Arbeitnehmer:innenschutz und Gesundheit am Arbeitsplatz sind immer noch überwiegend an Männern orientiert. Was müssen wir ändern, um eine gerechtere und gesündere Arbeitswelt für Frauen zu gestalten?
Im Rahmen des Kongresses „Active & Strong Woman – Lust auf Gesundheit“ haben die GPA-Frauen in Kooperation mit der AK Wien in diesem Herbst die Frauengesundheit am Arbeitsplatz in den Mittelpunkt gestellt. Denn die Gesundheit von Frauen wird im beruflichen Kontext viel zu oft vernachlässigt. Die Diskussion über eine gesunde Arbeitsumgebung ist untrennbar mit der Debatte über Arbeitszeit und die Flexibilisierung von Arbeitszeiten verbunden – aber auch mit der grundsätzlichen Frage, welche Tätigkeiten überhaupt als Arbeit gewertet werden und welche, wie etwa Care-Arbeit, unbezahlt bleiben.
„Wir brauchen Gendermedizin, da der Lebenszyklus einer Frau – geprägt von Schwangerschaft, Periode und Menopause – anders verläuft als der eines Mannes.“
GPA-Bundesfrauenvorsitzende Sandra Steiner
Die GPA-Bundesfrauenvorsitzende Sandra Steiner beschrieb in ihrer Eröffnungsrede die Frauengesundheit in einem umfassenden Sinn: körperlich, mental und finanziell. Die körperliche Gesundheit bildet unser Fundament. Steiners Forderung: „Wir brauchen Gendermedizin, da der Lebenszyklus einer Frau – geprägt von Schwangerschaft, Periode und Menopause – anders verläuft als der eines Mannes. Trotzdem wird im Betrieb die gleiche Arbeitsleistung erwartet.“
Foto: Edgar Ketzer
Laut Zeitverwendungsstudien, so Steiner, bleibt Frauen aufgrund der Doppelbelastung durch Erwerbsarbeit und Care-Arbeit nur sehr wenig Zeit für Erholung und echte Freizeit. Dazu kommen Arbeitsverdichtung und Personalknappheit, insbesondere in sozialen Berufen, aber auch im Handel oder in der Reinigungsbranche. „Das stellt eine gefährliche Mischung dar, die Frauen psychisch stark belastet“, betont Steiner.
Die dritte Ebene, die finanzielle Gesundheit, ist wesentlich, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen und etwa auch in medizinische Vorsorge investieren zu können. Sie kann die Rahmenbedingungen grundlegend verändern: Eine Frau, die keinen Betreuungsplatz für ihr Kind findet, muss entweder in Teilzeit arbeiten – oder sie verfügt über die finanziellen Mittel, um sich private Betreuung leisten zu können.
Gendermedizin
Miriam Hufgard-Leitner, Endokrinologin und Gendermedizinerin an der Universität Wien, führt aus, dass Frauen in vorangegangenen Generationen beweisen mussten, dass sie in der Arbeitswelt ebenso stark und belastbar wie Männer waren. Seit die gleiche Leistungsfähigkeit außer Streit gestellt ist, kann endlich diskutiert werden, dass der Arbeitsplatz auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter zu berücksichtigen hat.
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Biologische Themen sind im Diskurs angekommen: Periode, Schwangerschaft und Menopause sollten bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes berücksichtigt werden. Insbesondere die Menopause wurde – auch von medizinischer Seite – lange Zeit totgeschwiegen.
„Nicht die Frauen, sondern das System muss sich ändern.“
Miriam Hufgard-Leitner, Endokrinologin und Gendermedizinerin
Frauen, so Hufgard-Leitner, haben leider oft den Reflex zu denken: ‚Ich muss es schaffen!‘ Wenn sie es nicht schaffen, suchen sie den Fehler bei sich selbst und glauben: ‚Es liegt an mir, ich genüge nicht.‘ Besonders berufstätige Mütter haben häufig das Gefühl, weder zu Hause noch am Arbeitsplatz genug zu leisten. Die Erzählung ‚Du kannst alles schaffen!‘ hält Hufgard-Leitner für gesundheitsgefährdend, da Frauen dadurch oft über ihre Grenzen gehen. „Job, Kinder, Freundinnen, abends ausgehen und dabei aussehen wie Claudia Schiffer – das geht sich eben nicht aus!“, betont sie. „Nicht die Frauen, sondern das System muss sich ändern. Daher müssen wir endlich gesundheitspolitische Maßnahmen am Arbeitsplatz einfordern.“
Betriebliche Praxis: „Wir brauchen sichere Dienstpläne!“
Die Betriebsrätinnen Silvia Igumnov und Sabine Grossensteiner betonen einen zentralen Faktor, der die ohnehin hohe Arbeitsbelastung und -verdichtung noch verschärft: die Unsicherheit bei den Dienstplänen. Besonders für Frauen stellt das ein großes Problem dar, da viele für die Betreuung ihrer Kinder und die Pflege naher Angehöriger verantwortlich sind. Ohne Planungssicherheit ist das nicht zu bewältigen.
Foto: Edgar Ketzer
Foto: Edgar Ketzer
Igumnov ist Betriebsrätin in der ‚Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens‘ (AVS). Dort sind von 1.850 Arbeitnehmer:innen mehr als 90 Prozent Frauen und wiederum 90 Prozent in Teilzeit. Die Pflege der Angehörigen wird häufig von Frauen übernommen, die nach jahrelanger belastender Erwerbstätigkeit in der Pflege und der Betreuung ihrer Kinder gesundheitliche Probleme haben oder von Burn-out bedroht sind.
Die körperliche Belastung in den Pflegeberufen führt häufig zu Erkrankungen der Wirbelsäule. „Früher waren Frauen mit Mitte fünfzig krank, heute oft schon mit 35“, berichtet Igumnov. Dazu kommt die finanzielle Unsicherheit – wie lange schaffe ich meinen Job noch? – und am Ende des Berufslebens oft eine niedrige Pension aufgrund der vielen Jahre in Teilzeitarbeit.
Auch im Einzelhandel ist für BILLA-Betriebsrätin Sabine Grossensteiner der Dienstplan von zentraler Bedeutung. Obwohl dieser mindestens zwei Wochen im Voraus feststehen sollte, wird er häufig geändert, was besonders für Mütter ein großes Problem darstellt. Nach der Arbeit müssen sie ihre Kinder pünktlich abholen, Hausaufgaben betreuen und Aufgaben im Haushalt erledigen. „Frauen, insbesondere Mütter, stehen unter permanentem Zeitdruck. Wer ständig Mehr- und Überstunden leisten muss und gleichzeitig Familie hat, erreicht irgendwann seine Belastungsgrenze“, sagt Grossensteiner.
„Es braucht daher dringend fixere Dienstpläne“, fordert Grossensteiner, „sowie zusätzlich Springerinnen, die in verschiedenen Filialen arbeiten können.“ Bei den Springerinnen gibt es bei BILLA bereits Initiativen. Neben der Kinderbetreuung spricht Grossensteiner ebenfalls von der Belastung durch die Pflege von Angehörigen. Auch hier sind die Betriebsrät:innen im Unternehmen aktiv und setzen sich für Lösungen zugunsten der Beschäftigten ein. Igumnov betont: ‚Wir müssen endlich weg von der Mentalität, dass es selbstverständlich ist, dass Frauen die gesamte Care-Arbeit übernehmen!'“
Systemrelevante Berufe
Martina Zandonella, Sozialwissenschaftlerin am SORA Institut, sieht große strukturelle Probleme in typischen Frauenberufen. Jede zweite Frau, so Zandonella, arbeitet in systemrelevanten Berufen: im Lebensmitteleinzelhandel, im Gesundheits- und Pflegebereich, als Reinigungskraft oder als Elementar- und Freizeitpädagogin. „Alles Branchen, die schwierige Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und eine hohe Teilzeitquote aufweisen“, erläutert sie. Psychische Belastungen, Aggression und Gewalt durch Kund:innen bzw. Klient:innen, Zeitdruck, unregelmäßige Arbeitszeiten, Schicht- oder Nachtarbeit sowie Arbeit auf Abruf prägen diese Berufe. „Auf die Frage: ‚Werden Sie Ihren Beruf bis zur Pension ausüben können?‘ lautet die Antwort überdurchschnittlich oft: Nein“, berichtet Zandonella. Ihre Kritik: „Die Probleme im System, wie z.B. der Mangel an Arbeitskräften in der Pflege, werden auf dem Rücken der Frauen ausgetragen.“
Foto: Edgar Ketzer
Die Antwort auf die Benachteiligungen von Frauen in der Arbeitswelt, fasst Bundesfrauenvorsitzende Sandra Steiner zusammen, darf keinesfalls lauten: ‚Zurück an den Herd, weil es uns zu viel ist.‘ Frauengesundheit ist eng mit der Verteilung von Budgets verknüpft. Steiner betont: „Wir müssen genau hinschauen, wie Arbeit bewertet wird! Wer legt fest, was schwere Arbeit ist oder welche Arbeitszeiten als lang gelten?“ Sie fordert daher sowohl eine Neubewertung von Arbeit, als auch gesundheitspolitische Maßnahmen, die die Erkenntnisse der Gendermedizin umsetzen. Die Arbeitswelt ist zwar immer noch männlich konstruiert, kritisiert Steiner, aber: „Diese Rechnung wurde ohne die Wirtin gemacht!“