Inmitten der Männerdomäne IT hat Betriebsratsvorsitzende Sandra Steiner für Kolleginnen wie Kollegen viel erreicht. Aber seit Ausbruch der Corona-Krise kämpft die frisch gewählte GPA-Frauenvorsitzende gegen die Rückkehr zum Rollenbild aus der Biedermeierzeit.
Dass sie im Aufsichtsrats-Protokoll einmal als „Mister Steiner“ auftauchte, ist eines jener „Bonmotschal“, über die Sandra Steiner herzhaft lachen kann. Ihre Branche ist eine Männerdomäne, ihr Unternehmen besteht zu 80 Prozent aus „Misters“. Da kann sowas schonmal vorkommen, schmunzelt die 45-Jährige. Dass sie, als „Mrs. Steiner“, beim IT-Dienstleister Atos IT Solutions and Services GmbH trotzdem Betriebsratsvorsitzende ist, liege an ihrem „dicken Pelz“. Mitte November wurde sie beim Online-Bundesforum zur Frauenvorsitzenden der GPA gewählt. Hier wie dort hat Steiner viel vor.
Der größte der insgesamt vier Atos-Standorte in Wien beschäftigt rund 800 Personen, in „normalen“ Zeiten. „Wenn ich heute am Standort bin, treffe ich davon maximal eine Handvoll“, erzählt Steiner bei einem Zoom-Gespräch. Aber anders als in vielen Unternehmen ist der Corona-bedingte Umstieg aufs Home-Office bei Atos kaum eine Herausforderung. Weil es strenggenommen kein Umstieg ist. Bereits 2012 verabschiedete man bei Atos eine Remote-Working-Vereinbarung, die das Arbeiten im Homeoffice regelt. „Wir haben bereits seit 2012 Rahmenbedingungen, mit denen sich viele Unternehmen erst jetzt anfreunden müssen“, erklärt die Betriebsratsvorsitzende. Dazu zählt auch, dass die Atos-Beschäftigten zuhause ordentlich ausgestattet sind und Steiner mittels Befragungen und Kleingruppendiskussionen regelmäßig nach dem Rechten sieht.
Schöne heile IT-Welt?
Für Betriebsrätin Steiner macht das Vieles einfacher. Den regelmäßigen Austausch zwischen Beschäftigten und Betriebsrat praktizieren sie und ihr Team bereits seit Jahren auch im Digitalen. Anfang November kamen mehr als die Hälfte der Beschäftigten zu einer digitalen Betriebsversammlung zusammen. Resümee: „kein Problem“.
Schöne heile IT-Welt also? Vor Arbeitszeitentgrenzung und der Doppelbelastung aus Home-Office und Familie schützt die beste Technik nicht. Steiner weiß, wovon sie spricht. Sie sagt das, während ihr Sohn im Hintergrund in die Kamera ihres Tablets winkt. Ob er auf seinem Laptop gerade dem Biologieunterricht folgt oder auf TikTok rumhängt, könne sie oftmals nicht sagen. Während in ihrem Unternehmen viel von „Vertrauensarbeitszeit“ die Rede ist, hat sich das Konzept bei SchülerInnen im Homeschooling oftmals noch nicht ganz durchgesetzt.
Wandel in Permanenz
Sandra Steiner hat in ihrem Leben viele Rollen inne, als Betriebsratsvorsitzende, als Mutter, als Selbständige, als Kämpferin; ihr CV gleicht einem wilden Ritt durch die Vielfalt der Erwerbsarbeit. Angefangen hat die geborene Wienerin nach der Handelsakademie als Volksschullehrerin, danach folgte die Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin. Neben Atos hat sie sich als Kommunikations- und Persönlichkeitstrainerin selbständig gemacht. Ein zweites Standbein sei immer wichtig, erklärt sie. In die IT-Branche kam sie „aus Interesse“, ohne Ausbildung, „learning by doing“. Im Jahr 2000 wurde sie – damals noch unter dem Dach von Siemens – in den Betriebsrat gewählt, dem sie seit 2013 vorsteht.
Auch ihr beruflicher Alltag ist eine Art Wandel in Permanenz. Atos vollzieht regelmäßig Firmenintegrationen, ständig kommen Abteilungen hinzu oder werden umorganisiert. Das heißt, auch die Menschen, deren Interessen Steiner vertritt, wechseln ständig, teilweise werden bei Integrationen ganze Betriebsrats-Körperschaften aufgelöst.
„Wenn es notwendig ist, gehe ich in den Konflikt!“
Sandra Steiner
Ihre Arbeit als Betriebsrätin sieht Steiner als eine Art sportlichen Wettkampf: Konflikte gehören dazu, aber am Ende schütteln sich alle Beteiligten die Hände. „Ich versuche, in jeder Situation Lösungen zu finden – und das macht mir Spaß“.
Lösungen sucht und findet Steiner vor allem, wenn es um Gleichberechtigung und Gleichstellung geht. Zu ihren Anfangszeiten sei sie bereits so etwas wie „das Bild der Erinnerung“ gewesen. Sobald sie auftauchte, wurde eifrig betont, dass auch unbedingt auf die Angleichung der Einkommen zwischen den Geschlechtern geachtet werde. Steiner und ihr Team werfen auch heute noch regelmäßig einen kritischen Blick auf den Einkommensbericht, „wenn es notwendig ist, gehe ich in den Konflikt!“.
Für die Gleichstellung im Berufsleben gelte es an vielen Stellschrauben zu drehen. Hürden auf dem Weg dorthin findet die Betriebsratsvorsitzende auch dort, wo man sie auf den ersten Blick vielleicht nicht vermutet. In Stellenausschreibungen beispielsweise. Jede Ausschreibung erzeuge einen „zielgruppenspezifischen response“, erklärt Steiner. Das heißt, je nach Art und Form einer Annonce fühlen sich unterschiedliche Gruppen und Milieus angesprochen. Will ein Unternehmen, dass sich mehr Frauen bewerben, sollten auch die Anzeigen dementsprechend formuliert sein, findet Steiner.
Empowerment und der Weg zurück ins „klassische Rollenmodell“
Im Betriebsrat hat Steiner mittlerweile ein eigenes Gremium für Gleichberechtigungsfragen geschaffen. „Das hat Früchte getragen“. Zumindest in gewissen Fragen. Gerade im Kontext der COVID-Krise bewege sich Österreich derzeit wieder Richtung „Biedermeier“. Wenn im Lockdown Kindergärten und Schulen schließen, wende sich auch in ihrem Unternehmen der Blick automatisch Richtung Frau. Männer, kritisiert Steiner, erfahren dadurch ebenfalls Diskriminierung. Steiners Resümee in Sachen Empowerment fällt mit Blick auf heute eher ernüchternd aus: „Wenn junge Frauen bei ihren Müttern und Großmüttern ständig mitbekommen, wie anstrengend es ist, Karriere, Kind und Familie unter einen Hut zu bekommen, verstehe ich, dass sich viele fragen: wieso tu ich mir das an?“. Der Weg zurück ins „klassische Rollenmodell“ sei in solchen Fällen bedauernswert, aber oftmals nachvollziehbar.
Seit Mitte November ist Steiner Frauenvorsitzende der GPA. An Herausforderungen wird es ihr nicht mangeln. Unter dem Dach der GPA befinden sich Branchen mit besonders hohen Frauenanteil, Pflege- und Sozialberufe sowie der Handel. Hier will Steiner ansetzen. Die große Herausforderung werde sein, „an die Kämpfe gegen jene Strukturen anzuknüpfen, die unsere Frauen, unsere Kämpferinnen und Kämpfer in den 1960ern und 1970ern versucht haben aufzubrechen. Schauen wir auf das, was der Mensch will und braucht, aber nicht auf die Rollenmodelle, die gesellschaftlich erwartet werden“. Über einen Tippfehler im Protokoll kann „Mister Steiner“ aus dieser Perspektive nur schmunzeln.
Zur Person:
Sandra Steiner, 45, ist Betriebsratsvorsitzende beim IT-Dienstleister Atos IT Solutions and Services GmbH und selbständige Kommunikations- und Persönlichkeitstrainerin. Mitte November wurde sie zur Frauenvorsitzenden der GPA gewählt. Steiner lebt in Wien.