Der Fachkräftemangel lässt Arbeitgeber erkennen, dass sie ArbeitnehmerInnen mehr bieten müssen als einen Arbeitsplatz. Arbeit muss neu organisiert werden, damit sich Menschen in ihrem Job auch wohlfühlen. Und das funktioniert nur, wenn man die Belegschaft in diesen Prozess einer Neuordnung miteinbezieht, macht Lena Maria Glaser, Juristin und Expertin für New Work, in ihrem eben bei Kremayr & Scheriau erschienenen Buch „Arbeit auf Augenhöhe“ klar.
Lena Maria Glaser weiß, wovon sie spricht. Acht Jahre lang hat sie als Juristin im Finanzministerium gearbeitet, doch dann hängte sie den sicheren und gut bezahlten Job an den Nagel. Manch einer und eine verstand das nicht. Sie aber erinnert sich: „Ich war nur mehr genervt, zugeschüttet mit Aufgaben, die ich nur widerwillig erledigte. In diesem Umfeld fühlte ich mich wie in einem goldenen Käfig, aus dem ich nicht ausbrechen konnte. Jeden Tag fuhr ich mit Bauchweh in die Arbeit.“
So wie ihr geht es vielen anderen auch, weiß sie heute. Mit ihrem Unternehmen Basically Innovative berät sie Betriebe, die an einer neuen Unternehmenskultur interessiert sind, arbeitet aber auch mit ArbeitnehmerInnen, die einerseits eine bessere Work-Life-Balance anstreben, vor allem aber im Beruf mehr Wertschätzung und mehr Mitgestaltungsmöglichkeit erleben möchten.
Nicht mehr abrackern
In „Arbeit auf Augenhöhe“ skizziert sie den Paradigmenwechsel, der gerade zu beobachten sei. „Immer mehr Beschäftigte überlegen ihren Job zu kündigen, weil sie mit ihrer Arbeit unzufrieden sind. Lieber sind sie kurzfristig ohne Job, als sich für ihre Arbeitgeber:innen abzurackern“, schreibt Glaser. Als einen Katalysator sieht sie die Pandemie. Diese habe viele Menschen dazu gebracht, ihre Arbeitssituation kritisch zu hinterfragen. Und oft sei die Schlussfolgerung, dass sie so nicht mehr weiterarbeiten wollen. „Die Gründe sind vielfältig, aber einer ist sicher, dass immer mehr Beschäftigte erschöpft und leer sind.“
Gleichzeitig vollziehe sich durch den Arbeitskräftemangel in vielen Branchen eine Art Machtwechsel. „Arbeitgeber:innen bewerben sich bei den Mitarbeiter:innen und diese wählen dann sehr genau aus, für wen sie arbeiten wollen.“ Die Höhe des Gehalts sei nicht das allein Entscheidende. Sinn, Nachhaltigkeit, Wertschätzung und Mitgestaltung seien ebenso Ausschlag gebend wie flexible Arbeitsmodelle und Weiterbildungsmöglichkeiten. Ihre Generation – Glaser ist Jahrgang 1984 – sage: „Wir wollen eine faire, sozial nachhaltige Arbeitswelt, die nicht krank macht, in der die Menschen wachsen können und Sinn erkennen.“
Damit Arbeit auf Augenhöhe gelingt, seien beide Seiten gefordert: Unternehmen wie Belegschaft. ArbeitgeberInnen müssten zunächst ihren MitarbeiterInnen zuhören und ihre Ideen nicht vom Tisch wischen. Und Beschäftigte müssten lernen, sich ständig weiterzubilden und mit permanenter Veränderung zurechtzukommen. Der eine Job, den man ein Leben lang ausübe, dieses Modell habe ausgedient. Berufliche Umwege würden zur Norm, sodass sich am Ende viele die Arbeit schaffen, die zu ihnen passe.
Möglichkeiten im Job ausloten
Wovon Glaser allerdings abrät: Sofort zu kündigen, wenn etwas störe. Sie ermutige vielmehr herauszufinden, wo innerhalb des bestehenden Jobs Möglichkeiten bestehen, die Arbeit für sich selbst zu verbessern. Das hat sie übrigens zunächst auch an ihrem Arbeitsplatz im Ministerium gemacht: Sie reduzierte die Arbeitszeit, sie ging für eine Zeitlang ins Ausland, sie organisierte kleine Büroparties. Sie versuchte auf vielen Ebenen etwas zu verändern: Am Ende passte es für sie persönlich dennoch nicht. Bei anderen reicht hingehen eine solche Veränderung vielleicht schon aus.
Was aber kennzeichnet New Work? Es ist eben eine Arbeitswelt auf Augenhöhe, in der Fairness gelebt und Wissen geteilt sowie Offenheit für neue Wege zugelassen wird. Ein wichtiger Faktor ist dabei Wertschätzung gegenüber MitarbeiterInnen, ein weiterer Partizipation. Beschäftigte müssen also in allen Prozessen, die ihre Arbeit betreffen, mitgestalten können. Eine neue Fehlerkultur sorgt dafür, dass Fehler nicht als Weltuntergang empfunden werden, denn wer Angst habe, Fehler zu machen, habe Hemmungen neue Ideen umzusetzen. Und die Expertin warnt vor dem „Innovationstheater“. Ein solches liege dann vor, wenn das Unternehmen Reformen vorgebe, ohne die MitarbeiterInnen einzubinden. Das Ergebnis: Die Beschäftigten werden mit zusätzlichen Aufgaben überrollt, es fehle oft an Strategie und Kommunikation.
Mehr Achtsamkeit
Auf einer persönlichen Ebene rät Glaser ArbeitnehmerInnen, sich nicht zu scheuen, sich Wege zu suchen, wie sie, wie früher in der Kindheit, wieder ihre Kreativität ausleben können. Mehr Achtsamkeit im Hinblick auf die eigenen Kräfte helfe ebenso – hier gehe es um Pausen und darum, die persönlichen Belastungsgrenzen zu beachten. Sie selbst mache etwa täglich einen ausgiebigen Spaziergang, um den Kopf frei zu bekommen.
Die Expertin entwirft in ihrem Buch ein Idealmodell einer Arbeitswelt, die sowohl Arbeitgeber- als auch ArbeitnehmerInnenseite gerecht wird. Sie macht aber auch klar, dass es dabei nicht die eine Lösung gibt, die man über alle Betriebe und Institutionen drüberstülpen kann. Um den idealen Arbeitsplatz muss sich sowohl der Arbeitgeber als auch der/die einzelne MitarbeiterIn bemühen. Und genau dazu ermutigt Glaser in „Arbeit auf Augenhöhe“.
Lena Marie Glaser: Arbeit auf Augenhöhe. Kremayr & Scheriau, 2022.