Wer Hinweise gibt soll auch geschützt sein

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Was die neue EU-Richtlinie den Beschäftigten bringt.

Wie alles begann

In den USA führte die „Geschäftsgebarung“ (um das Kind beim Namen zu nennen, kann man auch von massiver Bilanzfälschung sprechen) des Energieversorgungsunternehmens Enron im Jahre 2000 zu einem Anstieg der Strompreise um bis zu 300 Prozent. Es kam zu einer Unterversorgung und Stromausfällen in ganzen Bundesstaaten, der Insolvenz des Energieversorgers, einem veritablen Finanzskandal und zu „guter“ Letzt zu einem langjährigen, kostspieligen Gerichtsverfahren. Viele hatten von den illegalen Finanzierungsmethoden gewusst, aber keineR hatte davon öffentlich gesprochen bzw. war mit der Kritik ernst genommen und gehört worden. Um zukünftig derartige „loose-loose-loose-Situationen“ zu vermeiden, gibt es in den USA seit 2002 den Sarbanes-Oxley-Act (SOX), benannt nach den beiden Verfassern Paul Sarbanes und Michael Oxley. Dieses Gesetz wirkt auch extra-territorial auf ausländische Unternehmen, die an us-amerikanischen Börsen notieren sowie deren Prüfgesellschaften. In Österreich ansässige Teile von solchen Konzernen oder deren in Österreich ansässige Wirtschaftsprüfer*innen mussten also bisher schon dafür sorgen, dass „ungewöhnliche“ Finanzgebarung in so genannten Whistleblowing-Hotlines gemeldet werden kann.

Das Problem an derartigen Melde-Hotlines in Europa war, dass nicht klar beschränkt war, WAS überhaupt gemeldet werden sollte und somit die – berechtigte – Befürchtung bestand, dem Verbreiten falscher Anschuldigungen (manche nennen es „Vernadern“) Tür und Tor zu öffnen. Dem unbegründeten Beschuldigen schob die Datenschutzbehörde zwar einen kleinen Riegel vor, aber mehr Meldungen von Whistleblower*innen gab es deshalb nicht. Zumindest nach den Erfahrungen in der Gewerkschaftsarbeit hielt sich die Zahl der Hinweisgeber*innen in Grenzen. Es war wenig verlockend, einen Hinweis einzubringen, wenn man wenig bis gar keinen Schutz durch den Gesetzgeber hatte.

Was das Europäische Parlament forderte

Anfang 2017 verlangte das Europäische Parlament von der Europäischen Kommission die Rolle von Informant*innen besser zu definieren und ihnen einen besseren Schutz zu gewährleisten – und zwar solle bis Ende 2017 ein Vorschlag erarbeitet werden. Eigentlich stand dieses Vorhaben seit 2016 auf der Agenda der Kommission. In der Resolution wird vom Parlament bedauert „… dass die Kommission es bislang versäumt hat, Legislativvorschläge zur Schaffung eines Mindestschutzes für europäische Hinweisgeber vorzulegen”.

Am 16. April 2019 war es dann soweit. Das EU-Parlament beschloss den Richtlinine-Entwurf (Proposal for a directive on the protection of persons reporting on breaches of Union law), der unter Leitung der seit 2014 zuständigen Kommission der Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung Vera Jurova erarbeitetet worden war. Die Zustimmung des Rates zu der Richtlinie erfolgte nun im Oktober 2019.

Und was daraus geworden ist

Die EU-Richtlinie deckt folgende Bereiche ab: öffentliches Auftragswesen, Finanzdienstleistungen sowie Verhütung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, nukleare Sicherheit, Produktsicherheit, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Datensicherheit von Netz- und  Informationssystemen (Art 1).

Welche Unternehmen müssen Meldemöglichkeiten schaffen:

  • Öffentlicher Sektor (Regierung, Behörden, Gemeinden mit einer Bevölkerung von 10.000 oder mehr)
  • private Organisationen mit 50 oder mehr Beschäftigten resp 10 Mio oder mehr Jahresumsatz (nationale Öffnungsklausel für kleinere Unternehmen)
  • Financebereich [Näherens in Artikel 4 der Richtlinie]

Wer fällt unter den Schutz der Richtlinie:

  • ArbeitnehmerInnen inklusive BeamtInnen
  • Teilzeitkräfte, atypisch Beschäftigte, prekär Beschäftigte
  • Bewerber*innen, Personen mit beendetem Arbeitsverhältnis
  • allfällig involvierte Kolleg*innen, Gewerkschaftsvertreter*innen sowie Verwandte

Die Richtlinie umfasst also einen sehr großen Personenkreis. Voraussetzung dafür, dass die Richtlinie schlagend wird und schützt ist, dass die Informationen zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen. Absichtliche Falsch-Melder*innen sind also nicht geschützt. [Näheres in den Erwägungsgründen 26f der Richtlinie]

Wie müssen die Meldekanäle gestaltet sein:

  • leicht zugänglich
  • klare Information über den Ablauf
  • die den Hinweis Entgegen-nehmenden müssen unabhängig von der Unternehmensleitung agieren können
  • Anonymität muss möglich sein
  • schriftliche, mündliche oder auch persönliche Meldung muss möglich sein
  • Hinweisgebende müssen binnen einer Woche eine Bestätigung über ihre Meldung erhalten sowie eine Rückmeldung über die in die Wege geleiteten Folgemaßnahmen innerhalb von drei Monaten erhalten sowie über die unternommenen Schritte zur Aufklärung informiert werden
  • Hinweisgebende sollten sich vorerst an eine interne Meldestelle des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin wenden, können aber auch an externe Stellen (NGOs) oder Medien berichten
  • es können auch (gemeinsame) externe Stellen beauftragt werden [Näheres in Artikel 8ff der Richtlinie]

Wovor sind Hinweisgebende geschützt:

„Der vereinbarte Text verbietet ausdrücklich Repressalien und führt Schutzmaßnahmen ein, damit ein Hinweisgeber nicht entlassen, degradiert, eingeschüchtert oder in anderer Weise angegriffen wird. Auch geschützt wird, wer Hinweisgeber unterstützt, wie zum Beispiel Mittelsmänner, Kollegen [Interessenvertreter] oder Verwandte.“

Pressemitteilung Plenartagung 16.4.2019

Folgende Maßnahmen sind als Reaktion auf Hinweise verboten:

  • Suspendierung, Entlassung oder vergleichbare Maßnahmen;
  • Herabstufung oder Versagung einer Beförderung;
  • Aufgabenverlagerung, Verlagerung des Arbeitsplatzes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeiten;
  • Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen;
  • negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses;
  • disziplinarischer Verweis, Rüge oder sonstige Sanktion (auch finanzieller Art);
  • Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung;
  • Diskriminierung, Benachteiligung oder Ungleichbehandlung;
  • Nichtumwandlung eines Zeitarbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen der/die Bedienstete zu Recht erwarten durfte, eine unbefristete Stelle angeboten zu bekommen;
  • Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines Zeitarbeitsvertrags;
  • Schädigung (einschließlich Rufschädigung), insbesondere in den sozialen Medien, oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftrags- oder Einnahmenverluste);
  • Erfassung des Hinweisgebers auf einer schwarzen Liste auf Basis einer informellen oder formellen sektor‑ oder branchenspezifischen Vereinbarung mit der Folge, dass der Hinweisgeber sektor‑ oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet;
  • vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen;
  • Entzug einer Lizenz oder einer Genehmigung;
  • psychiatrische oder ärztliche Überweisungen.

Es handelt sich also um einen sehr umfassenden Schutz, weshalb er hier auch in aller Schönheit zitiert wird. [Art 19]

Und in Österreich?

Bis 2021 muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Die GPA-djp wird diese Umsetzung – hoffentlich nicht nur beobachtend sondern auch beratend – begleiten. Das Ergebnis bleibt abzuwarten, wir werden an dieser Stelle darüber informieren.

Was jedenfalls sicher ist und hier und jetzt schon verraten werden kann: Die GPA-djp erarbeitet derzeit eine ausführliche Broschüre zum Thema; die für Mitglieder Anfang 2020 an den üblichen Stellen digital sowie analog zur Verfügung stehen wird.

Der Beitrag ist erstmals am Blog http://arbeitundtechnik.gpa-djp.at/ erschienen.

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