
Eine Frau an der Spitze des Betriebsrats in einem Industriebetrieb? Ja, das geht. Carina Sztavinovszki hat mitten in der Krise die Verantwortung für die Belegschaft ihres Elektronikunternehmens übernommen, mit klarem Kurs und dem Blick auf das Gemeinsame.
Als 2018 der südkoreanische Konzern LG die ZKW-Gruppe übernahm, gab es am Standort in Wiener Neustadt noch keinen Betriebsrat für Angestellte. „Uns war klar, dass wir bei einer Übernahme besser organisiert sein sollten“, erinnert sich Carina Sztavinovszki, „Also haben wir gemeinsam einen Betriebsrat gegründet.“ Sie wurde gefragt, ob sie mitmachen wolle und sagte Ja: „Ich war schon immer kommunikativ und habe mich gern für andere eingesetzt. Das hat einfach gut gepasst“, sagt die heutige Betriebsratsvorsitzende.
Bei ZKW Lichtsysteme in Wiener Neustadt sind rund 270 Mitarbeiter:innen beschäftigt, 70 Arbeiter:innen, die übrigen 200 Angestellte. Weil das Unternehmen Scheinwerfer für die Automobilindustrie produziert, spürt es die Krise der Branche sehr deutlich. Seit Jahren werden Stellen abgebaut. „Kündigungen und Umstrukturierungen gehören leider zu unserem Alltag“, berichtet Sztavinovszki. Die Unsicherheit ist das beherrschende Thema im Betrieb. „Das beschäftigt die Kolleginnen und Kollegen am meisten. Die häufigste Frage lautet: Wann ist das endlich vorbei?“
Premiumscheinwerfer
Die ZKW-Gruppe fertigt hochwertige Premiumscheinwerfer. Am Standort Wiener Neustadt werden jene Teile davon entwickelt und produziert, die für das Licht im Scheinwerfer sorgen, oder wie Sztavinovszki es ausdrückt: „Wir bringen den Scheinwerfer zum Leuchten.“ Damit nimmt der Standort Wiener Neustadt innerhalb der ZKW-Gruppe eine besondere Stellung ein.
Betriebsratsgründung
Du denkst auch darüber nach, in deinem Betrieb oder in deiner Filiale einen Betriebsrat zu gründen? Ab fünf dauernd beschäftigten Mitarbeiter:innen habt ihr das Recht, eine Belegschaftsvertretung zu wählen! Deine Gewerkschaft GPA unterstützt dich dabei! Alle Infos zur Wahl und Unterstützung (auch nach der Gründung) erhältst du in deiner Regionalgeschäftsstelle. Für Nicht-Mitglieder ist eine Erstberatung kostenlos!
Mehr zur Betriebsratswahl findest du hier.
Die ZKW-Gruppe beliefert die internationale Automobilindustrie. Der Hauptsitz liegt in Wieselburg, weitere Standorte gibt es in der Slowakei, in Tschechien, China, Indien, den USA, Südkorea und Mexiko. Der Standort in Wiener Neustadt war ursprünglich ein eigenständiger Betrieb, ehe er mit dem Werk in Wieselburg fusionierte. Während in Wieselburg die fertigen Scheinwerfer zusammengebaut werden, befindet sich in Wiener Neustadt das „Center of Excellence“ für die Elektronikentwicklung und Produktion.
Sztavinovszki ist Vorsitzende des Angestelltenbetriebsrats in Wiener Neustadt und vertritt rund 200 Kolleg:innen. Darüber hinaus leitet sie den Betriebsausschuss am Standort und damit auch die Interessenvertretung der rund 70 Arbeiter:innen. Auf Konzernebene (Konzernvertretung) repräsentiert sie insgesamt knapp 3.000 Beschäftigte in Österreich.
Von der Technikerin zu Betriebsrätin
Carina Sztavinovszki ist 44 Jahre alt, ihre beiden Kinder – eine Tochter und ein Sohn – sind inzwischen erwachsen. Ursprünglich hat sie als gelernte Restaurantfachfrau in der Gastronomie gearbeitet. Doch als junge Mutter wurde ihr schnell klar: Die unregelmäßigen Arbeitszeiten sind kaum mit dem Familienleben vereinbar. Also entschloss sie sich, ihren Jugendtraum zu verwirklichen – und begann eine Lehre als Mechatronikerin. Nach dem Abschluss fand sie eine Stelle bei ZKW Elektronik.
„Uns war klar: Ohne Betriebsrat sind wir bei so einem großen Konzern auf verlorenem Posten“
Carina Sztavinovszki
Die große Veränderung kam durch die Übernahme durch den LG-Konzern im Jahr 2018. „Uns war klar: Ohne Betriebsrat sind wir bei so einem großen Konzern auf verlorenem Posten“, sagt Sztavinovszki. Zuerst die Übernahme, dann die Pandemie, nun die Krise in der Automobilindustrie – für das Betriebsratsteam gab es keine Pause. Zunächst war Sztavinovszki passives Mitglied, 2021 rückte sie in den aktiven Bereich nach und übernahm den Vorsitz. Zwei Jahre später folgte die Freistellung: „Die Betriebsratsarbeit war sehr zeitintensiv und außerdem wollte ich mich gezielt weiterbilden.“
Inzwischen hat sie mehrere Ausbildungen abgeschlossen: Erst kürzlich beendete sie die Gewerkschaftsschule, außerdem absolvierte sie die Betriebsräteakademie (BRAK), einen dreimonatigen Intensivlehrgang für aktive Belegschaftsvertreter:innen. Was sie davon mitnimmt? „Vor allem das Netzwerken mit anderen Betriebsräten, der Austausch von Erfahrungen und Lösungen ist extrem wertvoll. Und natürlich das Know-how: Von Arbeitsrecht über Kommunikation bis hin zu Medientechnik – die Bandbreite ist groß.“ Sztavinovszki ist überzeugt: Die Fortbildungen haben sich hundertprozentig gelohnt!
Sozialplan und Zusammenhalt
Derzeit ist die Nachfrage nach Autos zurückhaltend, der Krieg in der Ukraine und die Politik Donald Trumps verschärfen die schwache Auftragslage. Um die Auswirkungen des Stellenabbaus abzufedern, wurde ein Sozialplan erarbeitet, ursprünglich für die Standorte in Wieselburg, inzwischen wurde er auf Wiener Neustadt ausgeweitet. Er wurde gemeinsam mit den Gewerkschaften GPA und PRO-GE sowie der Arbeiterkammer entwickelt. „Die Unterstützung der Gewerkschaften war entscheidend. Ohne sie hätten wir das nie geschafft!“ unterstreicht Sztavinovszki.
Doch der Vorsitzenden und ihrem Team ist es ein Anliegen, nicht nur Krisen zu managen, sondern auch positive Impulse zu setzen. „Wir wollen den Zusammenhalt stärken“, betont sie. Deshalb organisiert der Betriebsrat regelmäßig Freizeitaktivitäten: Bowlingabende, Fahrradtouren, Motorradausfahrten, Teilnahme am Neufelderseelauf im Sommer oder Punschtrinken vor Weihnachten. Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt. „Früher gab es regelmäßig Teambuildingevents oder eine Weihnachtsfeier für den Standort Wiener Neustadt“, erinnert sich Sztavinovszki, „heute ist dafür das Budget zu knapp.“
Frauen in einer Männerbranche
„Mit nur knapp 40 Frauen unter 270 Beschäftigten sind wir am Standort Wiener Neustadt klar unterrepräsentiert“, sagt Sztavinovszki. Frauen arbeiten vor allem in Büroabteilungen wie Buchhaltung, Personalabteilung oder Einkauf. In der Entwicklung hingegen – wo Elektrotechnik, Mechatronik oder Informatik gefragt sind – seien weibliche Beschäftigte die Ausnahme.
Carina Sztavinovszki„Wenn wir feststellen, dass eine Frau mit vergleichbarer Einstufung, Erfahrung und Tätigkeit weniger verdient als ihre männlichen Kollegen, können wir die Gehaltsdifferenz ausgleichen.“
Trotzdem sucht das Betriebsratsteam nach Wegen, um Frauen im Unternehmen zu stärken: Etwa über das sogenannte „Leistungsvolumen“, eine im Kollektivvertrag EEI geregelte Gehaltssumme, die zusätzlich zum Grundgehalt ausgeschüttet werden kann. „Die Führungskräfte vergeben die Hälfte davon leistungsbezogen. Wir als Betriebsrat nutzen die andere Hälfte, um Ungleichheiten wettzumachen“, so Sztavinovszki. Konkret heißt das: „Wenn wir feststellen, dass eine Frau mit vergleichbarer Einstufung, Erfahrung und Tätigkeit weniger verdient als ihre männlichen Kollegen, können wir die Gehaltsdifferenz ausgleichen.“
Sztavinovszki engagiert sich darüber hinaus im unternehmensinternen Diversity Committee. Dort geht es um strukturelle Maßnahmen, etwa bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein erster Schritt in diese Richtung ist auch das neue Mentorinnenprogramm: Frauen in Führungspositionen coachen Kolleginnen ohne Leitungsfunktion.
Mehr Miteinander
Persönliches Engagement macht wie so oft auch nicht vor der Tür des Betriebes halt: Sztavinovszki ist sowohl auf gewerkschaftlicher Ebene aktiv, bei den GPA Frauen und den ÖGB Frauen, als auch in ihrem Heimatort in der Ortsgruppe der SPÖ. Sie ist Teil der Initiative „Mitmachen“ und organisiert Netzwerktreffen in ihrer Region.
Seit Corona, findet Sztavinovszki, hat sich das gesellschaftliche Klima verändert. „Viele denken nur noch an sich, das Soziale bleibt auf der Strecke.“ Besonders die Gesprächskultur hat gelitten: „Man redet weniger miteinander, dafür wird in den sozialen Medien umso mehr gepostet – oft ohne Interesse am Gegenüber.“ Was sie besonders stört: „Es wird viel kritisiert und geschimpft, aber kaum jemand fragt: Wie lösen wir das?“ Für sie steht fest: „Wir brauchen wieder mehr Miteinander, mehr Verantwortung füreinander. Wir sollten uns auf Lösungen konzentrieren, das sollte das Ziel sein!“
Zur Person
Privat liebt Sztavinovszki die Bewegung und die Natur: Mit 40 Jahren hat sie den Motorradführerschein gemacht, heute ist sie in ihrer Freizeit gern auf zwei Rädern unterwegs, am liebsten durchs hügelige Umland ihrer Region. Sie ist sportlich, liebt Konzerte und sucht regelmäßig die Herausforderung bei sogenannten „Gatschrennen“ – Dirt Runs – über Hindernisse, bei denen man garantiert nicht sauber ins Ziel kommt. So powert sie sich körperlich richtig aus. „Das ist für mich ein Ausgleich, genauso wie Zeit in der Natur. Das brauche ich, um wieder Energie zu tanken.“