Prekäre Beschäftigung, detailreiche Überwachung, jeder Beschäftigte unter ständiger Kontrolle und dabei Abbau von qualifizierten Jobs an anderer Stelle.
All diese negativen Eigenschaften und viele mehr lassen sich zur Beschreibung von Callcentern heranziehen. Und bei genauerer Betrachtung auch oft zu Recht. Technisch optimierte Arbeitsabläufe ermöglichen diese rigiden Formen von Arbeitsorganisation und Kontrolle.
Das Callcenter – eine Erfolgsgeschichte
Der Begriff „Callcenter“ stammt aus den 1970er Jahren und die rasante Entwicklung eines seit vielen Jahrzehnten weltumspannenden Geschäftsmodells wurde mit dem Einsatz des ersten automatischen Anrufverteiler in den USA eingeläutet. Inzwischen bilden diese Dienstleistungen natürlich längst mehr als den Bereich der Telefondienste und Meinungsumfragen ab, wie Karin Arnberger, Regionalsekretärin aus Niederösterreich und ehemalige Betriebsrätin im Callcenter, aus langjähriger Berufspraxis weiß. Denn es kann jede physisch kontaktfreie Dienstleistung durch Callcenter abgewickelt werden. Via Helpdesk werden Kundenanliegen per Email als auch per Brief bearbeitet, Bestellungen administriert oder Online-Shop Angebote aktualisiert. Gerade in der Bankenbranche wird oft Kundendienstleistung ausgegliedert. So betreiben Inhouse-Callcenter als Tochterfirmen exklusiv für die jeweilige Bank den Kundenservice ohne dass die jeweiligen Kunden davon etwas mitbekommen. „Diese Praxis dient in der Regel der Flucht aus einem Kollektivvertrag in einen schlechteren. Schlechter vor allem in Bezug auf wöchentliche Arbeitszeit und Bezahlung“ so Arnberger.
Digitale Kontrolle…
Durch moderne digitale Kommunikationssysteme ist es heute längst möglich, MitarbeiterInnen lückenlos durch geführte Arbeitsprozesse zu schleusen und damit permanent zu kontrollieren. Ein alptraumartiges Panoptikum tut sich auf, welches nicht den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin als solche gläsern macht, dafür aber jede Sekunde ihrer Tätigkeit. Dabei ist grundsätzlich nicht problematisch, dass Leistung gemessen wird, das wird in irgendeiner Form immer geschehen. Zunehmend problematisch ist aber, dass diese in jedem Detail vorgegebene und messbare digitale Arbeitsorganisation jeden individuellen Freiraum eliminiert. „Erste Opfer sind in der Regel die Teamleiter. Sie sind es, die unter massiven Erfüllungsdrück gesetzt werden und diesen – selbst unter digitaler Überwachung – entsprechend an die Belegschaft weitergeben“, so Arnberger weiter. Für den individuellen Freiraum, wo wirklich genuin menschliche Leistung stattfindet, ist in der Optimierung der Abläufe kein Platz. „Auf die tatsächlichen Kundenbedürfnisse abgestimmtes Service ist meist nicht erwünscht und auch nicht möglich“.
…und fragwürdige Praxis
Aus technischer Sicht sind dem Ausbau der kontrollierten und geführten Tätigkeiten dieser Art keine Grenzen gesetzt, wären da nicht ein aktiver ArbeitnehmerInnenschutz der es global agierenden Konzernen verunmöglicht uneingeschränkt auf Kosten der Angestellten von neuen Kontrollmöglichkeiten zu profitieren. In manchen Bereichen zwingen menschliche Aspekte Unternehmen zur Einschränkung bei der Nutzung der technischen Möglichkeiten, in anderen aber nicht. So gehört es leider zu einer „gängigen Praxis“, dass kollektivvertragliche Bedingungen durch den Aufbau von Callcentern umgangen werden.
Der optimierte Algorithmus und der motivierte Mensch
Damit gibt es neben dem nötigen Widerstand der verschiedenen Interessensvertretungen der ArbeitnehmerInnen noch einen, vielleicht weniger erwarteten Faktor, der entscheidend die gängige Praxis großer Callcenter in Europa beeinflusst und nachhaltig bestimmt. Und dieser Faktor ist der individuelle Freiraum der ArbeitnehmerInnen, hinsichtlich ihrer menschlichen, sozialen Bedürfnisse. Denn Klick nach Klick Vorgaben und echtzeitgemessene quantitative Leistungskontrolle erzeugen längst nicht automatisch qualitativen Mehrwert. Menschen müssen positiv motiviert sein um Leistung zu erbringen. „Bei niedrigster Bezahlung wird den MitarbeiterInnen durch Kontrollen und Vorgaben auch noch fehlendes Vertrauen suggeriert“, ergänzt Arnberger. Anders als bei der Optimierung von mechanischen oder digitalen Systemen, braucht der Mensch individuelle Motivationsmomente um quantitativ als auch qualitativ Leistung zu erbringen. Die hohen Aufwände für die Einschulung und Schulung von MitarbeiterInnen in einem nicht allzu attraktiven Berufsumfeld führen oft dazu, dass Callcenter dem Optimierungswahn eine aufwändige Kontrolle gegenüber stellen. „Aber anstelle von Qualitätssicherung durch ausreichend Schulung von und Austausch mit MitarbeiterInnen, bewertetet man aber oft nur quantitativ – Hauptsache die Anzahl der Kundenkontakte stimmt“.
Die Logik der Optimierung und ihre Grenzen
Wenn die Rücksicht auf den Menschen die Prozessverbesserung nicht unterstützt, fällt diese notwendigerweise der Optimierung zum Opfer. Bei otubound Callcentern (das Callcenter startet den Anruf) ist dies sehr oft der Fall. Wer hier einen Prozess nicht abschließt, bekommt auch keine Bezahlung für diesen Geschäftsprozess (etwa bei einer Telefonumfrage oder einem Verkaufsprozess). Der Mitarbeiter/die Mitarbeitrerin wird hier zu einer perfiden „Selbständigkeit“ gezwungen und das „unternehmerische Risiko“ wird im Zuge der digitalgestützten Optimierung wie nebenbei auf den Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin übertragen. Ohne eine starke Interessensvertretung auf der Beschäftigtenseite, werden diese Kontrollmöglichkeiten aber auch bei „internen Callcentern“ durchgesetzt. Nur die jeweiligen Gewerkschaften, die sich europaweit für die Regelung dieser Bereiche einsetzen, können einer menschenlosen Logik der Optimierung umfassend Grenzen setzen. Karin Arnberger weiß aus Erfahrung: „In Unternehmen mit engagierten Betriebsräten ist es möglich, mit Hilfe der Gewerkschaften einen angemessenen Umgang mit den Möglichkeiten der Technik zu sichern und einen ArbeitnehmerInnenschutz zu gewährleisten“.