Egal, um welche COVID-19-Maßnahme es geht, diese Frage wiederholt sich in unserer täglichen Rechtsberatung gebetsmühlenartig. Die Vorgaben durch Gesetze und Verordnungen in der Praxis korrekt umzusetzen, ist nicht immer einfach und führt in vielen Fällen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber, Betriebsrat und Beschäftigten. Dementsprechend groß ist der Informationsbedarf.
Anordnung von Urlaubsverbrauch
Maximilian F. ist Betriebsratsvorsitzender in einem Modeunternehmen mit mehreren Filialen. Während des ersten Lockdowns im März haben die MitarbeiterInnen der geschlossenen Filialen sehr viel Urlaub und Zeitguthaben verbraucht. Im zweiten Lockdown im November, verlangte der Arbeitgeber den Verbrauch des gesamten Urlaubs des laufenden Urlaubsjahres. Wer keinen Urlaub mehr offen hatte, sollte einen Vorgriff auf das kommende Urlaubsjahr nehmen oder eine Zeitschuld aufbauen. Maximilian F. bezweifelt, dass diese Anordnung des Arbeitgebers rechtens war.
Wann kann der Arbeitgeber den Verbrauch von Urlaub und Zeitguthaben anordnen?
Wenn Beschäftigte wegen behördlicher Betretungsverbote oder -beschränkungen ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können. Solche Verbote betreffen KundInnen, nicht ArbeitnehmerInnen. Auch in Zeiten eines Lockdowns kann in den Filialen gearbeitet werden (z.B. Inventur). Gibt es keine Beschäftigungsmöglichkeit, können die ArbeitnehmerInnen bei voller Entgeltzahlung zu Hause bleiben, müssen aber im Gegenzug Urlaubs- und Zeitguthaben verbrauchen. Der Alturlaub muss zur Gänze verbraucht werden, aus dem laufenden Urlaubsjahr aber nur zwei Wochen. Insgesamt müssen nicht mehr als acht Wochen an Urlaubs- und Zeitguthaben konsumiert werden.
Wurden diese acht Wochen bereits verbraucht, dann schuldet der Arbeitgeber weiterhin das Entgelt, die Beschäftigten müssen aber keinen weiteren Urlaub oder Zeitguthaben konsumieren. Sie haben ihren Teil geleistet, nun muss der Arbeitgeber leisten. Keine Verpflichtung gibt es außerdem, eine Zeitschuld aufzubauen.
Schließt der Arbeitgeber Filialen, weil sich das Offenhalten nicht rentiert, schuldet er den arbeitsbereiten ArbeitnehmerInnen das Entgelt. Sie müssen weder Urlaub noch Zeitguthaben verbrauchen.
RisikopatientInnen
Beate S. ist im Besitz eines COVID-19-Risikoattestes. Sie gehört aufgrund einer Vorerkrankung zur Risikogruppe. „Trotzdem sagt mein Arbeitgeber, dass ich zur Arbeit kommen muss“, beschwert sie sich. „Ich habe doch einen Freistellungsanspruch.“ Auf Nachfrage erklärt Beate S., dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fährt. Sie sitzt in einem Handelsunternehmen an der Kasse, geschützt durch eine Plexiglaswand, berät aber bei Bedarf auch KundInnen.
Wann haben RisikopatientInnen einen Freistellungsanspruch?
Zunächst benötigen sie ein COVID-19-Risikoattest. Dieses ist dem Arbeitgeber zu übermitteln. Ein Freistellungsanspruch mit Entgeltfortzahlung ergibt sich daraus allerdings noch nicht. Ein solcher setzt nämlich voraus, dass die Arbeit nicht auch zu Hause erbracht werden kann (Home-Office) oder der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen im Betrieb nicht so gestalten kann, dass eine Ansteckung mit COVID-19 mit größtmöglicher Sicherheit ausgeschlossen ist. Dabei ist der Arbeitsweg zu bedenken: Ermöglicht der Arbeitgeber dem/der RisikopatientIn, z.B. mit dem Auto zur Arbeit zu kommen, indem er einen Parkplatz zur Verfügung stellt?
Wann ist ein Arbeitsplatz sicher?
Das hängt von der Art der Tätigkeit ab. Im Fall von Beate S. ist davon auszugehen, dass Kundenkontakte nicht zumutbar sind. Selbst an der Kasse müsste der Arbeitgeber zumindest für einen hochwertigen Mund- und Nasenschutz sorgen, der vor Ansteckung schützt. Auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht zumutbar. Da Beate S. ihre Arbeit nicht im Home-Office verrichten kann und ihr Arbeitsplatz nicht hinreichend gesichert ist, hat sie einen Freistellungsanspruch.
Urlaub muss sie während der Freistellung übrigens nicht konsumieren. Der Arbeitgeber bekommt das bezahlte Entgelt ohnedies ersetzt.
Wie werden Schwangere vor einer COVID-19-Infektion geschützt?
Regina T. ist Physiotherapeutin in einem Institut und hauptsächlich mit Massagen und Krankengymnastik befasst. Dabei lässt sich physischer Körperkontakt mit KundInnen natürlich nicht vermeiden. Regina T. ist schwanger und fragt an, ob sie einen Freistellungsanspruch hat. Sie macht sich Sorgen, dass sie sich mit COVID-19 infizieren und ihr Ungeborenes gefährden könnte.
Schwangere gehören zwar nicht zur Risikogruppe laut Verordnung, allerdings wurde erst kürzlich das Mutterschutzgesetz geändert. Das bedeutet, dass werdende Mütter ab Beginn der 14. Schwangerschaftswoche bis zum Beginn eines Beschäftigungsverbotes mit Arbeiten, bei denen ein physischer Körperkontakt mit anderen Personen erforderlich ist, nicht beschäftigt werden dürfen.
Das bedeutet für Regina T. aber noch keinen Freistellungsanspruch. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, Reginas Arbeitsbedingungen so zu ändern, dass es zu keinem physischen Körperkontakt mehr kommt, oder sie an einem anderen Arbeitsplatz einzusetzen. In beiden Fällen muss der Meterabstand gewahrt werden, Regina steht das bisherige Entgelt zu. Erst wenn all das nicht möglich ist, hat sie einen Freistellungsanspruch.
Veronika L., Betriebsrätin in einem Handelsunternehmen, ist enttäuscht zu erfahren, dass ihre schwangeren Kolleginnen mangels physischen Körperkontakts nicht von dieser Regelung umfasst sind. „Auch bei häufigem Kundenkontakt steigt die Ansteckungsgefahr“, erklärt sie, „und nicht immer kann der Meterabstand eingehalten werden.“ Selbstverständlich muss der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auch schwangere Mitarbeiterinnen im Handel schützen. Kundenkontakte sollten tunlichst eingeschränkt, der Meterabstand gewährleistet werden.
Quarantäne
Damit ist die behördliche Absonderung von Personen wegen Krankheits- bzw Ansteckungsverdachts mit COVID-19 gemeint.
Was bedeutet Quarantäne für ArbeitnehmerInnen?
Die behördliche Absonderung ist eine spezielle Form der Dienstverhinderung, kein Krankenstand. Beschäftigte sind nicht zur Arbeit verpflichtet, bekommen aber weiterhin ihr Entgelt bezahlt. Der Arbeitgeber kann Ersatz für das bezahlte Entgelt beantragen. ArbeitnehmerInnen müssen den Arbeitgeber unverzüglich von ihrer Quarantäne informieren.
Kann ich während der Quarantäne Home-Office vereinbaren?
Grundsätzlich ja, aber es besteht keine Verpflichtung dazu. Wird im Home-Office gearbeitet, hat der Arbeitgeber keinen Anspruch auf Ersatz des ausbezahlten Entgelts.
Was gilt bei Quarantäne nach einem Auslandsaufenthalt?
Wenn ein/e ArbeitnehmerIn sich im Ausland aufhält und bei der Rückkehr in Quarantäne geschickt wird, besteht im Regelfall kein Entgeltanspruch auf Grundlage des Epidemiegesetzes. Hat es sich um eine Dienstreise gehandelt, muss der Arbeitgeber das Entgelt selbstverständlich auch weiterhin bezahlen. Anders sieht es bei einer privaten Reise aus. Die Quarantäne wird dann als Dienstverhinderungsgrund mit Entgeltanspruch gewertet werden, wenn den/die ArbeitnehmerIn kein Verschulden trifft. Bereits leichte Fahrlässigkeit gilt als Verschulden.
Das bedeutet, es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Auslandsreise erforderlich war und ob der/die ArbeitnehmerIn sich im Ausland an alle COVID-19-Maßnahmen gehalten hat. Schlechte Karten werden ArbeitnehmerInnen haben, wenn sie im Ausland Urlaub gemacht und sich unvorsichtig verhalten haben. Sie haben während der Quarantäne wohl keinen Entgeltanspruch.
Was ist bei Auslandsreisen zu beachten?
Zurzeit unterliegen die meisten Staaten Einreisebeschränkungen. Wer ins Ausland reist, sollte daher unbedingt Erkundigungen einholen, um keine böse Überraschung zu erleben. Dagmar W. fragt in unserer Telefonberatung, welche Möglichkeiten sie hat.
Auf der Homepage des Außenministeriums finden sich die aktuellen Reisewarnungen. Unter „Reiseinformation“ und „Länder von A bis Z“ kann man in Erfahrung bringen, ob man bei der Einreise einen negativen SARS-CoV-2-Test vorweisen oder sich womöglich gar in Quarantäne begeben muss. Je nachdem, aus welchem Staat man kommt, gelten auch bei der Rückkehr unterschiedliche Regelungen. Die jeweils aktuelle diesbezügliche Verordnung kann man auf der Homepage des Sozialministeriums unter „Corona-Rechtliches“ nachlesen.Von 19.12.2020 bis 10.1.2021 gelten verschärfte Einreisebestimmungen.
Dagmar W. liegt noch etwas Anderes auf dem Herzen. „Kann es passieren“, möchte sie wissen, „dass sich die Bestimmungen ändern, während ich mich im Ausland aufhalte?“ Ja, dieses Risiko besteht. Je nach Verlauf des Infektionsgeschehens können Bestimmungen von einem Tag auf den anderen verschärft oder gelockert werden. Das sollte man bei Auslandsreisen stets bedenken.
Medizinische Tests im Betrieb
Viele BetriebsrätInnen fragen an, ob der Arbeitgeber Beschäftigte dazu verpflichten darf, sich medizinisch auf eine Infektion mit dem Coronavirus testen zu lassen? Armin K. berichtet vom täglichen Fiebermessen im Betrieb, Tina M. von Gurgeltests.
Was darf der Arbeitgeber?
Grundsätzlich fehlt dem Arbeitgeber die Legitimation, ArbeitnehmerInnen zum täglichen Fiebermessen oder einem medizinischen Test zu verpflichten. Eine solche Anordnung ist ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte. Der Arbeitgeber unterliegt der Fürsorgepflicht, es gibt aber gelindere Mittel, um die Belegschaft vor Ansteckung zu schützen. Außerdem sind Fiebermessen oder einmalige Tests nichts weiter als Momentaufnahmen. Auch datenschutzrechtlich ist vom Grundsatz der Freiwilligkeit auszugehen. Eine Ausnahme besteht dort, wo der Gesetzgeber Testungen aufträgt.