Schon in nicht Pandemiezeiten zersprageln sich die BetreuerInnen von Kindergruppen. Die Coronakrise verstärkt ihre Belastung noch weiter. Eine Wiener Kindergruppenbetreuerin erzählt im Gespräch mit der KOMPETENZ über ihre Arbeitsbedingungen, bat dabei aber um Anonymität. Sie fordert gesetzliche Vorgaben, dass es auch in Kindergruppen mehr Personal geben muss.
KOMPETENZ: Sie sind Betreuerin in einer Wiener Kindergruppe. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeitssituation im aktuellen Lockdown von der während des ersten Shutdowns im Frühjahr?
Kindergruppenbetreuerin: Extrem. Im ersten Lockdown sind keine Kinder gekommen. Dazu muss ich sagen, dass die Mütter von den 14 Kindern, die meine Gruppe besuchen, fast alle nicht berufstätig sind. Jetzt kommen elf Kinder in die Kindergruppe. Unser Arbeitgeber hat hier auch Druck gemacht, dass wir die Familien anrufen sollen, um ihnen zu sagen, dass die Kinder weiterhin kommen sollen. Das Problem ist aber unsere Gesundheit: wir haben ja auch Familie. Meine Arbeitskollegin hat zum Beispiel ihre Kinder zu ihrer Mutter gebracht, weil wir wissen, wie gefährlich die Arbeit hier ist.
KOMPETENZ: Haben sich Kinder aus Ihrer Gruppe – Sie betreuen Drei-bis Sechsjährige – in den vergangenen Monaten mit dem Coronavirus infiziert?
Kindergruppenbetreuerin: Von den Kindern keines, aber eine Mutter wurde positiv getestet. Was uns schon sehr gewundert hat, war, dass die Kinder, die zwar negativ getestet wurden, aber im selben Haushalt mit der erkrankten Mutter leben, die Kindergruppe sofort wieder besuchen durften. Kleinen Kindern kann man ja nicht sagen, halte dich von deinem Mama fern.
KOMPETENZ: Sie fühlen sich hier also im Regen stehen gelassen.
Kindergruppenbetreuerin: Ja. Wir tragen zwar inzwischen den ganzen Tag Masken – normale Masken, keine FFP2-Masken – aber es gibt doch sehr viel Körperkontakt mit den Kindern, wir müssen ihnen ja beim An- und Ausziehen helfen – und auch viel Kontakt mit den Eltern bei kurzen Gesprächen an der Tür, wenn sie einem zum Beispiel Wechselwäsche in die Hand drücken.
KOMPETENZ: An Ihrem Standort gibt es vier Gruppen. Was passiert, wenn hier eine Kollegin in Krankenstand gehen muss?
Kindergruppenbetreuerin: In der Krippengruppe arbeiten zwei Kolleginnen, in den Gruppen für Drei- bis Sechsjährige sind wir alleine. Wird eine von uns krank, muss eine der zwei Betreuerinnen der Krippe einspringen. Erlaubt ist das eigentlich nicht, aber der Magistrat scheint da nicht so genau hinzuschauen, wie bei anderen Dingen leider auch nicht.
KOMPETENZ: Worauf würden Sie sich noch ein genaueres Hinschauen wünschen?
Kindergruppenbetreuerin: Ich habe insgesamt das Gefühl, dass der Magistrat nicht genau auf die Kindergruppen achtet. Es gibt Kontrollen, da ist dann nur von der Sprachförderung die Rede, es wird aber nicht geschaut, wie viele Kinder wir betreuen, dass wir immer nur auf Kindersesseln sitzen können und mit geschwollenen Füßen nach Hause gehen, aber auch wie das mit dem Essen funktioniert. Wir bekommen nämlich kein Essen geliefert, wir kochen selbst. Wir haben aber keine Köchin, keine Reinigungskraft, keine Assistentinnen. Wir Betreuerinnen müssen alles selbst machen.
„Es steht zwar im Gesetz, dass es eine Assistenz geben kann, aber nicht muss. Das macht es dem Arbeitgeber leicht zu sagen, es reicht, wenn eine Betreuerin in der Gruppe ist.“
Eine Kindergruppenbetreuerin in Wien
KOMPETENZ: Wie sind die Öffnungszeiten an Ihrem Standort?
Kindergruppenbetreuerin: Von 8 Uhr bis 17:00 Uhr.
KOMPETENZ: Und in diesem Zeitraum sind Sie immer alleine mit den Kindern?
Kindergruppenbetreuerin: Ja. Es steht zwar im Gesetz, dass es eine Assistenz geben kann, aber nicht muss. Das macht es dem Arbeitgeber leicht zu sagen, es reicht, wenn eine Betreuerin in der Gruppe ist.
KOMPETENZ: Wo sind die Kinder, wenn Sie in der Küche stehen, um zu kochen?
Kindergruppenbetreuerin: Sie sind in der Gruppe und ich laufe dann bis zu zwei Stunden zwischen Küche und Gruppe hin und her. Manchmal verbrennen dann zum Beispiel die Zwiebeln, dann muss ich von vorne anfangen und wieder Zwiebeln schälen. Und ich verstehe eben nicht, warum der Magistrat da nicht genauer hinschaut und fragt: Warum wird kein Essen geliefert? Wer kocht da?
KOMPETENZ: Ist es schon zu Unfällen gekommen?
Kindergruppenbetreuerin: Bei mir in der Gruppe noch nicht, weil ich sehr auf Regeln achte. Aber der Druck ist unter diesen Bedingungen einfach enorm.
„Wenn ich nach Hause kommen, lege ich nur mehr meine Beine hoch, die ganz angeschwollen sind, weil ich den ganzen Tag auf einem kleinen Kindersessel sitze.“
Eine Kindergruppenbetreuerin in Wien
KOMPETENZ: Wie macht sich die Belastung bei Ihnen bemerkbar?
Kindergruppenbetreuerin: Ich habe auf der rechten Herzklappe eine Blockade – man sagte mir, das kann durch Stress entstehen. Und wenn ich nach Hause kommen, lege ich nur mehr meine Beine hoch, die ganz angeschwollen sind, weil ich den ganzen Tag auf einem kleinen Kindersessel sitze. Aber auch das sieht der Magistrat offenbar nicht.
KOMPETENZ: Inwieweit hat die Pandemie die Belastung noch verstärkt?
Kindergruppenbetreuerin: Jeder ist unter Druck, jeder will etwas – die Eltern, die Leitung, unser Arbeitgeber. Wir müssen nun auch ständig alle Flächen und Türrahmen desinfizieren. Es ist noch mehr Arbeit dazugekommen, aber kein Personal. Und gleichzeitig sagt man uns, wir müssen sparen – bei Papierhandtüchern, bei Toilettenpapier, sogar bei Desinfektionsmittel. Und dann sollen wir eben auch noch den Eltern sagen, dass sie auch jetzt im Lockdown die Kinder unbedingt bringen sollen. Ich glaube, da geht es aber weniger um die Kinder und mehr um die Fördermittel – denn der Arbeitgeber sagt, wir sollen schauen, dass mindestens acht Kinder pro Gruppe kommen. Privat halte ich alle Corona-Vorgaben der Regierung ein und am Arbeitsplatz ist alles anders.
KOMPETENZ: Wie könnte Ihre Arbeitssituation verbessert werden?
Kindergruppenbetreuerin: Wir brauchen mehr Personal, das würde auch zu mehr gegenseitiger Empathie führen. Derzeit funktionieren wir wie Roboter. Es müsste gesetzlich verankert werden, dass nicht nur eine Person in der Gruppe steht, denn freiwillig stellen viele Arbeitgeber nicht mehr Personal an als vorgeschrieben. Die Möglichkeit, dass nur eine Betreuerin in einer Gruppe ist, wird ausgenutzt.
„Es müsste gesetzlich verankert werden, dass nicht nur eine Person in der Gruppe steht.“
Eine Kindergruppenbetreuerin in Wien
KOMPETENZ: Ist es unter diesen Bedingungen überhaupt möglich, Kinder, die Deutsch erlernen müssen, entsprechend zu fördern?
Kindergruppenbetreuerin: Viel ist da nicht möglich. Die Kinder kommen um 8 Uhr, um 9 Uhr ist Frühstück, das machen wir auch selber, kochen Eier, schneiden Gemüse. Danach müssen wir das Geschirr in den Geschirrspüler räumen. Und dann beginnen wir schon, das Mittagessen zu kochen. Aber wenn die Kinder dann zur Schulanmeldung gehen und es heißt, sie müssen in die Deutschförderung, dann ist es die Schuld der Betreuerin.
Wir Kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen in den Kindergärten und Kindergruppen.
Kinder brauchen qualitativ hochwertige Betreuung, deshalb fordern wir:
– Einheitliche Regelungen für ganz Österreich
– Eine bessere finanzielle Ausstattung für die Kinderbetreuung
– Ausreichende Vor- und Nachbereitung
– Einen besseren Erwachsenen-Kind-Schlüssel in den Gruppen
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