmunzelnd.

Handeln mit Kopf, Hand – und Herz

Vor gut 10 Jahren wurde die Wahlwienerin von einer VHS-Kollegin auf eine Kandidatur im Betriebsrat angesprochen. „Zu der Zeit habe ich gar nicht so richtig gewusst, was ein Betriebsrat eigentlich für Aufgaben hat“, muss Milev heute lächeln. Auch war ihr gar nicht klar, dass sie als Nicht-Österreicherin auf einer Betriebsratsliste kandidieren durfte. (De facto wurde das Gesetz erst einige Jahre in diesem Sinne geändert)

„Ich habe mich informiert, wo ich die richtigen Werkzeuge dafür finden kann und mich deshalb in der Gewerkschaftsschule angemeldet.“

Eva Milev

Neugierig geworden, sagte Eva Milev der Kollegin zu. „Und wenn ich mich zu etwas entschließe, dann mache ich das schon auch ordentlich“, erklärt sie. Als Ersatzbetriebsrätin nominiert, wollte sie von Grund auf über alle Rechte und Pflichten eines Betriebsrats genau Bescheid wissen. „Ich habe mich informiert, wo ich die richtigen Werkzeuge dafür finden kann und mich deshalb in der Gewerkschaftsschule angemeldet.“ Zwei Abende pro Woche und bei einigen Wochenend-Workshops studierte Milev die Rechte der Arbeitnehmer:innen. „Das war neben dem Job und der Familie gar nicht so einfach“, erinnert sich die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende an den 2-jährigen Lehrgang.

Mitbestimmungsrechte auf Betriebsebene und viel Arbeitsrecht gehören genau wie demokratische Grundrechte im Staat zum Inhalt des Lehrgangs. An den Abenden wurde häufig diskutiert, besonders wichtig war Eva Milev auch der Austausch mit ihren Kolleg:innen aus anderen Branchen. „Das war sehr interessant, weil Du ja immer in der eigenen Blase lebst.“ Seit 2018 ist Eva Milev freigestellt und für die gut 800-köpfige Belegschaft, mehrheitlich Frauen, zuständig. Das Betriebsrats-Team von Montag bis Freitag für die Belegschaft erreichbar.

Neben ihrer Arbeit im Betrieb, ist Eva Milev auch Mitglied im kleinen Verhandlungsteam für den Kollektivvertrag der privaten Bildungseinrichtungen (BABE).
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Für die Kolleg:innen da zu sein, ist für Milev das Kernstück der Betriebsratsarbeit. Offene Tür und offenes Ohr für ihre Anliegen zu haben, egal ob groß oder klein, sich Zeit zu nehmen, und gemeinsam versuchen Lösungen oder den richtigen Ansprechpartner zu finden, ist ihr wichtig. Viele Fragen drehen sich um Wiedereingliederung, Bildungskarenz oder Altersteilzeit. „Am Vormittag helfe ich bei der Arbeitnehmer:innenveranlagung, am Nachmittag wird die Lohnabrechnung überprüft. Jeder Tag ist anders, ich weiß nie, wer gerade anruft, wo der Schuh drückt.“ Auch gibt es genügend Kolleg:innen, die jahrelang freiberuflich tätig waren und nun nicht wissen, was ihnen als Angestellte etwa bei einem Krankenstand oder einer Pflegefreistellung zusteht.

„Am Vormittag helfe ich bei der Arbeitnehmer:innenveranlagung, am Nachmittag wird die Lohnabrechnung überprüft. Jeder Tag ist anders, ich weiß nie, wer gerade anruft, wo der Schuh drückt.“

Eva Milev

Divers, vielfältig und zu geduldig

Offen für andere Lebensformen/Lebensrealitäten zu sein, das ist gelebte Praxis in den Wiener Volkshochschulen, die so divers wie vielfältig sind. „Wir haben viele Mitarbeiter:innen mit Migrationshintergrund und mindestens 40 Nationalitäten“, weiß die stellvertretende VHS-Betriebsratsvorsitzende. Dass Deutsch dabei nicht die gängige Erstsprache ist, macht eben keinen Unterschied, sondern bereichert die Vielfalt: „Bei uns ist es egal, ob Du mit Akzent sprichst, wie Du lebst und wen Du liebst, für uns zählt, was Du kannst“, erklärt Eva Milev, die sich ihren feinen tschechischen Akzent bewahrt hat. Doch dass diese Freude an der Vielseitigkeit keine Selbstverständlichkeit ist, hat Milev aus vielen anderen Firmen erfahren – und umso mehr schätzt sie ihren Arbeitgeber.

Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?

Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
Du möchtest mit uns darüber reden? Dann wende dich an unsere Beratung in deinem Bundesland. Alle Kontakte findest du hier: https://www.gpa.at/kontakt

Freilich, ungetrübt geht es auch in der Erwachsenenbildung nicht zu. Bei den Kollektivvertragsverhandlungen trifft die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende auf ganz traditionelle Verhaltensmuster: „Die Arbeitgeber:innen lassen uns zwar wissen, wie sehr sie unsere wertvolle Arbeit schätzen, aber sie können leider nicht mehr bezahlen“, ärgert sich Milev über die platten Beschwichtigungsversuche. Doch gerade die adäquate Bezahlung ist bereits seit Jahren ein Thema. „In der Erwachsenenbildung arbeiten viele Frauen und wir Frauen sind einfach zu geduldig“, fasst es Milev zusammen. „Wir fordern, dass sich diese Wertschätzung in unseren Finanzen und in besseren Arbeitsbedingungen widerspiegelt“, erklärt sie engagiert und setzt sich dafür ein, dass im Babe-KV (Berufsvereinigung der Arbeitgeber:innen privater Bildungseinrichtungen) mehr Vordienstzeiten angerechnet werden. Denn es ist eine dieser leidigen Geschichten: „In unserer Branche laufen Projekte nach einiger Zeit aus, um einen neuen Job zu finden, müssen die Kolleg:innen aber oft ihren Arbeitgeber wechseln – da werden in vielen Fällen die erworbenen Vordienstzeiten gar nicht angerechnet. Das muss sich ändern, gleichzeitig ist es wichtig, Druck auf die Fördergeber auszuüben, damit die Projekte über längere Zeiträume ausgeschrieben werden“. erklärt Eva Milev, die seit 2019 Teil des kleinen BABE-KV-Verhandlungsteams ist. „In der Erwachsenenbildung arbeiten mehrheitlich Frauen, durch die derzeitige Praxis entsteht eine große Benachteiligung, wichtige Anrechnungsjahre gehen so verloren, die sich nicht nur in der Einkommenshöhe, sondern auch in der späteren Pensionshöhe sehr bemerkbar machen.“

„In unserer Branche laufen Projekte nach einiger Zeit aus, um einen neuen Job zu finden, müssen die Kolleg:innen aber oft ihren Arbeitgeber wechseln – da werden in vielen Fällen die erworbenen Vordienstzeiten gar nicht angerechnet. Das muss sich ändern.“

Eva Milev

Bis zu einem erfolgreichen KV-Abschluss, brauchte es vergangenes Jahr immerhin fünf Verhandlungsrunden und einen Warnstreik. Auch etwa 300 Mitarbeiter:innen der Volkshochschulen haben sich am Streik beteiligt. „Besonders in diesen Phasen ist Solidarität enorm wichtig“, ergänzt Milev. „Ich wäre nichts ohne meine Betriebsratskörperschaft und wir wären nichts ohne unserer Kolleg:innen.“ Dabei ist es für Eva Milev auch wichtig sich in der Branche zu vernetzen. „Da hilft mir die Zusammenarbeit mit der GPA freilich sehr – Kristina Schwartling, die zuständige Regionalsekretärin, findet schnell Lösungen auf all unsere Fragen.“ Die zahlreichen Bildungsangebote der Gewerkschaft sind da ebenfalls sehr hilfreich. „Gerade letzte Woche habe ich mein Wissen rund um die Elternkarenz und Elternteilzeit aufgefrischt,“ erzählt Milev.

Die schönsten Seiten des Lebens

Beim Lesen und Singen kann die Wahlwienerin so richtig entspannen. Denn allein in den Wiener Volkshochschulen haben sich sieben Chöre zusammen gefunden, Eva Milev probt mit ihren Kolleg:innen in einem Raum am Praterstern. „Im Chor kommt es auf jeden einzelnen Menschen an, damit etwas Schönes dabei rauskommt“, erklärt die Hobbysängerin das Zauberhafte am gemeinsamen Gesang. Auch für ihre zweite große Leidenschaft kann Milev die Infrastruktur der Wiener Volkshochschulen nutzen. Sie ist Teil der Initiative „Marathonlesung – wir lesen Nobelpreis“ (www.marathonlesung.at). Vergangenes Jahr widmete sich die bereits 10. Ausgabe der Veranstaltung in der VHS Hietzing dem Literaturnobelpreisträger Jon Fosse. Eva Milev war eine von etwa 80 Menschen, die den Lesemarathon bestritten haben. Es machte Spaß und der Termin für die 2024 Lesung steht inzwischen schon fest: Nur auf die Verlautbarung der Nobelpreisträger:in wird noch gewartet.

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