„Schlankere Strukturen in der Sozialversicherung“ und eine „PatientInnenmilliarde“ verspricht die Bundesregierung durch den völligen Umbau der Sozialversicherung.
Die vorwiegend organisatorischen Veränderungen werden sich allerdings massiv auf die Gesundheitsversorgung der Menschen auswirken – und das auf sehr vielfältige Weise.
Klar. Es gibt noch viel zu tun im Gesundheitssystem – nur greift diese Regierung mit ihrer Reform nicht die Probleme im Gesundheitswesen an. Nein, sie nutzt sie, um ihren Interessensverbänden mehr Macht und Einfluss zu gewähren und die medizinischen Leistungen auf eine Basisversorgung zurückzustutzen.
1. Den ArbeitnehmerInnen wird ihre Versicherung genommen
Diese Aussage hört man öfter im Zusammenhang mit der Kassenfusion. Gemeint ist damit, dass durch die Bundesregierung die gewerkschaftliche Errungenschaft – soziale Sicherheit für ArbeitnehmerInnen – nun in die Hände von WirtschaftsvertreteInnen gelegt wird. Wurden die Entscheidungsträgernnen („Funktionär/innen“) der Gebietskrankenkassen bisher zu 4/5 der VertreterInnen von AK und Gewerkschaft beschickt, so wird ihr Einfluss nun massiv zurückgedrängt. Zukünftig wird das Stimmrecht der Wirtschaft auf 50 Prozent ausgeweitet. Damit kann keine Entscheidung in der ÖGK ohne die Wirtschaft getroffen werden – obwohl sie dort gar nicht versichert sind!
„Wer zahlt, soll auch anschaffen“, meint die Regierung dazu. ABER:
- Die Arbeitsleistung der ArbeitnehmerInnen erwirtschaftet die Beiträge für die Sozialversicherung!
- Bei den Gebietskrankenkassen sind zahlreiche Personengruppen versichert, die gar keine Arbeitgeber/innen haben: PensionistInnen, Kinder, Selbstversicherte, Arbeitslose, etc…
- Selbst wenn man diese juristische Trennung in DG-Beitrag (3,78 Prozent) und DN-Beitrag (3,87 Prozent – also auch nicht gleich hoch) vornimmt, so macht dieser Anteil keine 30 Prozent an den Einnahmen aus
- Und das Zensuswahlrecht wurde in Österreich auch schon vor über 100 Jahren abgeschafft!
2. Mehr-Klassen-Medizin statt gleiche Leistungen fürs gleiche Geld
Ja, die Regierung reduziert die Anzahl der Sozialversicherungsträger, schafft damit aber nicht mehr Gerechtigkeit. Ausgewählte – man könnte fast sagen privilegierte – Berufsgruppen erhalten ihre eigene Krankenversicherung und normale ArbeitnehmerInnen der Privatwirtschaft werden im Bürokratiemonster ÖGK zusammengefasst. Die Versicherungsgruppen mit niedrigem Einkommen und höherem Bedarf an medizinischen Leistungen landen alle in einem Versicherungsträger.
Damit werden schon heute existierende Ungerechtigkeiten noch weiter einzementiert.
Das ist insofern erstaunlich, als alle Krankenversicherungsgruppen die gleichen Beitragssätze haben – also auf jeden Euro der gleiche Krankenversicherungsbeitrag von 7,65 Prozent entfällt – bei den Leistungen es jedoch deutliche Unterschiede gibt. Ohne Ausgleich zwischen den Gruppen wird es auch weiterhin nicht möglich sein, gleiche Leistungen für gleiche Beiträge zu schaffen.
Versicherte | KV-Beitrag (in Summe) |
ArbeiterInnen und Angestellte | 7,65% |
Beamte | 7,65% |
Selbstständige | 7,65% |
Bäuerinnen und Bauern | 7,65% |
3. Versorgungslücke statt einer Milliarde für die Patient/innen
Die Bundesregierung – allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz – verspricht durch die Reform eine ganze Milliarde mehr bis 2023. Ein kurzer Blick auf die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes (teilweise versteckt) für die zukünftige ÖGK bis 2023 hält dem jedoch nicht stand:
- Geringere Entschädigung von Arbeitsunfällen von der AUVA: mind. 290 Mio. Euro
- Mehr Geld für die Finanzierung von Privatspitälern: über 53 Mio. Euro
- Gestrichener Steuerzuschuss für den bisherigen Risikoausgleichsfonds der GKKs: über 70 Mio. Euro
In Summe kann man mit über 420 Millionen Euro weniger Geld durch die Gesetzesänderung rechnen. Stellt man dabei die unrealistischen Einsparungen der Bunderegierung gegenüber (bis 2023 rund 260 Millionen Euro), bleibt zumindest eine Finanzierungslücke von über 160 Millionen Euro. Damit könnte die Krankenversicherung:
- Für die nächsten fünf Jahre rund 130 AllgemeinmedizinerInnen finanzieren
- Oder es könnten 40 Stellen Kinder- und Jugendpsychiatrie jeweils 10 Jahre lang finanziert werden
- Oder es könnten 50 Stellen für Kinder- und Jugendheilkunde jeweils 10 Jahre lang finanziert werden
- Alternativ könnten damit auch rund 3 Mio. Stunden Psychotherapie finanziert werden
Hinzu kommen noch Fusionskosten von mind. 500 Millionen Euro. Dieses Geld wird fehlen! Das bedeutet für die Versicherten weniger Leistung.
4. Lohn- und Sozialdumping wird Tür und Tor geöffnet
Mit dem Umbau der Sozialversicherung wird der Krankenkasse die Möglichkeit genommen, selbständig zu prüfen, ob Unternehmen die gesetzlichen Bestimmungen einhalten und wirklich alle Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und ob Scheinselbstständigkeit vorliegt. Diese Kompetenz und das dazu notwendige Personal reißt sich das Finanzministerium unter den Nagel, das nach anderen Kriterien und vor allem auch nachweislich schlechter prüft, als die Sozialversicherung. So entgeht nicht nur der Krankenversicherung Geld, sondern auch den ArbeitnehmerInnen, denn die Krankenversicherung ist für die Bekämpfung von Lohn- und Sozialbetrug zuständig, hat aber in Zukunft keinen eigenen Prüfdienst mehr, um diese Aufgabe zu erfüllen.
5. Eine Krankensteuer für alle
Die ÖGK wird also in finanzielle Not kommen. Das ist sicher. Damit kann/muss der zukünftige Dachverband (6:4 Mehrheit für die Arbeitgeber/innen) die ÖGK dazu zwingen Selbstbehalte einzuführen – da kann die Ungesundheitsministerin noch so oft versprechen, dass dies nicht kommen wird. Es steht als Muss-Bestimmung in ihrem Gesetz drinnen (§ 31 ASVG).
Damit wird die öffentliche Gesundheitsversorgung schrittweise untergraben und ausgehöhlt.
Wie geht’s weiter? Aktuell liegt der Ball beim Verfassungsgerichtshof. Zahlreiche Klagen wurden u.a. von den SPÖ-BundesrätInnen, der OÖGKK, der NÖGKK und AK Tirol zusammen mit der TGKK vor den Verfassungsgerichtshof gebracht, mit dem Ziel die schlimmsten Teile des Gesetzes zu kippen – möglicherweise noch Ende des Jahres.