FPÖ und Identitäre teilen eine Ideologie

Rechtsextremismusforscherin Judith Goetz im KOMPETENZ-Interview
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die Rechtsextremismus-Expertin Judith Goetz sieht viele ideologischen Gemeinsamkeiten bei FPÖ und Identitären. Sie unterscheiden sich aber in der Wahl der Mittel, sagt sie im KOMPETENZ-Interview. Sich in der aktuellen Debatte nur auf personelle und räumliche Verbindungen zu konzentrieren, hält sie für nicht ausreichend.

KOMPETENZ: Worin liegen die ideologischen Übereinstimmungen zwischen der FPÖ und den Identitären?

Judith Goetz: Bei den Identitären handelt es sich um eine Gruppe des außerparlamentarischen Rechtsextremismus und bei der FPÖ um eine parlamentarisch gewählte Partei. Einer von den fundamentalen Unterschieden zwischen den beiden ist also die Organisationsform. Allerdings kann man hier von einer Doppelstruktur oder von einer Form von Arbeitsteilung sprechen. Sie teilen sich zentrale Narrative wie zum Beispiel das rassistische, dass die Dominanzgesellschaft vom Untergang bedroht wäre, dass es hier „einen großen Austausch“ geben würde. Wenn man sich das begriffsgeschichtlich anschaut, dann sieht man, dass Andreas Mölzer schon in den 1990er Jahren von der so genannten Umvolkung gesprochen hat. Er ist dann später zu dem Begriff der Ethnomorphose übergegangen. Hilmar Kabas hat von der Überfremdung gesprochen. Das sind die gleichen inhaltlichen Bedeutungen wie das die Identitären mit dem „großen Austausch“ umschrieben haben, den sie stoppen wollen.

Auch die Art, wie man sich Volk vorstellt, wie man sich Nation vorstellt, stimmt weitgehend überein. Die Identitären sprechen von der ethnokulturellen Identität, die es zu erhalten gelte. Die FPÖ spricht davon, Teil der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft zu sein. Die Gemeinsamkeit liegt darin liegt, dass „das Volk“ nicht als etwas verstanden wird, wo alle Menschen, die in einem Land leben, in politische Ausverhandlungsprozesse treten, sondern das Volk wirklich nur im Sinn einer Abstammungsgemeinschaft, im Sinn einer homogen organisch gewachsenen Gruppe gedacht wird.

Das Individuum zählt in diesem Gedankengut überhaupt nichts, es wird schicksalshaft in ein Kollektiv hineingeboren, aus dem es auch nicht herauskommt. Dadurch ist der ganze Werdegang vorherbestimmt. Im Hinblick auf die Demokratie spricht man dann auch nicht vom individuellen Entscheidungswillen, sondern vom Volkswillen. Das Volk muss ein homogen gemeinsames Interesse haben, dass dann abgegrenzt wird gegen alle, die außerhalb stehen, die, wie die FPÖ sagt, zu Volksverrätern werden. Die Identitären sprechen von Ethnomasochisten. In diesen Vorstellungen ist kein Platz für Pluralität, für Vielfalt. Es gibt ein klares starres Denken von innen und außen und das Außen wird in erster Linie durch Menschen, denen zugeschrieben wird, dass sie Muslime sind, festgesteckt, die dann wiederum als Eindringlinge dargestellt werden.

KOMPETENZ: Wodurch unterscheiden sich FPÖ und Identitäre?

Judith Goetz: Sie unterscheiden sich in der Wahl der Mittel, weil die FPÖ trotz aller Überschneidungen ins identitäre Milieu trotzdem auf einem parlamentarischen Weg versucht, Politik zu machen. Die Identitären wählen dagegen den außerparlamentarischen Weg und versuchen über eine Mitmachbewegung – sie selber nennen sich Bewegung, obwohl sie eigentlich keine sind – die Menschen für ihr Denken zu begeistern.

KOMPETENZ: Ideologisch sind FPÖ und Identitäre also nicht weit voneinander entfernt. Den Identitären wird jedoch auch von Regierungsseite vorgeworfen, rechtsextrem zu sein. Sind die Identitären rechtsextrem, die Freiheitlichen aber nicht?

Judith Goetz: Wenn wir die Rechtsextremismus-Forschung heranziehen und uns dabei zum Beispiel die Definition, die Willibald Holzer, ein österreichischer Rechtsextremismus-Theoretiker, vorgenommen hat, ansehen, hat er Rechtsextremismus über die dahinter liegenden Ideologien bestimmt. Demnach zeichnet Rechtsextremismus allem voran die Vorstellung einer natürlichen Ungleichheit aus, der so genannte Antiegalitarismus. Damit ist gemeint, dass das Individuum gar nichts zählt, sondern dass man als Individuum Teil von einem völkischen, ethnischen oder heute auch oft als kulturell definierten Kollektiv ist. Und diese Kollektive haben dann von Natur aus bestimmte Wesensmerkmale und können auch bestimmte Sachen besonders gut. Unterschiede, die eigentlich sozialer Natur sind, werden naturalisiert und es wird die Individualität, die Heterogenität auch von diesen Gruppen komplett negiert, sondern so getan, als ob das eine homogene Masse wäre. Dann werden die unterschiedlichen „Völker“ voneinander abgegrenzt und gesagt, dass sie unterschiedliche Eigenschaften hätten. Das ist die Ideologie der Ungleichheit, dass man nicht in der Verschiedenartigkeit gleich ist, alle in ihrer Individualität, sondern dass man immer nur gleich ist mit den Identischen, mit denen aus der gleichen Wir-Gruppe.

„Ich würde sagen, dass es tatsächlich von der Definition her so ist, dass auch die FPÖ in weiten Teilen als rechtsextrem zu klassifizieren ist.“

Judith Goetz, Rechtsextremismusforscherin

KOMPETENZ: Wenn man FPÖ und Identitäre nun nach dieser Rechtsextremismus-Definition misst – wo ist dann der Unterschied?

Judith Goetz: Ich würde sagen, dass es tatsächlich von der Definition her so ist, dass auch die FPÖ in weiten Teilen als rechtsextrem zu klassifizieren ist, insbesondere seitdem das Bekenntnis zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft wieder ins Parteiprogramm aufgenommen wurde, und auch durch die Rolle, die die deutschnationalen Burschenschaften in der Partei haben. Natürlich lässt sich so ein Vorwurf nicht auf jeden einzelnen FPÖ-Funktionär umlegen, weil es auch welche gibt, die „nur rechts“ sind. Aber von der Ideologie her, wie sie im Handbuch freiheitlicher Politik und im Parteiprogramm festgeschrieben ist, ist es zulässig, die FPÖ nach der kritischen Rechtsextremismus-Definition von Holzer als rechtsextrem zu bezeichnen.

Es gibt aber einen Unterschied zwischen FPÖ und Identitären und der liegt in der Anwendung von Gewalt. Die Identitären haben sich zwar über weite Strecken bemüht, sich als friedlich darzustellen, aber sie haben in der Auseinandersetzung mit politischen Gegnern und Gegnerinnen immer wieder Hand angelegt. Das bekannteste Beispiel ist der Vorfall, bei dem der Rektor der Universität Klagenfurt in den Bauch geboxt wurde. Aber es gab auch Angriffe auf AntifaschistInnen nach Kundgebungen in Wien und Graz. Darüberhinaus spiegelt sich die Gewalt auch in der Sprache der Identitären wieder, wenn die ganze Zeit Kriegsmetaphern verwendet werden, wenn man sich auf die Türkenbelagerung bezieht, wenn sie von sich selbst als der letzten Generation sprechen, die diesen „großen Austausch“ noch aufhalten kann.

„Gewalt wird nicht erst sichtbar, wo sie zuschlägt, sondern fängt schon viel früher an.“

Judith Goetz, Rechtsextremismusforscherin

KOMPETENZ: Seitens der ÖVP hat jüngst Andreas Khol eingeworfen, es sei Gewalt das entscheidende Kriterium, ob man eine Partei oder Bewegung als extrem einstufen könne. Demnach wäre die FPÖ im Gegensatz zu den Identitären nicht rechtsextrem.

Judith Goetz: Es gibt schon auch sehr vereinzelte Fälle, wo auch FPÖ-Mitglieder gewalttätig geworden sind. Aber ich finde, dass es grundsätzlich wichtig ist, so eine Definition nicht den Strafrechtsbehörden oder der Justiz zu überlassen, sondern dass es hier wichtig ist, auch seitens der Wissenschaft adäquate Analysekonzepte anzubieten. Wenn alles, was gewaltfrei ist, nicht mehr rechtsextrem ist, sähe ich die Gefahr, dass mit rechtsextremen Ideologien viel zu verharmlosend umgegangen wird. Gewalt wird nicht erst sichtbar, wo sie zuschlägt, sondern fängt schon viel früher an. Wenn wir so eine Gewaltdefinition hätten, wenn es beispielsweise um Frauenschutzthemen geht, dann wäre eine große Zahl von Fällen, wo psychische oder ökonomische Gewalt ausgeübt wird, überhaupt nicht fassbar und deswegen würde ich dem entgegenhalten, dass wir das auf gar keinen Fall als die große Trennlinie aufmachen dürfen, weil es auch darum geht, diese Ideologien in ihrer Gefährlichkeit schon zu erkennen, auch wenn sie sich noch nicht zugespitzt haben, um dem auch etwas entgegenzusetzen.

KOMPETENZ: Die Regierung sagt nun, wir prüfen, ob wir die Identitären auflösen können, aber das Gedankengut findet sich in der FPÖ und damit auch teilweise im Regierungsprogramm wieder – wie ehrlich oder wie verlogen ist diese Debatte dann?

Judith Goetz: In der „Im Zentrum“-Diskussion vergangenen Sonntag war Andreas Mölzer an einer Stelle sehr ehrlich, nämlich wo er sinngemäß gesagt hat, die Identitären haben alles von uns geklaut und sie haben es eigentlich nur zugespitzt. Damit hat ein langjähriger FPÖ-Politiker eingestanden, dass es hier dieses ideologische Naheverhältnis gibt. Mit dem Fokus, der auch von den Medien sehr stark reproduziert wurde, nur auf die personellen und räumlichen Kontakte, wurde diese Diskussion total weggewischt, dass es eben inhaltliche ideologische Gemeinsamkeiten gibt. Personen kann man ausschließen oder zwingen, ihre Ämter zurückzulegen oder sich zu distanzieren, Mietverträge kann man kündigen, aber das Gedankengut kriegt man nicht so leicht weg.

KOMPETENZ: Wie würde eine tatsächliche Abgrenzung der FPÖ gegenüber rechtsextremen Positionen aussehen?

Judith Goetz: Die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak hat am Dienstag in der Pressekonferenz von der SPÖ gesagt, dass die FPÖ eigentlich ihr komplettes Handbuch freiheitlicher Politik umschreiben müsste und alles rausnehmen müsste, wenn sie sich ernsthaft von dieser Ideologie distanzieren will. Und dementsprechend ist es verlogen, das nur auf dieser Ebene der persönlichen und räumlichen Überschneidungen zu sehen, weil die inhaltlichen Überschneidungen so offensichtlich sind. Die FPÖ müsste sich von ihrem ideologischen Fundament distanzieren. Und das wird sie nicht machen.

Zur Person:

Judith Goetz, geb. 1983 in Wien, ist Rechtsextremismusexpertin und Gender-Forscherin an der Uni Wien, Lehrbeauftragte an unterschiedlichen Universitäten, Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und http://www.fipu.atPolitiken der Ungleichheit sowie des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus
Ihre
Forschungsschwerpunkte: Identitäre, Gender, Rechtsextremismus und Antifeminismus.

Verflechtungen zwischen FPÖ und Identitären

Insgesamt konnten bei mindestens 48 Personen aus der FPÖ (bzw. aus dem Mitarbeiterumfeld von FPÖ-PolitikerInnen) direkte oder indirekte Verflechtungs- und Berührungspunkte zu den Identitären dokumentiert werden. Die Berührungspunkte umfassen u.a. gemeinsame Kundgebungen und Auftritte, gegenseitiges Bewerben, Raumvermietung, Spenden und die Beschäftigung von MitarbeiterInnen mit Verbindungen zu den Identitären. Zumindest vier FPÖ-geführte Ministerien beschäftigen MitarbeiterInnen mit Kontakten und/oder Sympathiebekundungen zu den Identitären (Sport-, Innen-, Sozial- und Außenministerium). SOS Mitmensch veröffentlichte diese Woche ein Dossier, in dem alle Verflechtungen detailliert dargestellt werden.

Scroll to top