Das steht im Regierungsprogramm

HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com

Eine Bewertung der arbeitsmarkt-, sozial- und verteilungspolitische Aspekte des Regierungsübereinkommens von ÖVP und Grünen aus gewerkschaftlicher Sicht.

Das neue Regierungsübereinkommen kann aus verschiedenen Perspektive bewertet werden.

Man kann das neue Regierungsprogramm mit seinem unmittelbaren Vorgänger von ÖVP und FPÖ aus 2017 vergleichen. Die Verschlechterungen von Schwarz-Blau (Arbeitszeitverlängerungsgesetz, Auslieferung der Sozialversicherung an die Wirtschaftskammer) bleiben unangetastet, werden aber nicht voll fortgesetzt. Neben vielen Ähnlichkeiten fallen einige Aspekte positiv auf. Es wird in vielen Punkten festgelegt, dass die Sozialpartner einbezogen werden sollen. Es wird nicht immer dieselbe neoliberal-nationale Geschichte erzählt, die die Bevölkerung spaltet und Benachteiligte für ihr Schicksal selbst verantwortlich macht. Es soll Armut und nicht Arme bekämpft werden. Es sollen geringe Löhne angehoben werden. Es wird die Klimakrise ernst genommen und durch Maßnahmen angegangen. Es werden die Lohnnebenkosten nicht unabhängig davon gesenkt, was das für die zu finanzierenden Leistungen bedeutet. Es sollen im ASVG keine neuen Selbstbehalte eingeführt werden.  Positiv ist das Bekenntnis zum „unabhängig finanzierten“ ORF. Aber zwischen den angeführten Zielen und den vereinbarten Umsetzungsmaßnahmen klafft oft eine große Lücke.

Wer profitiert?

Man kann und muss das Regierungsprogramm aber auch danach bewerten, wessen Interessen bedient werden und wer davon überproportional profitieren wird. Und da fällt auf, dass es sich im Kern wieder um ein neoliberales Programm handelt, das Milliardengeschenke an die Konzerne und Erleichterungen vor allem für die Besserverdienenden enthält. Daher gab es sofort die Gratulation der Industrie und Wirtschaftsvertreter. Diese hatten vor allem eines im Sinn: die Milliardengeschenke, die ihnen ÖVP und FPÖ versprochen haben, einzufahren. Und das ist ihnen gelungen. Da die letzte Regierung sehr überraschend abdanken musste, war die Wunschliste der Großindustrie noch nicht abgearbeitet. Steuergeschenke an die Konzerne zu Lasten der Allgemeinheit sind nun wieder fixiert.

„Die Schritte zu mehr Steuergerechtigkeit die zwischen Arbeit und Kapital, die nach der letzten Finanzkrise durchgesetzt wurden, werden also wieder schrittweise rückgängig gemacht.“

David Mum

Das Programm den Staat zurückzufahren wird fortgesetzt: Nulldefizit (aber nun zumindest über den Konjunkturzyklus), gepaart mit Senkung der Abgabenquote und Steuergeschenken an die Konzerne und Millionäre bedeuten Staatsrückbau, also Rückbau gesellschaftlicher Verantwortung und solidarischer Lösungen. Die Gewinnsteuer, die Schwarz-Blau 2005 von 34 auf 25 Prozent gesenkt hat, soll nun von Schwarz Grün auf 21 Prozent gesenkt werden. Das kostet die Allgemeinheit 2 Milliarden Euro. Schön für die Aktionäre im In- und Ausland, die damit zu Lasten der SteuerzahlerInnen mehr Dividenden erhalten werden. Es fragt sich, wie lange sich die Industrie- und Konzernvertreter mit den 21 Prozent zufriedengeben werden, bevor ihnen auch das zu viel wird. Der Spitzensteuersatz von 55 Prozent für Jahreseinkommen über 1 Million wird auslaufen. Zudem soll die Aktienkursgewinnbesteuerung nach einer Mindesthaltedauer wieder entfallen, und ökologische Investitionen von der Kapitalertragssteuer befreit werden. Die Schritte zu mehr Steuergerechtigkeit die zwischen Arbeit und Kapital, die nach der letzten Finanzkrise durchgesetzt wurden, werden also wieder schrittweise rückgängig gemacht.

Positiv ist, dass Klimaschutzinvestitionen beim Ziel die Schuldenquote auf unter 60 Prozent des BIP zu bekommen, ausgeklammert bleiben kann. Aber für einen Ausbau des Sozialstaates im Bereich der Pflege und Kinderbetreuungseinrichtungen wird kaum ein Geld bleiben. Denn wer Steuern senkt und lieber keine neuen Schulden als mehr neue Kindergärten bauen will, der setzt auf eine konservative Sozialpolitik:  Pflege und Betreuung soll vor allem durch Angehörige – fast immer Frauen – zu Hause erfolgen. Es stellt sich überhaupt die Frage, wie positive Maßnahmen wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs finanziert werden sollen, wenn man keine Schulden machen darf und gleichzeitig die Steuern generell senken will. Nachdem die ÖVP fast alle Schlüsselministerien besetzt und auch die ökosoziale Steuerreform auf 2022 verschoben ist, droht sozialpolitischer Stillstand. ÖVP und FPÖ konnten die Steuern ohne große Einschnitte senken, weil die Konjunktur 2018 und Anfang 2019 sehr gut gelaufen ist. Durch die konjunkturelle Eintrübung ist die Situation in den nächsten Jahren eine ganz andere. Irgendwelche steuerliche Mehreinnahmen bei den hohen Einkommen, Erbschaften oder Vermögen sind ausgeschlossen. Im Gegenteil, die Vermögenden und Bezieher hoher Einkommen werden steuerlich die Hauptprofiteure der vereinbarten Maßnahmen sein.   

Armutsbekämpfung

Das Kapitel Armut fällt zunächst positiv auf. Die Regierung will die Armutsgefährdung halbieren. Man will Armut und nicht Arme bekämpfen. Die Rhetorik und Ziele haben sich stark verbessert. Ein wesentliches Instrument dazu ist die geplante Anhebung der Mindestlöhne durch die Sozialpartner – oder, wenn das nicht gelingt, durch das Einigungsamt. Das ist sehr zu begrüßen und entspricht den Forderungen des ÖGB. Positiv fällt auch auf, dass die Notstandshilfe nicht abgeschafft werden soll.  Aber beim Arbeitslosengeld sind Verschärfungen angedeutet. Arbeitslose sollen angereizt werden, schneller ins Erwerbsleben zurückzukehren. Das ist meist eine andere Formulierung für eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen und eine Aufweichung des Berufs- und Einkommensschutzes.

Doch bei anderen Maßnahmen im Kapitel Armut ist man perplex: So soll Kinderarmut reduziert werden, in dem arme Kinder 100 Euro mehr im Jahr (!) bekommen, während die Kinder Wohlhabender um 250 Euro mehr bekommen werden, weil der Kinderbonus von 1.500 auf 1.750 EUR erhöht wird. Der Haken: Der Kinderbonus ist eine Steuerförderung und erreicht nur die, die auch so hohe Steuern zahlen müssen. Das geht also an den Armen vorbei.

„Der Regierung sind also wieder die Kinder der Reichen mehr wert.“

David Mum

Der Regierung sind also wieder die Kinder der Reichen mehr wert, als die der Armen und das findet sich noch dazu zynischerweise im Kapitel zu Armutsbekämpfung und nicht im Kapitel Oberschichtsförderung, wo es hinpassen würde. Weitere Maßnahmen, die angeführt werden sind Steuersenkungen, die aber auch alle den wirklichen Armen nichts bringen und die umso höher sind, je mehr man verdient. Es wurde keine Maßnahme vereinbart, die zumindest gleich stark den Armen zugutekommen würde wie z.B. eine höhere Familienbeihilfe, ein höherer Kinderabsetzbetrag oder eine höhere Negativsteuer. Diese Maßnahmen werden daher nicht die Armut halbieren, sondern die Ungleichheit erhöhen.

Niedrigere Steuersätze

Die Senkung der ersten drei Steuersätze von 25, 35 und 42 Prozent auf 20, 30 und 40 Prozent ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, bringt aber hohen Einkommen weitaus mehr und bedürfte daher Begleitmaßnahmen. Die wirklich Armen schauen auch da durch die Finger.

Es gibt kein Ziel zur Reduktion des Einkommensunterschieds zwischen Männern und Frauen (außer in den Kulturorganisationen), dafür sollen Frauen darauf aufmerksam gemacht werden, dass Teilzeitarbeit und weniger Arbeitsjahre zu einer geringeren Pension führen („Verstärkte Informationen zu den Konsequenzen von Teilzeitarbeit und fehlenden Beitragsjahren (in einem Pensions-/Teilzeitrechner)“. Es bedarf aber flächendeckender Betreuungsangebote und nicht der Information, dass man eine geringere Pension erhält, wenn man weniger verdient.

Pensionen

Die Regierung gibt ein Bekenntnis zum bestehenden Pensionssystem ab („brauchen keine Neuausrichtung“). Das ist positiv. Eine Weiterentwicklung ist aber nicht gegeben. Der Unterschied zwischen Frauen und- Männerpensionen soll durch ein automatisches Pensionssplitting bis zum 10. Lebensjahr reduziert werden. Dabei werden die Pensionsansprüche zwischen Elternteilen geteilt. Das kann in einer Partnerschaft etwas mehr Ausgleich bringen. Es ändert aber leider rein gar nichts an den unterschiedlichen Bedingungen zwischen armen und reichen Familien. Das entspricht dem konservativen Familienbild, wonach Frauen, deren Männer viel verdienen dementsprechend auch vom Splitting viel mehr profitieren als Frauen von Geringverdienern bzw. in Paaren in denen beide gleich viel verdienen. Ein Splitting kann daher nicht Maßnahmen ersetzen, wie eine bessere Bewertung der Kindererziehungszeiten, die alle erziehenden Eltern gleich stark fördern und wirklich zu mehr Einkommensgerechtigkeit beitragen würde.

Gewerkschaften und Sozialpartnerschaft

Es ist im Gegensatz zum Vorgängerprogramm positiverweise keine Senkung der AK Umlage und keine zwangsweise Zusammenlegung der Betriebsräte von Arbeitern und Angestellten vereinbart.  Das Kapitel Arbeitsrecht ist knapp ausgefallen. Zur besseren Absicherung neuer Beschäftigungsformen enthält es nichts Konkretes. Niedriglöhne sollen unter Beiziehung Sozialpartner angehoben werden, sonst soll es eine Regelung durch das Einigungsamt geben. Dem liegt das Ziel zugrunde, dass Arbeit von der man leben kann, ein wesentlicher Beitrag zur Armutsvermeidung ist. Das ist sehr begrüßenswert. Das betrifft Bereiche ohne Kollektivvertrag und solche wo kollektivvertragliche Einkommen lange nicht erhöht wurden. Vorsicht ist bei der Entgeltfortzahlung angebracht, hier soll ein Kostentransfer von Unternehmen zur Sozialversicherung erfolgen. Bei der Reform Rot-Weiß-Rot-Karte sollen die Gehaltsgrenzen gesenkt werden. Das bedeutet mehr Lohndruck und weniger Druck für Unternehmen Stellen durch verbesserte Bezahlung und Arbeitsbedingungen zu besetzen. Zur Frage der Abgrenzung von selbständiger und unselbständiger Tätigkeit ist sowohl das Recht auf Selbständigkeit als auch der Kampf gegen Scheinselbständigkeit angeführt. Wir werden sehr sensibel jede Unterwanderung und Aushöhlung des Arbeitsrechts beobachten und bekämpfen.  

Gefährlich ist die angekündigte Prüfung der Kammerwahlordnungen. ÖVP Klubchef Wöginger hat bereits mehrfach angekündigt, er wolle gesetzlich in die Arbeiterkammerwahlordnung eingreifen. Es steht zu befürchten, dass so eine kritische Organisation, die durch ihre Unabhängigkeit nicht der „message control“ durch die Regierung unterworfen ist, zum Schweigen gebracht werden soll. Das ist klar abzulehnen. 

Sozialversicherung

Die Regierung bekennt sich positiverweise zur Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Aber bedauerlicherweise wurde die Selbstverwaltung bei den Arbeitern und Abgestellten von der letzten Regierung ausgehebelt und daran wird nicht gerüttelt. Lohnnebenkostensenkungen sollen geprüft werden, aber ohne Leistungskürzungen. Das ist positiv im Vergleich zur letzten Regierung, die Entlastungen der Großunternehmen durch Lohnnebenkostensenkungen über die Leistungen gestellt hat und dazu sogar bereit gewesen wäre, die AUVA aufzulösen.  Positiv ist weiter, dass es im Bereich des ASVG keine Selbstbehalte beim Arztbesuch geben soll. Es fehlt aber leider das Ziel dasselbe Leistungsniveau bei alle Krankenversicherungsträgern – also eine Leistungsharmonisierung anzustreben. Dass das Kumulationsprinzip reformiert statt abgeschafft werden soll, ist positiv  zu sehen, weil die generalpräventive Wirkung beibehalten werden soll. Auch die Überarbeitung der Berufskrankenliste in der AUVA ist positiv und längst überfällig. Das Zeitwertkonto ist wieder im Regierungsprogramm und soll unter Einbeziehung der Sozialpartner entwickelt werden. Wir sind gegenüber einer Auslagerung arbeitsrechtlicher Ansprüche an kapitalgedeckte Institutionen sehr skeptisch. Das Zeitwertkonto kann und darf jedenfalls Altersteilzeit, Bildungs- und Pflegekarenz nicht ersetzen.

„Während von „gesellschaftlichem Auftrag“ gesprochen wird, wird bei der Pflege vor allem auf unentgeltliche Angehörigenpflege aufgebaut.“

David Mum

Der Bereich Pflege ist ein Sammelsurium an Maßnahmen beider Parteien und kein Gesamtkonzept. Hier gibt es viele kritische Punkte, die sich mitunter auch klar wiedersprechen. Während von „gesellschaftlichem Auftrag“ gesprochen wird, wird vor allem auf unentgeltliche Angehörigenpflege aufgebaut. Was die angekündigte Pflegeversicherung bedeutet, geht auch nicht hervor: Die Bündelung von Finanzierungsströmen oder die Weiterentwicklung der AUVA. Letzteres hat wenig Sinn, weil die AUVA keine Pflegekompetenz hat. Es geht also darum, Mittel für die Pflege zu Lasten der Unfallversicherung zu generieren. Der „Pflege daheim Bonus“ setzt auf unbezahlte Angehörigenpflege. Außerdem wird Pflege vor allem von sehr jungen Menschen gefördert, was aus gewerkschaftlicher Sicht klar abzulehnen ist. Das betrifft die Pflegelehre und auch die unentgeltliche Pflege durch Jugendliche (young carers). Genau das ist der falsche Ansatz. Pflege soll man nicht Jugendlichen anvertrauen. Ein Sozialstaat muss hier unterstützen: durch gut ausgebildete und fair bezahlte Menschen.

Andererseits heißt es auch bestehende System soll beibehalten werden, es soll das Pflegegeld weiterentwickelt werden (Demenz) und es soll eine Personaloffensive geben, u.a. sollen Community Nurses in 500 Gemeinden eingestellt werden. Palliativpflege und Hospiz sollen in die Regelfinanzierung überführt werden.

Wohnen

Das Kapitel zu Wohnen enthält viele Bekenntnisse und Zielsetzungen zu leistbaren Mieten, ökologischem Bauen aber vor allem zu Eigentumsbildung. Es fehlen aber konkrete vereinbarte Maßnahmen. Hier liegen auch viele Kompetenzen bei den Bundesländern. Positiv ist, dass Maklerkosten der Vermieter tragen soll. Auch dass Unternehmen in öffentlichem Eigentum ihren Grundstücksbestand in der öffentlichen Hand halten und geförderten Wohnbau besonders berücksichtigen sollen, ist eine positive Zielsetzung. Der Punkt „Verbot von Zweitwohnsitzen im Gemeindebau und im geförderten Mietverhältnis“ wird für Menschen die einen Schrebergarten oder Garten haben oder erben ein Problem werden. Ein besonderes Anliegen ist der Regierung die Schaffung von Wohneigentum und Mietkäufen. Dafür sollen auch Ansparmodelle geschaffen werden. Hier sticht Ideologie Logik. Für die Wohnversorgung der Bevölkerung ist es wichtig, wieviele Wohnungen es gibt und wieviel gebaut wird und nicht, ob die Wohnungen in Eigentum der MieterInnen übergehen. Der geförderte Wohnbau ist die Stütze leistbarer Mieten.

Klima

Das Klimapaket enthält für die Beschäftigten Kurzarbeit mit Qualifizierung und Stiftungen für die Umstellung auf klimafreundliche Produktionsweisen. Das ist zwar nicht ausgeführt, bietet aber die Chance auf einen Übergang zu einer klimaschonenden Produktionsweise, der die Beschäftigten mitnimmt (just transition). Hier müssen sich die Gewerkschaften einbringen. Positiv ist je eine Milliarde Euro für öffentlichen Nah- und Regionalverkehr.

„Im Vergleich zum letzten Regierungsprogramm werden die Sozialpartner aber nicht als Gegner, sondern als Partner gesehen.“

David Mum

Alles in allem trägt das Regierungsübereinkommen über weite Strecken die Handschrift der Wirtschaft, auch wenn das manchmal weniger schroff formuliert und in mehrere Ziele eingebettet ist. Im Vergleich zum letzten Regierungsprogramm werden die Sozialpartner aber nicht als Gegner, sondern als Partner gesehen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Wir werden uns im Interesse der ArbeitnehmerInnen konstruktiv einbringen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Kompromissfindung schwierig wird, weil die Wirtschaftsseite großen Einfluss in dieser Regierung haben wird und meist davon ausgeht, dass es dann einen Kompromiss gibt, wenn er ihren Vorstellungen weitgehend entspricht. Für faire Lösungen bedarf es daher unbedingt starker und wachsender Gewerkschaften, die auch Druck aufbauen können.

Kurzeinschätzung des Regierungsübereinkommens

Eine ausführliche Analyse des türkis-grünen Regierungsübereinkommens aus Sicht der GPA-djp ist HIER abrufbar.

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