Der Demokratiemonitor erfasst jährlich die Zustimmung der österreichischen Bevölkerung zur Demokratie. Die Studien-Autorin Martina Zandonella erklärt, was Menschen zweifeln lässt.
„Es ist vor allem die finanzielle Sicherheit, die den großen Unterschied macht, wie Menschen der Demokratie gegenüberstehen,“ erklärt Martina Zandonella die jüngsten Ergebnisse ihrer Studie. Das würde zu wenig diskutiert in unserer Gesellschaft „seit wir Anfang der 90er Jahre beschlossen haben, dass es keine Klassen mehr gibt“, so die Wiener Forscherin. Solange wir in einem kapitalistischen System leben würden „die Faktoren Vermögen und Einkommen“ nach wie vor „ganz oben“ stehen.
Martina Zandonella ist Sozialwissenschafterin und forscht am Wiener SORA-Institut. Sie ist Autorin des Demokratie Monitors 2020, einer jährlichen Befragung zur Einstellung der Bevölkerung zur Demokratie.
Demokratie Monitor 2020
Ziel der Studie ist es eine „verlässliche Orientierung über die Demokratieentwicklung“ zu geben, „frühzeitiges Erkennen von Warnsignalen“ zu ermöglichen, und die Demokratie zu stärken. Die großen Fragen der Studie sind: Ist die Demokratie ein gutes System? Wie gut funktioniert es für die BürgerInnen? Und: Wie und wo beteiligen sich Menschen an der politischen Kultur?
Deutlich wurde für das Forschungsteam: Ereignisse wie die Sprengung der Regierung durch den Ibiza-Skandal im Jahr 2019 oder die gegenwärtige Corona-Pandemie beeinflussen die Einstellung der Menschen stark – aber in sehr unterschiedlicher Weise. Auch Faktoren wie Bildung, Geschlecht oder der Ort des Lebensmittelpunktes beeinflussen Ergebnisse, keiner jedoch so sehr wie die finanzielle Absicherung.
„Zwei Drittel der Menschen mit geringer finanzieller Absicherung berichten im Zuge der Pandemie eine weitere Verschlechterung ihrer finanziellen Lage. Mehr als die Hälfte von einer Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit“
Martina Zandonella
Im Ibiza-Jahr hatten sich etwa die Einstellungen des wohlhabenderen Drittels der ÖsterreicherInnen ins Autoritäre verlagert: „Die Staatskrise 2019 hat die gut abgesicherten Menschen stark verunsichert,“ so Zandonella. Nicht jedoch die restliche Gesellschaft: „Die Mitte und das ärmere Drittel wurde davon kaum tangiert.“ Im Jahr 2020 konnten ‚nur mehr‘ 19 Prozent der Bevölkerung einem „starken Führer“ etwas Positives abgewinnen, deutlich weniger als noch 2019.
2020 traf dafür die Corona-bedingte Wirtschaftkrise das ärmere Drittel der Bevölkerung bekanntermaßen hart: „Zwei Drittel der Menschen mit geringer finanzieller Absicherung berichten im Zuge der Pandemie eine weitere Verschlechterung ihrer finanziellen Lage. Mehr als die Hälfte von einer Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit“, heißt es in Zandonellas Forschungsbericht.
Während sich das wohlhabende Österreich von ihrer Ibiza-bedingten Demokratieskepsis „weitgehend erholt“ hatte, attestieren die WissenschafterInnen von SORA den ärmeren Bevölkerungsschichten „starke Auswirkungen wie wir zur Demokratie stehen“. Die Zustimmung sei immer noch hoch, niemand wolle eine Diktatur, so die Forscherin. Zur Frage „Ist die Demokratie das beste Regierungssystem?“ haben viele der Betroffenen im Jahr 2019 noch „Ich stimme sehr zu“ angekreuzt. Im vergangenen Jahr wurde dann aber oft nur mehr „Ich stimme ziemlich zu“ als Antwort gewählt.
Benachteiligung der Ärmsten
Einfluss auf die Zustimmung zur Demokratie haben aber nicht nur unmittelbare Ereignisse wie die gegenwärtige Pandemie oder der Ibiza-Skandal. Martina Zandonella und ihr Team beobachten schon seit längerem, eine gewisse Demokratieskepsis im ärmeren Drittel der Bevölkerung. Der Grund: Aufgrund von gemachten Erfahrungen würden manche dem System zuweilen auch skeptisch gegenüberstehen, sagt die Forscherin. Corona gehe hoffentlich wieder vorbei, aber die unangenehmen Alltagserfahrungen Benachteiligter habe es schon vor Corona gegeben und die wird es wohl auch nach der Pandemie geben: Ärmere Menschen hätten etwa das Gefühl ihre Arbeit werde nicht genug wertgeschätzt. LKW-FahrerInnen, Supermarkt-KassierInnen, PflegerInnen oder Reinigungspersonal wurden im vergangenen Jahr hoch gelobt, ihre Arbeit als ‚systemerhaltend‘ geadelt. Am geringen Einkommen und den schlechten Arbeitsbedingungen habe dies aber wenig geändert.
„Ärmere Menschen erleben tagtäglich, dass der Zugang für sie kein demokratischer ist.“
Martina Zandonella
In Bereichen wie der Bildung, am Wohnungs- oder Arbeitsmarkt oder im Gesundheitssystem verspricht die Demokratie gleichen Zugang und Gerechtigkeit. Was aber, wenn sich dieses Versprechen nicht für alle gleichermaßen einlöst? „Ärmere Menschen erleben tagtäglich, dass der Zugang für sie kein demokratischer ist.“ Demokratieskepsis sei eine nachvollziehbare Reaktion der Betroffenen, so Zandonella. „Das müssen wir langfristig unbedingt angehen.“
Hier komme ein weiteres versprechen der Demokratie ins Spiel: Die Möglichkeit der Beteiligung, der Mitbestimmung. Auch hier haben die ökonomisch weniger gut Gestellten das Nachsehen.
Demokratie im Betrieb
Insbesondere Gewerkschaften sollten an ihrer Aufgabe festhalten, gute Arbeitsbedingungen und einen gerechten Lohn zu erstreiten, „vor allem in dem unteren ökonomischen Drittel.“ Dieser Teil der Bevölkerung finde sogar zu den Arbeitnehmervertretungen schwer Zugang. Es sollen aber mehr Menschen von den Errungenschaften der Demokratie profitieren können. Denn: „Weniger als die Hälfte der Menschen im ökonomisch schwächsten Drittel fühlt sich als Teil der Demokratie in Österreich,“ besagt der Demokratie Monitor 2020.
Ein positiver Widerpart dazu sei die betriebliche Demokratie: Viele Studien würden belegen, dass die Demokratie im Betrieb, etwa Betriebsratswahlen, für viele ärmere Menschen die ersten positiven Erfahrungen mit Mitbestimmung sind. „Weil da geht’s um mich und mein Leben, und die Menschen sehen, dass sich mit politischer Beteiligung tatsächlich etwas ändern lässt“ fasst Martina Zandonella zusammen.
Die gesamte Studie und alle Ergebnisse der vergangenen Jahre findet man online unter www.demokratiemonitor.at