Florian Burger, Referent der Abteilung Sozialversicherung bei der Arbeiterkammer Wien erklärt im Interview, vor welchen Herausforderungen das Gesundheitssystem und die Österreichische Gesundheitskasse durch Corona stehen.
KOMPETENZ: Wie bewerten Sie die von der Regierung vorgeschlagene Regelung für Menschen aus den so genannten Risikogruppen?
FLORIAN BURGER: Am Beispiel von Italien können wir lernen, welche Bevölkerungsgruppen am schlimmsten von einer Covid-19 Erkrankung betroffen sind. Es handelt sich um alte Menschen und Menschen, die aufgrund bestimmter Krankheiten, wie zum Beispiel Herz-Rhythmusstörungen, Medikamente verschrieben haben bekommen. Die Wissenschaft hat daraus ein Bild entwickelt, welches das Gesundheitsministerium nun anzuwenden versucht. Eine Expertengruppe soll nun erörtern wer alles zur Risikogruppe gehört. Die Krankenkassen sollen in ihren Datensätzen nachschauen, welche ihrer PatientInnen als von der Expertengruppe problematisch erkannte Medikamente verschrieben bekommen haben. Der einen Betroffenen behandelnde Arzt erstellt dann ein COVID-19-Risiko-Attest. Damit haben Betroffene Anspruch auf Freistellung vom Dienstgeber, es sei denn, sie können Homeoffice machen oder dort ihre Arbeitsleistung erbringen, wo eine Ansteckung sehr unwahrscheinlich ist.
Das Problem daran: MitarbeiterInnen von kritischer Infrastruktur sind ausgenommen. Dazu gehören auch die Supermärkte. Allein der Rewe-Konzern hat einige zehntausend MitarbeiterInnen, die nun allesamt nicht unter diese Regelung fallen. Das ist sehr bedenklich. Es sollten die gleichen Rechte für alle Risikogruppen gelten.
KOMPETENZ: Was ist mit Personen, die zwar selber nicht zur Risikogruppe gehören aber vielleicht Verwandte daheim haben, bei denen dies sehr wohl der Fall ist? Kriegen sie auch ein Attest?
„Eine Frage ist auch, wie eigentlich festgelegt werden soll, welche der 300.000 Dienstgeber in Österreich alle zur kritischen Infrastruktur gehören?“
Florian Burger
FLORIAN BURGER: Es ist noch nicht klar, ob es auch ohne den Kassenbrief ein Attest vom Arzt gibt. Wie gesagt, nur Lehrlinge oder DienstnehmerInnen kriegen das. Die Oma kriegt also kein Covid-Attest. Das ist problematisch. Auch bei den Medikamenten selbst gibt es viele Graustufen. Es ist noch nicht ausreichend erforscht, wie das Virus in den Körper eindringt und welche Medikamente das begünstigen können. Im Zweifel mit dem Arzt rücksprechen.
Arbeitslose sind in der vorliegenden Vorgehensweise auch nicht erfasst. Was ist, wenn jemand arbeitslos war und nun einen Job anfängt? Wie oft und in welchen Zeitabständen werden die Krankenkassen ihre Datensätze durchgehen? Das sind alles ungeklärte Fragen. Eine solche Frage ist auch, wie eigentlich festgelegt werden soll, welche der 300.000 Dienstgeber in Österreich alle zur kritischen Infrastruktur gehören?
KOMPETENZ: Das klingt nach einem großen bürokratischen Aufwand. Kann das System das bewerkstelligen?
FLORIAN BURGER: Die Krankenkassen vergeben rund 8.000 verschiedene Medikamente. Es braucht Zeit durchzugehen, welche davon in Bezug auf Corona gefährlich sind. Die wichtigsten Parameter dafür werden erst nach Ostern geklärt sein. Die Briefe an die Versicherten werden sicher erst Ende April rausgehen. Pro Tag können vermutlich rund 30.000 Briefe gedruckt werden, also wird auch das dauern, bis alle Betroffenen ihn erhalten haben.
„Wir haben im Vergleich zu anderen EU-Staaten eine deutlich höhere Zahl an Intensivbetten.“
Florian Burger
KOMPETENZ: Gehen wir nun von den Risikogruppen weg und betrachten die Vorbereitung des Gesundheitssystems auf die Epidemie. Wie sieht hier die Lage aus?
FLORIAN BURGER: Im europäischen Vergleich steht Österreich vergleichsweise gut da. In italienischen Krankenhäusern sterben zum Beispiel jedes Jahr rund 10.000 Menschen an so genannten Superbakterien. In Österreich sind es „nur“ 200. Man kann die Krankenhausauslastung am treffsichersten über die Mortalität ausrechnen. So sind im Jänner 2017 11.000 PatientInnen gestorben, unter anderem an der Influenza. Das war eine sehr hohe Zahl. Normalerweise sind das in diesem Kalendermonat rund 9.000. Unser System ist für die Reaktion auf solche Spitzen gut ausgestattet. Wir haben im Vergleich zu anderen EU-Staaten eine deutlich höhere Zahl an Intensivbetten. In Italien ist die Zahl der Intensivbetten am deutlichsten und aufgrund drastischer Einsparungen gesunken. Dort gibt es nur 2,62 Intensivbetten pro 1000 EinwohnerInnen. Wir sind im Vergleich dazu sehr gut auf die Belastungsspitze durch Corona vorbereitet.
KOMPETENZ: Und doch wächst der Druck auf das Gesundheitssystem. Auch für die Krankenkassen ist die derzeitige Situation ein Stresstest. Können sie ihn bestehen?
FLORIAN BURGER: Es gibt vor allem wirtschaftliche Konsequenzen. Jeden Monat fehlen den Kassen durch Corona Beiträge in Höhe von 200 Millionen Euro. Viele Unternehmen zahlen ja derzeit keine Beiträge, zum Beispiel, weil sie diese gestundet kriegen. Wer es sich leisten kann, wird die Beiträge später in Raten zurückzahlen, da ist aber offen wie viele Unternehmen das machen werden. Fakt ist, dass die Gesundheitskasse im Jahr 2020 eine Milliarde Euro Staatshilfe benötigen wird. Während einerseits Beiträge wegbrechen, bleiben die laufenden Kosten ja bestehen. Vertragspartnern wie zum Beispiel Haus- und FachärztInnen, Apotheken und ähnlichen müssen die ihnen zustehenden Honorare weiterbezahlt werden. Hinzu kommt eine jährliche Kostensteigerung von einer halben Milliarde. Die wird unter normalen Umständen durch Lohnsteigerungen kompensiert. In der jetzigen Situation stagnieren die Beiträge aber, während die Kosten steigen. Die politische Diskussion nach der Krise darf sich nicht darum drehen, dass man jetzt weiter einsparen muss. Sparpolitik ist ein großes Problem.
KOMPETENZ: Es hat in den letzten Wochen immer wieder Kritik an unzureichender Schutzausrüstung sowie mangelnder Versorgung mit Schutzmasken und ähnlichem Equipment für das Pflegepersonal in Krankenhäusern und ÄrztInnen gegeben. Wie würden Sie diese Thematik beurteilen?
FLORIAN BURGER: Beim Thema Schutzausrüstung geht es auch darum, welche Richtlinien aus virologischer Sicht erstellt werden. Diese sind die Vorbedingung für etwaige Entscheidungen darüber, welche Ausrüstung oder welche Masken angeschafft werden müssen. Diese Fragen werden vom Gesundheitsministerium derzeit nur unzureichend beantwortet.
Auch bei den Masken selbst muss man aufpassen. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass FFP3-Masken nur denjenigen schützen, der sie trägt, nicht aber die Menschen um ihn herum. Der Nasen-Mundschutz, wie er jetzt in den Supermärkten zu tragen ist, schützt hingegen die anderen Menschen, weil viele Tröpfchen beim Reden und Atmen zurückgehalten werden. Auch wenn jemand hustet, wird der Auswurf zu einem Gutteil gehemmt. Ich reduziere somit das Bombardement mit den Viren an sich. Das bedeutet auch: Wenn alle Menschen in einen Raum solche Masken tragen, steigert dies auch den Schutz für alle dort anwesenden Personen.
Eine neue Metastudie hat außerdem gezeigt, dass Masken zusammen mit regelmäßigem Händewaschen zu den effektivsten Schutzmaßnahmen gehört. Einfache chirurgische Masken sind dabei laut einer neuen Metastudie sogar effektiver als teure N95-Masken. Außerdem ist zum Schutz der PatientInnen wichtig, dass das Krankenhauspersonal regelmäßig auf Corona getestet wird.