Weniger ist mehr

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Arbeitszeitverkürzung ist vielerorts ein Trend. WissenschaftlerInnen, TherapeutInnen und GewerkschafterInnen fordern, sie in Gesetz und Kollektivvertrag festzuschreiben.

Ein Geschäftsbrief war früher mindestens zwei Tage per Post unterwegs. Heute wird die Korrespondenz per Mail erledigt – in Sekundenschnelle. Dieses Detail zeigt, wie schnell die Arbeitswelt in vielen Bereichen geworden ist: und effizient. Gleichzeitig können so an einem Arbeitstag viel mehr Aufgaben erledigt werden. Der Arbeitsdruck ist freilich gestiegen. Deshalb fordern GewerkschafterInnen, TherapeutInnen und WissenschaftlerInnen eine Arbeitszeitreduktion. Etliche Unternehmen haben sie bereits freiwillig eingeführt – auch in Österreich, wo die gescheiterte ÖVP/FPÖ-Regierung wieder den 12-Stunden-Arbeitstag ermöglicht hat.

36-Stunden-Woche

In dem Grazer Jungunternehmen Bike Citizens arbeiten die mehr als 20 Beschäftigten seit fünf Jahren nur noch 36 Stunden an vier Tagen pro Woche. Es gibt eine Kernarbeitszeit von neun bis 15 Uhr von Montag bis Donnerstag. Die restlichen Stunden können die MitarbeiterInnen beliebig verteilen, auch auf den Freitag. „Aber wir halten schon dazu an, diese von Montag bis Donnerstag zu machen, damit der Freitag zur Gänze zum freien Wochenende gehört“, unterstreicht Firmenchef Daniel Kofler. „Das soll eine gewisse Distanz, ein ganz anderes Mindset schaffen, mit dem man dann am Montag wieder zur Arbeit zurückkehrt.“ Die Reduktion von 38,5 auf 36 Stunden war mit einer aliquoten Lohnkürzung verbunden. Darauf habe es viele positive Reaktionen gegeben, „weil das den Leuten der zusätzliche Tag wert ist“. Mittelfristig strebt das Unternehmen eine 30-Stunden-Arbeitswoche an.

„Speziell für die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich haben sich die Arbeitsbedingungen im vergangenen Jahrzehnt verschlechtert, sodass es zu einer Arbeitsverdichtung gekommen ist, die auch zu sehr großen gesundheitlichen Belastungen führt.“

Claudia Sorger

30-Stunden-Woche

Ebenfalls ein Online-Unternehmen ist eMagnetix im oberösterreichischen Bad Leonfelden. Hier wurde vor einem Jahr auf eine 30-Stunden-Woche bei gleichem Gehalt umgestellt. Was paradiesisch klingt, begründet Geschäftsführer Klaus Hochreiter mit Vorteilen für drei Seiten: Die 22 Angestellten seien durch mehr Freizeit ausgeglichener, zufriedener und damit auch produktiver. Der Output sei besser, was dem Arbeitgeber und, drittens, vor allem den KundInnen zugutekomme. Eine Win-win-win-Situation.

Ausschlaggebend war laut Geschäftsführer Klaus Hochreiter die Schwierigkeit, geeignete MitarbeiterInnen zu finden. Internationale Vorreiter etwa in Schweden stachelten ihn an – nur kam für ihn eine Kürzung der Gehälter nicht in Frage. Das würde ja kurz- und langfristig Nachteile bringen, ist er überzeugt: Neben dem Geld für die Lebenshaltung würden auch die Ansprüche auf Pension und Arbeitslosengeld sinken. Dann wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die MitarbeiterInnen einen zusätzlichen Job suchen würden und so mehr arbeiten müssten, was für die Grundidee, die Zufriedenheit der Angestellten zu fördern, kontraproduktiv wäre.

Bessere Work-Life-Balance

Der Unternehmer beruft sich auf Studien, wonach es der Generation wichtig sei nicht „zu leben, um zu arbeiten“, sondern „zu arbeiten, um zu leben“. Damit die Stundenreduktion Hand und Fuß hat, wurde gemeinsam mit den Beschäftigten nach Optimierungspotenzial in den Unternehmensabläufen gesucht. Neben der Gleitzeitregelung regelt der Dienstvertrag, dass es maximal fünf Überstunden pro Monat geben darf. Und BewerberInnen finden sich bei eMagnetix jetzt auch ausreichend.

Vier-Tage-Woche

Die Balance zwischen Leben und Arbeit stand auch hinter der Überlegung des Technologie-Giganten Microsoft in Japan, als er im August 2019 die Vier-Tage-Woche testete. Die Produktivität der MitarbeiterInnen stieg um 40 Prozent, der Stromverbrauch sank um 23 Prozent, und es wurden um 60 Prozent weniger Seiten ausgedruckt. Besprechungen durften nur noch 30 Minuten dauern.

5-Stunden-Tag

Auf 15 Minuten beschränkt wurden die Meetings in der IT-Agentur von Lasse Rheingans im deutschen Bielefeld. „Wir haben uns außerdem darauf geeinigt, E-Mails nur zweimal am Tag zu checken.“ Pünktlich um acht Uhr geht die Arbeit „richtig“ los – das heißt jetzt, konzentriert und leise, während vor der Arbeitszeitumstellung meistens noch Musik im Hintergrund lief. Was vor zwei Jahren als Experiment begann, hat Rheingans mit seinen 15 MitarbeiterInnen wegen Erfolges beibehalten: den Fünf-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich – nach Eigendarstellung als erstes Unternehmen Deutschlands. Die Angestellten arbeiten nur noch 25 Wochenstunden, dafür werden Eigenverantwortung und Selbstdisziplin großgeschrieben. Für die Teamkultur und den Bürotratsch gibt es Events an Freitagabenden.

„Wir haben uns außerdem darauf geeinigt, E-Mails nur zweimal am Tag zu checken.“

Lasse Rheingans

Rheingans Vorbild war eine Paddelboot-Firma in Kalifornien. Andere Beispiele einer Arbeitszeitreduktion gibt es aus Neuseeland oder Schweden. In Frankreich gilt seit dem Jahr 2000 formal eine 35-Stunden-Woche; scheibchenweise wurde die Maßnahme allerdings wieder beschnitten – zugunsten der Unternehmen und Überstundenmöglichkeiten.

6-Stunden-Tage

Aus Kostengründen abgebrochen wurde ein Pilotprojekt in einem Pflegeheim im schwedischen Göteborg. Der Sechs-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich reduzierte zwar die Krankenstände und erhöhte die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten gleichermaßen wie die PatientInnen zufriedener waren. Der Regierung von Göteborg waren aber die Zusatzkosten von etwa 80.000 Euro pro Jahr zu hoch. Dem widerspricht eine Stressstudie der Universität Stockholm, wonach eine Sechs-Stunden-Reform bei gleichem Lohn zunächst höhere Kosten verursache, langfristig jedoch ein Gewinn sei.

Gesunde Arbeit

„Euros helfen nur sehr begrenzt gesundheitlich“, findet der Arbeitswissenschaftler Johannes Gärtner. „Ich weiß nicht, ob ich den Lohnausgleich unterschreiben würde. Ich glaube sehr wohl, dass viele bei 32 bis 35 Stunden um einiges produktiver sind“, sagte er zuletzt im Interview mit der Autorin für die KOMPETENZ. „Die Gesundheits-, die Sozial- und die Unfallthemen bleiben ja.“

„Euros helfen nur sehr begrenzt gesundheitlich“

Johannes Gärtner

Ähnlich die Soziologin Claudia Sorger. Speziell für die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich haben sich die Arbeitsbedingungen im vergangenen Jahrzehnt verschlechtert, unterstreicht sie. „Sodass es zu einer Arbeitsverdichtung gekommen ist, die auch zu sehr großen gesundheitlichen Belastungen führt.“ Sie führt Studien an, wonach nur 26 Prozent der Beschäftigten im Sozialbereich angeben, ihren Beruf bis zum Pensionsantrittsalter durchhalten zu können. Unter allen anderen Beschäftigten glauben das im Schnitt immerhin 51 Prozent.

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