Der Soziologe Jörg Flecker kritisiert im Interview mit der KOMPETENZ die Pläne der neuen Regierung und plädiert für andere Reformansätze.
KOMPETENZ: Die ÖVP/FPÖ-Regierung will den 12-Stunden-Arbeitstag zum Normalzustand erheben und die Wochenarbeitszeit auf 60 Stunden ausweiten. Was bedeutet das für ArbeitnehmerInnen?
Jörg Flecker: Dass die Entwicklung in die völlig verkehrte Richtung geht. Lange Arbeitszeiten sind vor allem schädlich für die Gesundheit und problematisch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es geht aber auch um die Themen Beschäftigung und Umverteilung von Arbeit. Was auffällt: Vor der Wahl hieß es, Zwölf-Stunden-Tag mit 50 Stunden pro Woche als Höchstgrenze und jetzt sind es plötzlich 60 Stunden. Die 50 Stunden wären schon ein Riesenproblem gewesen, weil da die Ruhezeiten nicht mehr unterzubringen sind.
KOMPETENZ: Sie haben gesundheitliche Auswirkungen angesprochen.
Jörg Flecker: Die Arbeitsmedizin sagt klar, dass tägliche Arbeitszeiten ab sieben, acht Stunden die Gesundheit schädigen und die Unfallgefahren erhöhen.
KOMPETENZ: Man denkt als erstes an Burn-out.
Jörg Flecker: Nicht nur. Folgen sind auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schädigungen des Stützapparats. Es geht eben nicht nur um die psychische Belastung. Die Unfallgefährdung steigt. Das heißt, wir haben die Situation, dass die Gesundheit und das Leben der Menschen aufs Spiel gesetzt werden. Das muss man so explizit sagen.
KOMPETENZ: Was bedeutet wiederum die schlechtere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesellschaftlich?
Jörg Flecker: Mit variablen längeren Tagesarbeitszeiten und dadurch geringerer Planbarkeit auch der Arbeitszeit steigt das Problem der Betreuung von Kindern. Wie holt man diese rechtzeitig vom Kindergarten ab, wenn man länger arbeiten muss. Es wird immer argumentiert, die flexiblen Arbeitszeiten sind für beide Seiten gut, auch für die Beschäftigten. Aber wir haben klare Untersuchungsergebnisse, dass flexible Arbeitszeiten überwiegend der betrieblichen Notwendigkeit dienen.
KOMPETENZ: Nutznießer sind also in erster Linie die ArbeitgeberInnen.
Jörg Flecker: Nutznießer sind jedenfalls überwiegend die ArbeitgeberInnen und Beispiele, wie Kind wird krank und muss abgeholt werden, sind die Ausnahme. Man kann grob schätzen, dass vielleicht fünf Prozent der Nutzung für solche privaten Zwecke sind und 95 Prozent für Arbeitsanforderungen. Für die Vereinbarkeit ist außerdem die Planbarkeit der Tagesarbeitszeit wichtiger als die Flexibilität.
Die generelle Perspektive ist eigentlich so etwas wie Arbeit auf Abruf. Es wird nur noch mit Wettbewerbsfähigkeit und betrieblichen Erfordernissen argumentiert. Es geht ganz klar in eine Richtung, wo alle Arbeitszeitbeschränkungen aufgehoben werden sollen und ArbeitnehmerInnen einfach verfügbar sein müssen. Man glaubt, das sind wirtschaftliche Notwendigkeiten und wenn man die nicht berücksichtigt, dann geht es auch zulasten der Arbeitsplätze. Es geht aber auch darum, wie Unternehmen und Betriebe planen müssen. Wenn weniger Leute beschäftigt werden, wirken sich Schwankungen so aus, dass MitarbeiterInnen einspringen und Überstunden machen müssen. Wenn man aber mehr Leute beschäftigt, dann decken diese die Spitzen in der normalen Zeit ab. Man ist mit der Personalzahl aus Einsparungsgründen heruntergefahren und braucht daher diese Flexibilisierung. Gleichzeitig gibt es eine halbe Million Menschen, die Arbeit suchen, und Teilzeitbeschäftigte, die länger arbeiten wollen. Man könnte von vorneherein mehr Leute beschäftigen und bräuchte dann weniger Flexibilität.
KOMPETENZ: Dann kommt das Argument von der Wirtschaft, man kann sich das nicht leisten.
Jörg Flecker: Aus betrieblicher Sicht schaut es auf den ersten Blick tatsächlich so aus. Wenn man selber teurer ist, gibt es jemand anderen, der billiger anbietet. Aber hier gibt es ja überbetriebliche Regelungen wie Gesetze und Kollektivverträge, um gleiche Bedingungen festzulegen. Dann kommt das Argument, aber im Ausland gilt das nicht. Da ist dann die Frage, welche Unternehmen sind exportorientiert und gerade in exportierenden Betrieben sind die Arbeitszeiten oft kürzer. Dort wo es Probleme gibt, das sind Binnenbranchen – die Gastronomie, der Handel.
Das zweite ist: Ginge es nur um die Existenz des Betriebs, würde kein Gewinn übrig bleiben. Konkurrenz sorgt dafür, dass kein hoher Gewinn erwirtschaftet wird. Wenn wir uns die Statistik der Ausschüttungen ansehen, sehen wir aber, wie hoch die Dividenden sind.
KOMPETENZ: Arbeitszeitflexibilisierung führt also dazu, dass Vermögen noch ungerechter verteilt wird.
Jörg Flecker: Die Flexibilisierung, die Vermeidung von Überstundenzuschlägen, weniger Leute beschäftigen bedeutet, dass weniger Lohneinkommen und mehr Gewinneinkommen entsteht und dadurch Ungleichheit wächst.
KOMPETENZ: Die Regierung will nicht nur Arbeitszeitbeschränkungen lockern, sondern auch das Arbeitslosengeld neu gestalten. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Jörg Flecker: Der Druck auf erwerbsarbeitslose Personen, Arbeit anzunehmen, wird schon seit einigen Jahren erhöht und die Zumutbarkeit, Stellen anzunehmen, wird vergrößert. Die zumutbaren Wegzeiten wurden erhöht, der Berufsschutz wurde reduziert und bei länger andauernder Arbeitslosigkeit sogar abgeschafft. Nun wird weiter verschärft. Man muss aber sagen, dass dem die rationale Grundlage fehlt, weil zu wenige Arbeitsplätze da sind. Das AMS weiß nicht, wo es die Leute hin vermitteln soll, und auf der anderen Seite macht man Druck, dass Leute Arbeitsplätze annehmen sollen. Dafür gibt es nur wenige mögliche Erklärungen. Eine wäre, dass man auf der Diskursebene versucht, die Schuld an der Erwerbslosigkeit den Erwerbslosen umzuhängen. Ein Ziel kann sein, diesen Mythos aufrechtzuerhalten. Ein zweites Ziel kann sein, die Leute zu zwingen, auch Arbeit anzunehmen, die schlecht bezahlt oder gesundheitsgefährdend ist und die nicht ihrer Qualifikation entspricht, um den Betrieben zu ermöglichen, weniger zu zahlen und schlechtere Arbeitsbedingungen anzubieten.
KOMPETENZ: Wie sähe hier eine Lösung im Sinn der Gesamtgesellschaft, aber auch der einzelnen ArbeitnehmerInnen aus?
Jörg Flecker: Eine andere Verteilung der Arbeit wäre eine Möglichkeit, der Erwerbslosigkeit beizukommen. Ein Ansatz wäre eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit in Richtung 30 Stunden, ein anderer mehr Auszeiten. Das würde auch den Wünschen von vielen Beschäftigten entsprechen. Ansetzen könnte man aber auch im öffentlichen Dienst: Dort wurde in den letzten 10–15 Jahren massiv gespart. Es wäre aber sinnvoll, hier wieder mehr Beschäftigung zu schaffen, weil ja offensichtlich ist, dass der privatwirtschaftliche Bereich nicht genug Beschäftigung anbieten kann oder will und die öffentlichen Aufgaben mehr Personal erfordern.
Interview: Alexia Weiß