Stahlindustrie: Es gilt die Weichen für die Zukunft zu stellen

Reinhard Streinz ist Angestellten-Betriebsratsvorsitzender der voestalpine Stahl GmbH und Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs eisenerzeugende Industrie in der Gewerkschaft GPA-djp
Foto: Edgar Ketzer

Die Corona-Pandemie setzt der Branche im heurigen Jahr ordentlich zu. Nachfrage und Umsätze brechen ein. Investitionen in Forschung und Entwicklung sind das Gebot der Stunde – genauso wie längst überfällige Regelungen für einen fairen Wettbewerb.

Die Forderungen der Industriegewerkschaften anlässlich des jüngsten Europäischen Stahl-Aktionstages Anfang Oktober waren nicht ganz neu, aber deshalb nicht weniger brisant. Denn die Corona-Pandemie hat die Schrauben für die Branche deutlich angezogen: „Die Stahlproduktion in Europa verzeichnete zuletzt einen Rückgang um 40 Prozent, die Neuaufträge sind um 70 bis 75 Prozent eingebrochen. Gleichzeitig hat China, das seit Jahren den Markt mit billigem Stahl überschwemmt, seine Produktion sogar leicht steigert.“ So lautet der nüchterne Befund von IndustriAll Europe, dem Dachverband der europäischen Industriegewerkschaften, der an die sieben Millionen Beschäftigte vertritt. So düster der Rückblick in die jüngere Vergangenheit, so dramatisch sind die Befürchtungen für die Zukunft, wonach am Ende der Pandemie die Hälfte der Kapazität der Stahlerzeugung in Europa verloren sein könnte. Klar ist: Auf rein nationaler Ebene ist ein Gegensteuern kaum zu schaffen. Was es bräuchte ist ein europäischer Kraftakt, um Jobs zu sichern und den Wettbewerb transparenter und fairer zu gestalten.

Reinhard Streinz, Angestellten-Betriebsratsvorsitzender der voestalpine Stahl GmbH und Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs eisenerzeugende Industrie in der Gewerkschaft GPA-djp, kritisiert vor allem, dass „die Importquoten nach Europa nicht an die sinkende Nachfrage angepasst werden.“ Stattdessen habe China seine Produktion im ersten Halbjahr 2020 um 4,5 Prozent gesteigert. „Die österreichische und europäische Politik ist gefordert, gegen diese Wettbewerbsverzerrung mit Billigprodukten vorzugehen.“ Und damit nicht genug. „Was es außerdem braucht, sind international einheitliche, saubere Standards. Denn die Billigimporte sind die Folge völlig unterschiedlicher Rahmenbedingungen“, erklärt Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der GPA-djp. Die divergierenden Arbeitskosten – etwa im Vergleich zu China – sind längst nicht das einzige Problem. „Das Dumping umfasst ebenfalls Rohstoffe, Energiekosten, Finanzierung von Investitionen und Umweltauflagen gleichermaßen“, ergänzt Georg Grundei, zuständiger Wirtschaftsbereichsekretär in der GPA-djp. Gerade punkto Ökologisierung sei Österreich Vorreiter. Es könne nicht sein, dass diese Anstrengungen verbunden mit entsprechender Produktqualität im globalen Preiswettkampf dauerhaft zum Bumerang werden, sind sich die Arbeitnehmervertreter einig.

Unsicherheit durch Corona ist Gift für die Branche 

Ob Automobilindustrie, Maschinenbau, die Luftfahrt oder der Energiesektor: Die Corona-Krise hat die Nachfrage nach Stahl auf Talfahrt geschickt. Streinz rechnet letztendlich für den gesamten voestalpine-Standort in Linz über das Jahr gesehen mit einem Minus von rund 10 Prozent, ausgehend von einer geplanten Produktionskapazität von rund sechs Millionen Tonnen Rohstahl. Mitten in der Krise erschien ein Nachfrageverlust von mehr als 20 Prozent durchaus realistisch, nur durch immense Anstrengungen im Vertrieb konnten die Fehlmengen deutlich reduziert werden. Unternehmensintern hat man mit umfangreichen Vorsichtsmaßnahmen auf die Pandemie reagiert – von der Bildung eines eigenen Corona-Teams über weitreichende Hygienevorkehrungen, Homeoffice bis hin zu veränderten Schichtmodellen, um den Wechsel bei den MitarbeiterInnen zu minimieren und damit auch das Risiko, das Virus einzuschleppen. Doch betriebliche Bemühungen allein werden nicht reichen, um die Stimmung zu drehen. Unsicherheiten wie Grenzsperren, Reisewarnungen oder Betriebseinschränkungen sind damit nicht wett zu machen. Dürtscher: „Wir hatten Fälle, wo die Montage fertiger Maschinen nicht möglich war, weil die Monteure nicht in die Betriebe durften.“ Dazu kommt die allgemeine Konsum- und Kaufzurückhaltung bei den Menschen. „Wenn ich Angst um meinen Arbeitsplatz habe oder seit Monaten in Kurzarbeit bin, werde ich eher sparen, als das Geld, das noch übrig bleibt, auszugeben.“

Metaller-KV: Ziel war es, die Kaufkraft zu erhalten

Vor diesem Hintergrund war es das oberste Ziel der Arbeitnehmervertreter der GPA-djp sowie der PRO-GE bei der jüngsten Metaller-KV Verhandlung für ein Mindestmaß an Stabilisierung zu sorgen. Denn die Situation in der Metallindustrie insgesamt ist dramatisch: Für das laufende Jahr wird ein Wachstumseinbruch von rund 20 bis 30 Prozent, je nach Branche, prognostiziert. Zwischen 80 und 90 Prozent der Betriebe kämpfen mit Umsatzrückgängen. Eine Verschiebung der Lohnrunde war auf Gewerkschaftsseite dennoch keine Option, genauso wenig wie eine Einmalzahlung. Geeinigt hat man sich mit der Wirtschaftskammer schließlich auf eine Erhöhung der Ist- und KV-Gehälter um 1,45 Prozent. Außerdem sollen die Angestellten eine Corona-Prämie von 150 Euro erhalten. GPA-djp-Verhandler Dürtscher: „Die Sozialpartner haben für die rund 190.000 Beschäftigten verantwortungsvoll gehandelt. Und wir konnten mit diesem Abschluss die Kaufkraft erhalten.“

Weichen für die Zukunft stellen

Neben der Stärkung der Binnennachfrage werden auch die Rufe nach der Umsetzung eines umfassenden, europaweiten Konjunkturprogrammes lauter. Streinz: „Es braucht Initiativen für die Auto- und Baubranche.“ Konkret gehe es etwa um Investitionen in die Schieneninfrastruktur und den öffentlichen Verkehr. Mit den ÖBB hat die voestalpine beispielsweise das Pilotprojekt “TransANT“ laufen. Ziel ist die Fertigung leichterer Eisenbahnwaggons, die sich im Güterverkehr besser bewähren. Streinz: „Die Bewältigung der Zukunftsherausforderungen wie dem ökosozialen Umbau von Verkehrswegen, Gebäuden und Energienetzen wird ohne Stahl nicht möglich sein. Daher müssen wir jetzt darauf achten, dass diese Entwicklungen nicht mit chinesischen Billigprodukten realisiert werden.“

„Mehr Geld für die Forschung“ lautet denn auch das Credo von Grundei. Dahinter steht die Idee des „Green Steel“, also des ökologisch sauber produzierten Stahls. Ein Weg dorthin führt über Wasserstoff als Produktionsmittel, um den CO2-Ausstoß bei der Stahlerzeugung zu drosseln. In dieser Technologie konsequent Know-How aufzubauen und saubere Energie zur Verfügung zu stellen, hält Grundei für das Gebot und die Herausforderung der Stunde.

Dürtscher sieht es ähnlich: Es gehe darum, die langfristigen Herausforderungen, die über den Alltag von Corona hinausgehen, nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu zählen für ihn nachhaltige Schwerpunkte im Budget, konkret bei Bildung, Forschung und Entwicklung. Dies umso mehr, da es erste, vorsichtige Indizien für einen Aufwärtstrend gebe: Was das Jahr 2020 angeht, „haben wir in der Stahlbranche Mitte des Jahres die Talsohle hoffentlich durchschritten. Die Indikatoren zeigen zumindest wieder leicht nach oben.“

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