Der neue EU-Kommissionspräsident Juncker ließ sozialere Töne verlauten als sein Vorgänger und hat ein umfassendes Wachstumspaket angekündigt.
Mit einem Zehn-Punkte-Programm versuchte er, das Europäische Parlament zu überzeugen. Inzwischen sind Jean-Claude Juncker als Präsident und die 27 Mitglieder der Europäischen Kommission von den EU-Abgeordneten gewählt worden und haben ihr Amt angetreten. Als oberste Priorität kündigte Juncker ein umfassendes Wachstums-, Beschäftigungs- und Investitionspaket an.
Beschäftigungswirksam soll auch das Vorhaben sein, in Europa die Industrieproduktion zu stärken. Ihr Anteil an der EU-Wirtschaftsleistung (BIP) soll von 16 auf 20 Prozent steigen. Ein weiterer Punkt in Junckers Programm ist die Vertiefung einer fairen Wirtschafts- und Währungsunion; dabei möchte er verhindern, dass arm und reich durch europäische Maßnahmen noch mehr auseinanderdriften.
Neue Politik?
Vorhaben und Ansagen, die sich deutlich von der Vorgängerkommission abheben. Doch der Zweifel bleibt, ob hier auch die notwendigen Taten folgen werden. Denn die neue 28-köpfige EU-„Regierung“, als die man die Kommission ja sehen kann, birgt aus Gewerkschaftssicht das Risiko der Fortschreibung konservativer Politik in sich. Lediglich sieben EU-Kommissionsmitglieder stammen aus den Reihen der Sozialdemokraten, mehr als zuvor aus der konservativen und liberalen Parteienfamilie, und das, obgleich die Europäische Volkspartei bei den EU-Wahlen am meisten verloren hat. Trotzdem: über die sozialen Töne des christlich-sozialen Jean-Claude Juncker, der in Luxemburg Regierungschef sowie Finanzminister und zuvor auch für Arbeit und soziale Sicherheit zuständig war, sind die ArbeitnehmerInnenvertreter grundsätzlich erfreut.
Der inzwischen vorgestellte Investitionsplan kann die Erwartungen leider nicht erfüllen. Die Kommission präsentierte ein Paket, das aus 21 Milliarden Euro aus EU-Mitteln und Mitteln der Europäischen Investitionsbank besteht, und das durch Garantien für Privatinvestitionen ein Investitionsvolumen von 315 Milliarden bringen soll. Staatliche Investitionen werden hier durch Garantien für Privatinvestoren ersetzt, der Effekt ist zweifelhaft. Auch die Forderung, öffentliche Investitionen wieder zu ermöglich und aus der Defizitberechnung auszunehmen wird nicht erfüllt. Diese wäre dringend notwendig, um die Krise zu überwinden.
„Ich erwarte mir von dieser EU-Kommission ein echtes sozialpolitisches Aktionsprogramm, das diesen Namen auch verdient, mit konkreten sozialpolitischen Projekten, damit bei der Weiterentwicklung des Binnenmarktes die Interessen der Beschäftigten nicht weiter unter die Räder kommen“, fordert Wolfgang Greif, Leiter der Abteilung Europa, Konzerne und Internationale Beziehungen in der GPA-djp. Man müsse in erster Linie Beschäftigung schaffen und die Binnennachfrage ankurbeln, also die Kaufkraft steigern, sagt Greif. Darüber hinaus auch in die soziale Infrastruktur investieren, d.h. die Bereiche Pflege, den sozialen Wohnbau und die Kinderbetreuung ausbauen. „Das erfüllt einen sozialpolitischen Zweck, fördert die Beschäftigung und entlastet letztlich auch die Haushalte“, so Greif.
Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen
Evelyn Regner, geschäftsführende Delegationsleiterin der SPÖ-Abgeordneten im EU-Parlament, kündigt an, man werde hier hart bleiben bei der Umsetzung. „Wichtig ist mir insbesondere eine so genannte goldene Regel der Finanzplanung, damit Investitionen für eine gute Zukunft Europas und Chancen unserer Jugend von der Defizitberechnung der nationalen Haushalte ausgenommen werden.“ Denn die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und mehr Jobs für diese sind die wichtigsten Forderungen der Gewerkschaften an die neue Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, die Belgierin Marianne Thyssen von der Europäischen Volkspartei (EVP).
Thyssen hat vor den Europa-Parlamentariern in Aussicht gestellt, sozialen Indikatoren größeres Gewicht geben zu wollen. Den sozialen Dialog und die Einbindung der Sozialpartner, wenn Gesetze ausgearbeitet werden, will die Christdemokratin ebenfalls stärken. Auch hier hört man auf Arbeitnehmerseite die positiven Signale. Die Frage ist hier ebenfalls, inwieweit sich die neue Sozialkommissarin bei den Kommissionsbeschlüssen wird durchsetzen können.
Durchsetzen muss sich ebenso erst die Finanztransaktionssteuer. Elf Mitgliedsländer, darunter Österreich, wollen sie einführen. Sie könnte pro Jahr geschätzte 30 bis 35 Milliarden Euro einbringen, allerdings nur, wenn die Steuersätze entsprechend gestaltet bleiben und es keine weiteren Ausnahmen gibt. Ursprünglich geplant gewesen ab 2014 soll sie nun ab 2016 eingehoben werden. „Die Besteuerung von Spekulation ist längst überfällig“, betont Evelyn Regner: „Die Mittel sollen für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen und die Kluft zwischen Arm und Reich verringern.“
Zunächst sind die Regierungschefs der Mitgliedsländer am Zug. Das gilt für das Wachstumspaket als auch für die Finanztransaktionssteuer. Darüber hinaus müssen Steuerbetrug und Steuervermeidung bekämpft werden, dazu zählen auch Steuertricksereien einzelner EU-Mitgliedsstaaten wie Luxemburg – auch unter Premierminister Jean-Claude Juncker! – und die Niederlande, die jüngst in den Medien breit getreten wurden. Die – legale – „Steuerplanung“ von Konzernen wie Amazon, Apple, Google, Ikea, Pepsi usw. ist seit Jahren bekannt. „Hier muss effektiv gegengesteuert werden“, fordert Greif, „Die Europäische Kommission muss hier in Abstimmung mit den Regierungen der Mitgliedstaaten rasch agieren.“ Der neue Kommissionspräsident hatte umgehend mit Amtsantritt betont, nicht der Schoßhund der Regierungen sein zu wollen. Dazu Greif: „Die Gewerkschaften werden Sie und ihre Kommission, Herr Juncker, nicht an den Worten, sondern an ihren Taten messen!“