Wie angesichts des beispiellosen Wohlstands die Würde aller Menschen herzustellen wäre, hat sich der deutsche Philosoph Christian Neuhäuser überlegt.
Reichtum ist hinlänglich beforscht. Es gibt psychologische Studien dazu: Lotto-Millionäre etwa leiden langfristig eher unter dem plötzlichen Geldregen, als sie kurzfristig davon profitieren. Auch die Glücksforschung und die damit verbundenen (Volks-)Wirtschaftswissenschaften haben sich längst damit auseinandergesetzt: Etwa 65.000 Euro an Jahresnettoeinkommen pro Familie sind die Grenze für objektive Lebensqualität und subjektives Wohlbefinden – was deutlich darüber liegt, könnte problematisch werden und macht Menschen nicht glücklicher.
Mit „Reichtum als moralisches Problem“ hat Christian Neuhäuser eine philosophische Betrachtungsweise zum Thema vorgelegt. Der Autor (42) lehrt Praktische Philosophie an der Technischen Universität Dortmund. Er befasst sich mit der Würde und Verantwortung, Wirtschaftsphilosophie und Philosophie der internationalen Politik. In seinem aktuellen Buch geht es ihm daher um alles andere als um dumpfes Reichen-Bashing. Vielmehr handelt er Fragen der angewandten, politischen Ethik und der Gerechtigkeit ab – und das in durchwegs verständlicher Sprache. Schließlich sei übermäßiger Reichtum ein politisches Problem, „und die Grundbedingungen für die Möglichkeit eines Zusammenlebens in Würde sind politisch herzustellen“.
71.830 Milliarden US-Dollar betrug 2014 das Bruttoweltprodukt, das ist der Wert der weltweiten Güterproduktion (Waren und Dienstleistungen). Vor 200 Jahren, zu Beginn des Industriezeitalters, waren es „nur“ 175 Milliarden US-Dollar. „Allerdings gibt es eine lange Reihe von Problemen, die entweder bestehen blieben oder gerade neu entstanden sind“, verweist Neuhäuser auf Armut, ungleich verteilte Einkommen, Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, unkontrollierbare Finanzmärkte oder den Klimawandel.
Der mancherorts gepriesene freie Markt vermochte hier kein Gleichgewicht herzustellen. Im Gegenteil. „In Politik, Medien und Wirtschaft gibt es inzwischen eine kleine Gruppe von sehr wohlhabenden Menschen, die überproportional Einfluss auf das öffentliche Leben nehmen“, gibt der Philosoph zu bedenken. „Demokratie ist jedoch wesentlich darauf angewiesen, dass alle gesellschaftlichen Gruppen möglichst repräsentativ und möglichst aktiv daran beteiligt sind.“
Neuhäuser hinterfragt unsere Gesellschaftsstruktur, die hauptsächlich auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist. Ein moralisches Problem sieht er, wenn Menschen keine Marktzugänge etwa zu Arbeit, Lebensmittel oder Wohnung haben. Das könne ihnen die Fähigkeit nehmen, auf sich selbst achtgeben zu können, und verletze ihre Würde. Als konkreten Änderungsvorschlag bringt er etwa eine drastische Erhöhung der Einkommenssteuer auf nahezu hundert Prozent ins Spiel.
Langfristig wäre „ein konkurrenzfähiges Wirtschaftssystem ohne Reichtumsdiktat“ eine „realistische Utopie“, meint Neuhäuser. Eine Politik der kleinen Reformschritte könne genauso die Würde reicher Menschen achten, weil sie ihnen genug Freiraum gewähre, ihre Vorstellung vom guten Leben allmählich an deutlich gerechtere Bedingungen anzupassen.
Einfach zum Nachdenken.
Christian Neuhäuser
Reichtum als moralisches Problem
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
281 Seiten
ISBN 978-3-518-29849-7
20,60 Euro.