In ihrem neuen Buch „Übermacht im Netz. Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen“ zeigt die Digital-Expertin Ingrid Brodnig all die Entwicklungen auf, die für Unbehagen sorgen – vom gläsernen Menschen durch das Datensammeln bis zur Monopolisierung der Wirtschaft durch Riesen wie Amazon. Die KOMPETENZ bat Brodnig zum Interview.
KOMPETENZ: Als das Internet für immer mehr Menschen zugänglich wurde, ging man davon aus, dass damit ein Demokratisierungseffekt einhergeht. Sie konstatieren in Ihrem Buch, dass das Gegenteil der Fall ist. Woran machen Sie das fest?
Ingrid Brodnig: Einerseits haben Datenskandale wie Cambridge Analytica gezeigt, dass vieles im Verborgenen passiert, was uns vielleicht nicht recht ist. Es werden zum Beispiel unsere Likes gesammelt, um politischen Kandidaten zu helfen. Im Buch beschreibe ich ein paar Brennpunkte, wo man sieht, dass der Einzelne eher Nachteile erleben kann. Das eine ist die Datenmacht. Die Apps, unsere Geräte sind nicht so designed, dass wir wissen, welche Daten sie sammeln, geschweige denn, wem sie dann Daten weitergeben. Und auch wenn ich alle AGBs lese, werde ich das nicht verstehen, weil die AGBs sind dafür viel zu vage verfasst. Das zweite ist die Arbeitswelt, wo zwar im Digitalen super bezahlte Programmierjobs entstehen, aber auch ein Zwei-Klassen-System, wo zum Beispiel über Plattformen extrem schlecht bezahlte Jobs verteilt werden, wie etwa bei Uber.
„Gerade Digitalkonzerne fallen dadurch auf, wenig Steuern zu zahlen.“
Ingrid Brodnig
Das dritte sind Steuern. Mit Daten und neuen Geschäftsmodellen entsteht ein unglaublicher Reichtum. Gerade Digitalkonzerne fallen dadurch auf, wenig Steuern zu zahlen. Und dann sind da noch die Algorithmen. Zum Beispiel für Entscheidungen am Arbeitsmarkt wird immer mehr Software eingesetzt, die kann nachteilhaft sein, wenn Algorithmen schlecht programmiert sind oder wenn Algorithmen unabsichtlich Frauen oder Minderheiten diskriminieren. Auf sehr vielen Ebenen können Nachteile entstehen. Ich glaube, wir können das auch wieder ändern, nur wir müssen endlich darüber reden.
KOMPETENZ: Warum war diese Entwicklung nicht vorherzusehen?
Ingrid Brodnig: Das hat mit der menschlichen Freude über neue Technologie zu tun. Die Harvard-Forscherin Debora Spar hat sich das historisch angeschaut und sie sagt, bei jeder großen neuen Technologie gibt es vier Phasen: Diese schöne Anfangszeit, wo man erstaunt ist über die neuen Möglichkeiten, dann die zweite Phase der Pioniere, die Geschäftsmodelle kreieren. Die dritte Phase, wo Menschen anfangen, nach Regulierung zu rufen. In der vierten Phase schreitet der Staat ein. Wir glauben gern, mit dem Internet, das ist eine völlig neue Situation. Ist es auch, aber Politiker haben sich auch schon bei den Radiowellen schwer getan, ob sie das regulieren sollen oder nicht.
Die USA haben bei Radiowellen lange keine Gesetze gemacht, auch auf Grund der Überlegung, das ist der Äther, kann man da überhaupt eingreifen. Und dann gab es das Schiffsunglück der Titanic, wo einerseits Hilferufe über den Funk nicht gehört worden sind und sich dann andererseits Signale überlappt haben und die falsche Information hinausging, alle Passagiere hätten überlebt. Das hat dazu geführt, dass die Politik unter Zugzwang kam und regulieren musste. Es kam zu Auflagen, etwa dass Notrufe bevorzugt werden müssen. Natürlich ist das Internet ein moderneres Medium, aber diese anfängliche Überforderung, die gibt es immer wieder und dem Menschen ist es stets gelungen, diese Überforderung zu überkommen.
KOMPETENZ: Im wirtschaftlichen Bereich hat das Internet globale Riesenunternehmen hervorgebracht, die durch ihre Vormachtstellung auch Marktbeeinflusser sind – Beispiel Amazon. Automatisierung in Industriebetrieben ist ein bekanntes Phänomen. Amazon ist jedoch ein Handelsunternehmen. Inwiefern wirkt sich aber auch dort die Technologienähe auf den Arbeitsmarkt aus?
„Es ist falsch zu sagen, alle Jobs sind ersetzbar, aber man muss sich bewusst sein, manche Tätigkeiten sind nun zunehmend ersetzbar.“
Ingrid Brodnig
Ingrid Brodnig: Wenn wir über Automatisierung reden, heißt es oft, in der Industrie haben wir das seit Jahrzehnten. Man muss sich aber bewusst sein, dass es technologische Fortschritte gab in den letzten zehn Jahren, sodass Automatisierung in mehr und mehr Bereichen eingesetzt werden kann. Konkret führt eine Mischung aus stärkeren Rechnern und Datenmacht dazu, dass neue Formen von künstlicher Intelligenz – zum Beispiel neuronale Netzwerke – entwickelt werden konnten, die zum Beispiel sehr gut sind, Muster und Bilder zu erkennen. Es ist falsch zu sagen, alle Jobs sind ersetzbar, aber man muss sich bewusst sein, manche Tätigkeiten sind nun zunehmend ersetzbar. Wir fokussieren allerdings zu stark auf die Frage, wieviele Jobs fallen weg. Wir sollten auch fragen: Sind neu entstehende Jobs gut genug? Viele Jobs, die in Digitalkonzernen entstehen, sind nicht toll bezahlt und weisen nicht immer gewohnte Arbeitsstandards auf.
KOMPETENZ: Wie kommt es zu dieser Dynamik? Man denkt da ja eher an hochqualifizierte neue Tätigkeiten, wie eben neue Maschinen oder künstliche Intelligenz zu entwickeln?
Ingrid Brodnig: Wenn man sich die Digitalkonzerne anschaut, gibt es eine große Kluft zwischen den super und den schlecht bezahlten Jobs. Im Frühjahr zeigte ein amerikanisches Medium auf: Ein durchschnittlicher Facebook-Mitarbeiter in den USA verdient ungefähr 240.000 Dollar im Jahr. Für Facebook arbeiten aber nicht nur Programmierer, sondern auch Moderatoren, die Hasskommentare lesen und Gewaltvideos anschauen und diese entfernen. Diese Moderatoren arbeiten für Dienstleiter von Facebook, also für Leiharbeitsfirmen, und verdienen 28.800 Dollar im Jahr. Ein zweites Problem: Es gibt Begriffe, die modern wirken, hinter denen sich aber Rückschritte im Arbeitsrecht verstecken. Ein Beispiel ist die Gig Economy. Da bin ich kein Angestellter mehr, der ein sicheres Gehalt bekommt, sondern ich werde pro Mini-Auftrag bezahlt.
Wenn diese negativen Entwicklungen angesprochen werden, heißt es oft, macht euch keinen Kopf, jede industrielle Revolution ist bisher für alle gut ausgegangen. Am Ende wurde die gesamte Gesellschaft reicher. Das ist aber ein zu simpler Blick, weil es gab in der industriellen Revolution einzelne Branchen, deren Einkommen wegbrach. Und dass alle profitierten, musste schrittweise erkämpft werden, etwa von Gewerkschaften. Wenn die Technik andere Arbeitsformen ermöglicht, müssen wir als Gesellschaft neue Regeln schaffen. Das ist bisher nur deshalb gut ausgegangen, weil sich Menschen eingesetzt haben für höhere Löhne, eine fairere Verteilung.
KOMPETENZ: Ein Punkt, der hier anschließt, ist die Frage der Steuergerechtigkeit – Sie haben es zu Beginn schon angeschnitten. Globale Unternehmen – und damit auch die Internetriesen – finden leicht Steuerschlupflöcher.
Ingrid Brodnig: Das Problem ist, dass die internationale Steuerlogik vor etwa 100 Jahren erfunden wurde in einer Zeit, wo klar war, wo ein Unternehmen seine Fabrik hat, wo es produziert. Wir haben das traditionelle Schema, Gewinne werden dort versteuert, wo produziert wird. Heutzutage sind Konzerne global aufgestellt, haben Töchterfirmen in unterschiedlichen Ländern und sie speichern ihr geistiges Eigentum in Niedrigsteuerländern wie den Bermudas und sagen, dort ist unsere Wertschöpfung. Das ist alarmierend. Ökonomen der EU-Kommission haben berechnet, dass der EU jedes Jahr 36 Milliarden Euro verloren gehen, das sind fast knapp acht Prozent der gesamten Haushaltseinnahmen. Das ist Geld, das uns dann fehlt.
Es gibt nicht den einen Steuerkniff, mit dem wir alles lösen. Wir müssen umdenken: das Wirtschaftssystem ist ein anderes als vor 50 Jahren. Natürlich müssen Steuern das widerspiegeln. Derzeit wird sehr viel Geld mit Steuern auf Arbeit eingenommen. Wenn aber nun Algorithmen oder Roboter einen Teil der Tätigkeit erledigen, muss man da ansetzen. Man könnte eine Robotersteuer einführen. Oder Gewinne dort versteuern, wo konsumiert wird. Margrethe Vestager, die neue EU-Kommissarin für Digitales und Wettbewerb, hat erst kürzlich über die Notwendigkeit einer Digitalsteuer gesprochen und dass Europa im Notfall auch alleine vorprescht. Ich hoffe, dass auch der Druck in der Bevölkerung groß genug ist, dass Politiker wirklich große Schritte wagen.
KOMPETENZ: Da geht es ja auch um Verteilungsfragen. Wir erleben, dass die Kluft zwischen arm und reich wieder größer wird. Ein Ansatz, den interessanterweise auch Unternehmer wie Amazon-Gründer Jeff Bezos oder Facebook-Chef Mark Zuckerberg unterstützen, ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Warum sind Sie hier skeptisch?
„Wenn in Deutschland jeder Bürger 1.000 Euro bedingungsloses Grundeinkommen erhält, bezieht ein großer Teil der Hartz-IV-Bezieher weniger als jetzt.“
Ingrid Brodnig
Ingrid Brodnig: Es gibt enorm einflussreiche Unternehmer wie Elon Musk oder Jeff Bezos, die als Befürworter des Grundeinkommens gelten und dann gibt es auch Fans dieser Idee in der Linken. Wie passt das zusammen? Die Antwort ist, es gibt höchst unterschiedliche Ansätze. Manche Modelle sagen, jeder kriegt 600 Euro im Monat. Nur von 600 Euro ist es schwer zu leben. Auch baut das bedingungslose Grundeinkommen auf der Idee auf: Wir führen eine einheitliche Zahlung für alle Bürger ein, dafür fallen andere Sozialleistungen weg. Hier besteht die Gefahr, dass wirklich Bedürftige in Zukunft weniger Geld bekommen. Der Philosoph Richard David Precht hat einmal berechnet: Wenn in Deutschland jeder Bürger 1.000 Euro bedingungsloses Grundeinkommen erhält, bezieht ein großer Teil der Hartz-IV-Bezieher weniger als jetzt. Das Hartz-IV-Geld ist zwar niedrig, aber viele Arbeitslose bekommen noch Mietzuschuss und andere staatlichen Gelder. Wenn man den gesamten Sozialstaat wegstreicht, müsset das bedingungslose Grundeinkommen ziemlich hoch sein, damit Menschen würdevoll davon leben können.
Ich verstehe Menschen, die aus sozialen Überlegungen das Grundeinkommen fordern. Wenn ein Mensch, der keinen Job mehr findet, auch weil einige Arbeitsplätze automatisiert wurden, dann sollten wir diesen Menschen trotzdem ein würdevolles Leben ermöglichen. Das ist ein richtiger Gedanke. Ich sehe aber viele Fragezeichen, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen wirklich so ausgestaltet wird, dass Menschen davon leben können. Es stellt sich die Frage der Finanzierung. Und dann gibt es noch einen dritten Einwand. Wenn wir tatsächlich alle Sozialleistungen abschaffen und stattdessen das bedingungslose Grundeinkommen einführen, gibt es nur einen Hebel im Sozialsystem. Wenn dann zum Beispiel wirtschaftsliberale Parteien eine Mehrheit im Parlament haben, können sie mit nur einem Gesetz den gesamten Sozialstaat abschaffen.
Buchtipp:
Ingrid Brodnig: „Übermacht im Netz. Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen“, Wien 2019, Brandstätter Verlag, 208 Seiten, 20 €, ISBN 978-3-7106-0366-2