Wirtschaftsstandort: Gesamtstrategie gesucht

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Aktuelle Entwicklungen und Ereignisse der letzten Jahre befeuern die Diskussion über die Notwendigkeit einer neuen, strategisch ausgerichteten Standort- und Industriepolitik in Österreich und in Europa.

Österreich steht vor vielen Herausforderungen: Die Corona-Pandemie machte schmerzhaft sichtbar, wie abhängig Europa etwa bei Medikamenten von Produzenten vor allem aus Asien ist. Die unter anderem durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energie- und Teuerungskrise stellt für den europäischen Wirtschaftsstandort eine enorme Belastungsprobe dar. Dazu kommt die Notwendigkeit einer ökologischen Transformation unserer Wirtschaft, die angesichts offensichtlich zunehmender Naturkatastrophen immer dringlicher wird.

Jüngste Konjunkturdaten sowie Hiobsbotschaften aus der europäischen Autoindustrie unterstreichen, dass politisches Handeln dringend nötig ist, um eine Entwicklung in die richtige Richtung zu gewährleisten. Nur so wird es möglich sein, das Modell des europäischen Wohlfahrtsstaates zu erhalten und weiterzuentwickeln. Das ist unumgänglich, denn ohne einer funktionierenden industriellen Produktion innerhalb des eigenen Landes wäre dieser stark gefährdet. Es ist daher kein Zufall, dass die Fragen der Standortsicherung ganz oben bei den nun laufenden Gesprächen über eine künftige Koalition in Österreich stehen.

Gegen eine Politik der Angstmache

„Wir müssen aufpassen, dass das Reden über die multiplen Krisen nicht zu einer Lähmung der handelnden Akteure führen. Angst ist kein guter Ratgeber beim Bewältigen von Problemen. Diese löst man, indem man Dinge genau analysiert und daraus konkrete, pragmatische Schlüsse zieht“, sagt die GPA-Vorsitzende Barbara Teiber. „Wir brauchen eine starke Wirtschaft mit guten Arbeitsplätzen und eine innovative Industrie als Basis unseres gesellschaftlichen Wohlstandes“, so die GPA-Vorsitzende.

„Wir müssen mehr in Gemeinschaftsgütern denken. Viele Projekte der Infrastruktur müssen auch länderübergreifend finanziert werden!“

Gabriel Felbermayr, Chef des WIFO

In diesem Sinne befasst sich die Gewerkschaft GPA in diesem Jahr intensiv mit der Standortsicherung. Im Mai 2024 war sie Thema einer österreichweiten Betriebsrätekonferenz in St. Pölten, in der insbesondere auch die europäische Dimension in den Blick genommen wurde. Dabei erinnerte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Gabriel Felbermayr daran, dass die Europäische Union und ihr Binnenmarkt für die österreichische Gesellschaft enorme Vorteile und Wohlstandsgewinne gebracht habe. Im schärfer werdenden Konkurrenzkampf der Wirtschaftsräume (Asien, USA, EU) verortet Felbermayr Defizite der EU in der Infrastrukturpolitik. Es sei völlig unverständlich, dass es etwa bei Energie- und Verkehrsnetzen keine abgestimmte Vorgehensweise gebe. Er plädierte auch für mehr Gewicht der europäischen Budgetpolitik. Diese müsste mit den entsprechenden demokratischen Strukturen versehen werden. „Wir müssen mehr in Gemeinschaftsgütern denken. Viele Projekte der Infrastruktur sind auf nationaler Ebene nicht zu stemmen und müssen auch länderübergreifend finanziert werden!“, so Felbermayr.

Österreich und Europa brauchen eine Gesamtstrategie

Auf die fehlende strategische Ausrichtung der Standortpolitik machte die GPA gemeinsam mit der Gewerkschaft PRO-GE anlässlich der Präsentation einer Economica-Studie im August in Wien aufmerksam. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Economica untersuchte, welche Schwerpunkte die öffentliche Hand im Infrastrukturausbau zukunftsgerichtet setzen soll.

„Investitionen, die mehreren Generationen Nutzen bringen, sind anders zu behandeln als schuldenfinanzierte laufende Ausgaben.“

Barbara Teiber, GPA-Vorsitzende

„Die aktuelle Diskussion, etwa bei den Senkungen der Körperschaftssteuer oder bei den Arbeitgeberbeiträgen zu den Lohnnebenkosten, hat mit einer ernsthaften Strategie, die unseren Wirtschaftsstandort nachhaltig sichert, nichts zu tun“ erklärten GPA-Vorsitzende Barbara Teiber und PRO-GE-Vorsitzender Reinhold Binder.
„Unsere Stärken wie soziale Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Innovationskraft, Bildung oder das Gesundheitswesen kann man nicht erhalten, wenn man sich mit Steuersenkungsforderungen überbietet. Zentrale Zukunftsthemen sind daher die Schaffung der notwendigen Infrastruktur und die Qualifizierung der Arbeitskräfte. Es besteht die dringende Notwendigkeit, mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Produktivität in unserem Land zu erhöhen. Und dafür ist eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur die Voraussetzung“, so das Resümee der Gewerkschaften.

Investitionen in Energie-Infrastruktur zentral

„Aufgrund des tendenziellen Rückgangs der Wirtschaftsdynamik und der gegenwärtigen konjunkturellen Lage ist Handlungsbedarf gegeben, um den Wirtschafts- und Industriestandort Österreich anzukurbeln, und am Arbeitsmarkt positive Impulse zu setzen. Investitionen in die Infrastruktur bieten sich hier insofern an, als von ihnen kurzfristige wirtschaftliche Impulse ausgehen, und sie zudem langfristig mit einer gesteigerten Produktivität den Wirtschaftsstandort stärken“, so Helmut Berrer vom Economica Institut, Mitautor der Studie.

Großen Handlungsbedarf gibt es laut den ersten Ergebnissen der Economica-Studie besonders im Bereich der Energieinfrastruktur. Erhöhte und zeitnahe Investitionen in das Stromnetz sind demnach notwendig, um zukünftige Engpässe und Stromausfälle zu vermeiden. Das ist außerdem auch Voraussetzung dafür, dass die Energiewende gelingt. „In einer Detailbetrachtung wurde speziell im Bereich der Energieinfrastruktur Aufholbedarf festgestellt, was in Anbetracht der Transformation der Energiesysteme noch stärker an Gewicht bekommt“, so Berrer.

Zentrale Rolle des Staates

Eine strategisch ausgerichtete Standortpolitik und die Transformation der Wirtschaft in Richtung Dekarbonisierung kann nur gelingen, wenn die öffentliche Hand dabei eine aktive Rolle spielt. Regionale Förderungen und Standortsicherungen sind hier zentrale Themen. Man kann diesen unumgänglichen Schritt nicht den Kräften des freien Marktes überlassen. Der notwendige Einsatz von durchaus nicht wenig Steuergeld muss aber auch entsprechende positive Effekte für die Bevölkerung vorweisen.
Eine Gefahr sieht die GPA in der anstehenden, notwendigen Budgetkonsolidierung. Diese darf nicht durch eine Reduktion von Zukunftsinvestitionen vonstatten gehen. „Die Infrastrukturqualität ist ein maßgebliches Kriterium für Standortentscheidungen bei privaten Investitionen. Daher hat unsere Forderung nach einer goldenen Investitionsregel, die öffentliche Investitionen aus der Berechnung von Defiziten und Schulden herausnimmt, angesichts der prekären budgetären Lage leider an Aktualität gewonnen. Investitionen, die mehreren Generationen Nutzen bringen, sind anders zu behandeln als schuldenfinanzierte laufende Ausgaben“, betont Teiber.
Durch derartige Investitionen kann Österreichs Rolle als Industrieland gesichert werden. Dazu braucht es auch entsprechende politische Strukturen, stammen doch schließlich 30 Prozent der Wertschöpfung aus industrieller Produktion „Es ist unverständlich, dass in Österreich die Landwirtschaft mit einer Bruttowertschöpfung von 1,5 Prozent oder Tourismus mit einem Anteil von 3,8 Prozent eigene Ministerien bzw. Staatssekretariate haben, die Industrie aber nicht“, macht der Bundesgeschäftsführer der GPA, Karl Dürtscher, kürzlich auf die Bedeutung des Sektors aufmerksam.

Verbesserungsvorschläge der Economica-Studie

  • Ausbau von Produktion, Leitung und Speicherung erneuerbarer Energien regulatorisch und von der Finanzierungsseite (privates und öffentliches Kapital) massiv vorantreiben
  • Steigerung der digitalen Kompetenzen der Gesellschaft zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
  • Entwicklung eines Gesamtkonzepts zur Erhaltung und zum Ausbau der Konnektivität Österreichs (Luft/Schiene/Wasser)
  • Strategie zur Reduktion von Energieimporten durch heimische erneuerbare Energie
  • Aufforderung zur Einhaltung der Klimaziele auch außerhalb der Europäischen Union

Hier geht’s zur Studie

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