Ein Blick auf einzelne Kollektivverträge zeigt, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit sehr wohl möglich ist.
Die gesetzliche Definition von Vollzeit aus dem Jahr 1975 ist bald 50 Jahre alt. Die Welt hat sich seither stark gewandelt: Der Computer hat die Schreibmaschine abgelöst, hochautomatisierte Prozesse übernehmen Schritte, die in mühsamer Handarbeit erledigt werden mussten. Seit Mitte der 1970er Jahre hat sich die Produktivität verdoppelt. Aber auch der Stress hat zugenommen. In Dienstleistungsberufen, wie etwa in der Pflege, haben Arbeitsverdichtung und Zeitdruck enorm zugenommen. Trotz dieser Entwicklungen hat sich an der gesetzlichen Normalarbeitszeit in den letzten 50 Jahren nichts geändert. Im Gegenteil: Im April dieses Jahres forderte die Industriellenvereinigung sogar eine Erhöhung der Arbeitszeit auf 41 Stunden pro Woche – und zwar unbezahlt.
Erfolge in Kollektivverträgen
Während auf allgemeiner Ebene bisher keine Veränderung erzielt wurde, konnten in Kollektivverträgen bereits Regelungen für einzelne Branchen erreicht werden. Ganz grundsätzlich ist zwischen der Normalarbeitszeit und der Arbeitszeit pro Jahr zu unterscheiden. Während erstere durch eine Reduktion von etwa 40 auf 39 Stunden beeinflusst wird, fällt bei letzterer auch die Urlaubsregelung ins Gewicht. Wird etwa eine sechste Urlaubswoche leichter erreicht, so sinkt die Arbeitszeit auf das ganze Jahr hin betrachtet. Die Gewerkschaft GPA kämpft auf beiden Ebenen dafür, dass die Beschäftigten zu gerechteren Arbeitszeiten kommen.
37 Stunden erreicht
Ein Beispiel für eine Verkürzung der Arbeitszeit auf beiden Ebenen ist der Kollektivvertrag Sozialwirtschaft Österreich, der rund 130.000 Beschäftigte mit Gesundheits- und Sozialberufen umfasst. In diesem ist seit Anfang 2022 eine Arbeitszeit von 37 Stunden für Vollzeitbeschäftigte festgelegt. In einem Sektor, der sowohl physisch als auch psychisch sehr belastend ist, bedeutet eine kürzere Wochenarbeitszeit mehr Erholungszeiten. Dazu kommt, dass die Attraktivität der Branche entsprechend steigt – in Hinblick auf den steigenden Pflegebedarf der österreichischen Bevölkerung äußerst relevant. Der Schritt zur Umsetzung war herausfordernd, erklärt GPA-Verhandlerin Eva Scherz, und verweist auf die Corona-Pandemie. Diese Zeit war gerade im Gesundheitssektor eine besondere Belastung für die Beschäftigten, aber „es kommen immer mehr Rückmeldungen aus den Betrieben, dass die Regelung zu greifen beginnt.“ Neben der Arbeitszeitverkürzung regelt dieser Kollektivvertrag außerdem ein leichteres Erreichen der sechsten Urlaubswoche.
Neben all diesen Erfolgen appelliert Scherz an den Gesetzgeber, eine grundsätzliche Verbesserung herbeizuführen: „Die letzte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung ist ewig her. Eine Anpassung ist also mehr als notwendig.“
Weitere Erfolge in Kollektivverträgen
39 Stunden: Arbeitnehmer:innen der SOS Kinderdörfer
38,5 Stunden: Handelsangestellte, Angestellte in der Elektro- und Elektronikindustrie
38 Stunden: Chemische Industrie, Stein- und keramische Industrie, Papierindustrie, Journalistische Mitarbeiter:innen bei österreichischen Zeitschriften und Fachmedien
35 Stunden: Expeditarbeiter:innen