Kurt Aust, bis Ende 2019 stellvertretender Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt, erklärt im Gespräch mit der KOMPETENZ warum die Rehabilitation auch für berufstätige Menschen wertvoll ist.
Durch ein maßgeschneidertes Arbeitsplatztraining und moderne Hilfsmittel wie die Rehab-App kann der Genesungsprozess stationär und ambulant sinnvoll unterstützt werden.
KOMPETENZ: Seit wann ist die Pensionsversicherung (PVA) für Rehabilitation zuständig? Viele verorten diese ausschließlich in der Unfallversicherung.
AUST: Die gesetzliche Grundlage zur Rehabilitation für Versicherte in der Pensionsversicherung und in der Unfallversicherung wurde schon in den 60er-Jahren geschaffen. Sie umfasst alle Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und zur aktiven Teilnahme am normalen Leben in Familie und Gesellschaft.
KOMPETENZ: Was sind das für Maßnahmen?
AUST: Auf Antrag werden medizinische (stationär oder ambulant), berufliche und soziale Rehab-Maßnahmen gewährt. Seit 2014 wird zusätzlich allen nach 1964 Geborenen – wenn sie nicht dauernd berufsunfähig sind – Rehabilitationsgeld gewährt, um ihnen, in enger Kooperation mit der Krankenversicherung, Chancen zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zu ermöglichen.
KOMPETENZ: Die PVA setzt sich also für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit ein?
AUST: Die PVA nimmt eine große Verantwortung für Menschen im erwerbsfähigem Alter wahr: 2018 wurden mehr als 500 Millionen Euro dafür aufgewendet, der Großteil für stationäre Aufenthalte. Anders als in der Unfallversicherung muss kein schädigendes Ereignis wie ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegen. Die 15 Reha-Kliniken und die zwei Ambulanten Zentren der PVA nehmen dabei eine Sonderstellung ein: sie sind prädestiniert für ganz besonders aufwändige Rehab-Maßnahmen bei speziellen Erkrankungen. Zusätzlich greift die PVA auf über 100 weitere Vertragseinrichtungen zurück, um den Rehabilitationsbedarf zu decken.
„Neben der Verringerung oder dem Wegfall des persönlichen Leidens ist die Rehabilitation auch ökonomisch betrachtet sinnvoll.“
Kurt Aust
KOMPETENZ: Machen sich diese Investitionen bezahlt?
AUST: In jedem Fall! Neben der Verringerung oder dem Wegfall des persönlichen Leidens ist die Rehabilitation auch ökonomisch betrachtet sinnvoll: gelingt es, mit der Rehabilitation die mögliche drohende Berufsunfähigkeit um circa ein halbes Jahr hinauszuschieben, dann hat sich die Maßnahme bereits gerechnet. Und wir wissen, dass dies auch überwiegend gelingt.
KOMPETENZ: Gibt es einen Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation in der Pensionsversicherung?
AUST: Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ist die Rehabilitation in der Pensionsversicherung eine Pflichtaufgabe, das heißt sie wird auf Antrag des Versicherten bewilligt. Ein individueller Rechtsanspruch ist damit nicht gegeben. Einzige Ausnahme: wenn im Zusammenhang mit einem Pensionsantrag vorübergehende Invalidität für zumindest sechs Monate vorliegt und kein Anspruch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen besteht bzw. diese nicht zumutbar und zweckmäßig sind.
KOMPETENZ: Wie hat sich in den letzten Jahren die Rehabilitation in der PVA entwickelt?
AUST: Auf meine Initiative hin wurde 2015 ein „MASTERPLAN REHABILITATION“ entwickelt und vom Vorstand der PVA im Herbst 2016 einstimmig beschlossen. Darin enthalten: künftige Schwerpunkte der Rehab, sowohl in medizinisch-therapeutischer und pflegerischer Hinsicht als auch technisch-organisatorisch. Der Ausbau der medizinischen und beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen schlägt sich in erhöhten Bewilligungen für die Menschen nieder. Dafür wurden umfangreiche Investitionen sowohl in Ressourcen als auch in Maßnahmen getätigt. Die Leistbarkeit ist durch entsprechende finanzielle Dotierungen und Optimierungen in den eigenen Einrichtungen gesichert.
KOMPETENZ: Warum brauchen Menschen im erwerbsfähigen Alter eine Rehabilitation?
AUST: Wenn Arbeitnehmer nach einer schweren Erkrankung oder Akutbehandlung im Krankenhaus noch nicht wieder ins Arbeitsleben zurückkehren können, ist Rehabilitation nötig, damit den betroffenen Menschen dies rasch gelingt. Die Rückkehr ins Berufsleben wird auf mehreren Ebenen von uns unterstützt. Als neues und besonders wichtiges Werkzeug wurde vom Chefärztlichen Bereich der PVA beispielsweise der „REHA-JET“ entwickelt.
KOMPETENZ: Was ist darunter zu verstehen?
AUST: Der REHA-JET konzentriert sich auf Job, Erwerbstätigkeit und Teilhabe nach dem medizinisch-berufsorientiertem-Modell. Weiters konnte das integrierte rehabilitative Betreuungsmodell nach ICF entwickelt werden. ICF ist die international gültige Klassifikation der WHO und beschreibt den funktionalen Gesundheitszustand, die Behinderung, die sozialen Beeinträchtigung sowie die relevanten Umweltfaktoren von Menschen. Damit wird der Rehab-Erfolg wesentlich gesteigert.
KOMPETENZ: Was darf man sich darunter vorstellen?
AUST: Bereits bei der Anamnese, also der Beschreibung der Krankengeschichte durch den Patienten am Beginn des Rehab-Aufenthaltes, erfolgt dies in Anwesenheit des multiprofessionellen Teams der Reha-Einrichtung, also Arzt, Therapeut, Pflege und Diätologin. Detailliert wird der Arbeitsalltag des Patienten erfragt, um zielgerichtete Therapien zu entwickeln, das heißt die alltäglichen Tätigkeiten des Patienten sollen möglichst lebensnah nachgebildet werden. Man übt und trainiert nicht isoliert vom Arbeitsalltag, sondern bezogen auf die konkrete Arbeitssituation. Dafür wurden eigene „Work Parks“ angeschafft, in denen in der Intensivphase der Therapien bis zu sechs Stunden pro Tag trainiert werden kann.
Beim Reha-Jet arbeiten wir mit einem Stufenmodell: wenn die im Basisangebot durchgeführten Therapien den gewünschten Erfolg nicht bringen, kann in der zweiten Stufe ein intensiviertes, berufsbezogenes und maßgeschneidertes Arbeitsplatztraining angeboten werden. So kann die Diskrepanz zwischen dem individuellen Leistungsvermögen und den Anforderungen des Arbeitsplatzes verringert bzw. beseitigt werden.
KOMPETENZ: Wie lange dauert eine medizinische Rehab?
AUST: Stationär üblicherweise 22 Tage, in der neurologischen Rehabilitation 29 Tage und bei der psychiatrischen Rehabilitation 42 Tage Ambulante Rehab-Maßnahmen dauern derzeit bis zu sechs Monate. Dies soll allerdings ähnlich wie in der stationären Rehabilitation verkürzt werden, um die Krankenstandsdauer der Betroffenen zu verringern.
Derzeit werden acht Reha-Indikationsgruppen in der PVA angeboten: Bewegungs- und Stützapparat sowie Rheumatologie, Herz-Kreislauferkrankungen, zentrales und peripheres Nervensystem, Onkologische Erkrankungen, Psychiatrische Erkrankungen, Atmungsorgane, Stoffwechselsystem und Verdauungsapparat sowie der Spezialbereich Lymphologie. Für jeden Bereich sind spezielle medizinische Leistungsprofile inklusive Therapien und Pflege entwickelt worden.
„2019 haben über 65.000 Menschen, rund 33.000 davon in den Rehab-Einrichtungen der PVA eine medizinische Rehab in Anspruch genommen.“
Kurt Aust
KOMPETENZ: Wie viele Menschen nehmen die medizinische Rehab pro Jahr in Anspruch?
AUST: 2019 waren es über 65.000 Menschen, rund 33.000 davon in den Rehab-Einrichtungen der PVA. Ambulante Rehab-Maßnahmen wurden von ca. 10.000 Menschen in Anspruch genommen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass nach derzeitiger Rechtslage nur Menschen im erwerbsfähigen Alter ambulant rehabilitiert werden können – ein verbesserungswürdiger Zustand.
Für Rehab-Maßnahmen stehen den Versicherten der PVA rund 8.000 Betten zur Verfügung – rund 2.100 in den eigenen Einrichtungen und 5.900 in circa 100 Vertragseinrichtungen in Österreich.
KOMPETENZ: Wie arbeiten Sie nach der Rehab mit den PatientInnen weiter?
AUST: Um sicherzustellen, dass Lebensstiländerungen nach dem stationären Aufenthalt in den Alltag des Patienten Eingang finden, haben wir verschiedene Methoden der Selbstüberwachung verankert. Als Beispiel sei die Rehab-App der PVA für Patienten nach einer kardiologischen Reha genannt. Diese erinnert zum Beispiel ans Blutdruck Messen oder fragt nach der Anzahl der bereits getätigten Schritte an einem Tag.
KOMPETENZ: Hat die medizinische Rehab die Kur verdrängt?
AUST: Nein. Vielmehr wurde nach einer mehrjährigen Pilotphase die Kur in die sogenannte Gesundheitsvorsorge Aktiv (GVA) umgewandelt. Sie steht weiterhin für Versicherte im erwerbsfähigen Alter und Pensionisten zur Verfügung. Das Ziel ist die Aufrechterhaltung der Gesundheit zur Vermeidung von Rehabilitations- bzw. Pflegebedürftigkeit. Therapeutische Schwerpunkte der GVA sind Bewegung, mentale Gesundheit und Ernährung. Neu ist, dass überwiegend aktive Therapien im Mittelpunkt stehen, d.h. man muss sich also bewegen. Das Konzept funktioniert, kleine Beschwerden können so oftmals rechtzeitig abgefangen werden.
Nach einem bundesweiten Vergabeverfahren wurden 2018 rund 6.000 Betten in bestehenden Kur-Vertragseinrichtungen in die GVA umgewandelt. Gleichzeitig achten wir darauf, dass in diese Vertragseinrichtungen aktive Versicherte und Pensionisten im Verhältnis von 60:40 zugewiesen werden.
KOMPETENZ: Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
AUST: Die Schaffung eines durchgehenden Betreuungsprozesses nach einem Akutereignis bis zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit oder der Stabilisierung des Gesundheitszustandes – möglichst in einem Sozialversicherungsträger – wäre überlegenswert, ebenso die Schaffung der Rechtsgrundlage zur Rehab-Berechtigung für Alterspensionisten, um einen allfälligen Pflegebedarf entweder hintanzuhalten oder eine weitere Verschlechterung zu verhindern.
Auch Pensionisten wollen selbstbestimmt und möglichst lange gesund leben, um das Ausmaß der gesunden Lebensjahre zu erhöhen – dafür braucht es gezieltes Training, etwa wie Stürze vermieden werden können.
Die Erweiterung des „REHA-JET“ auf alle Indikationsgruppen muss forciert werden, da die derzeitigen Ergebnisse bei den Patienten sehr erfreulich sind. Die medizinische Rehabilitation wird sehr gut angenommen. Wir forcieren außerdem massiv die ambulante Rehabilitation, um sie so weit wie möglich berufsbegleitend in Anspruch nehmen zu können.
Weiterhin sind Therapien bei neu auftretende Erkrankungen rasch und in Pilotversuchen durchzuführen, um die Gesundheit zu erhalten. Zum Beispiel werden in Wien seit 2015 in enger Kooperation mit der Stadt und der WGKK in der ambulanten Betreuung alkoholkranker Menschen sehr ermutigende Erfolge erzielt.
Im Sinne der Prävention arbeiten wir an einem sogenannten „Früherfasserprozess“ um vor allem Menschen mit langjährigen und komplexen Krankheitsbildern sehr frühzeitig medizinische Rehab anbieten zu können. Auch das Entlassungsmanagement wird derzeit weiter optimiert.
Zur Person
Kurt Aust ist 66 Jahre alt und hat die HTL für Maschinenbau in Wr. Neustadt absolviert. Zunächst arbeitete er als Techniker bei der Firma Wertheim, im Zuge eines Streiks um bessere Arbeitsbedingungen wurde er Betriebsrat. Ab 1981 war er als Sekretär im Bereich Elektrounternehmen für die GPA-djp tätig, 1985 wurde er NÖ-Landessekretär, ab 2000 Geschäftsbereichsleiter Regionen und Bildung. 2005 wurde er Direktor des medizinischen Bereiches der PVA, von 2015 bis Jahresende fungierte er als Generaldirektor Stellvertreter und schult derzeit seine Nachfolgerin ein. Am Ende des ersten Halbjahres 2020 wird sich Aust in den Ruhestand zurückziehen.