Die EU ist ganz passabel durch die ersten Monate der Pandemie gekommen. In Zukunft soll sie nicht nur Wirtschafts-Wiederaufbauhilfe leisten, sondern ihre Mitgliedstaaten auch im Sozialbereich näher zusammenbringen.
Die aktuelle Coronakrise sei ein „Window of opportunity“ um solidarische Modelle durchzusetzen, so der Leiter des ÖGB-Europabüros optimistisch. „Ich bin überzeugt, die EU kann diesen Stresstest bestehen,“ sagt Oliver Röpke.
Unter dem Titel „Besteht die Europäische Union den Corona-Stresstest?“ setzte die GPA-Bildungsabteilung ihre Online-Diskussionsreihe zu „Leben und Arbeiten in Zeiten von Corona“ fort. Neben Oliver Röpke, sprachen die sozialdemokratische Europaparlamentarierin Evelyn Regner und Paul Schmidt, der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖgfE).
Stresstest: Bestanden
Sophia Reisecker, Leiterin der Abteilung Europa, Konzerne und internationale Beziehungen in der Gewerkschaft GPA moderierte und zeigte Eingangs das Spannungsverhältnis zwischen den nationalen Maßnahmen gegen die Pandemie und den Erwartungen nach einer europäischen Lösung für die Krise nach. Die Gesundheitskrise hat mittlerweile zu einer Vielzahl an Herausforderungen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht geführt. Diese haben unter anderem EU-Institutionen zu bewältigen, obwohl sie im Bereichen Gesundheit und Soziales wenige Kompetenzen haben – eine Situation an der sich bald was ändern sollte, so eines der Ergebnisse der Diskussionsrunde. Aber konnte die EU die Erwartungen, die an sie gestellt wurden erfüllen?
„Ja, die EU besteht den Stresstest“, ist sich Paul Schmidt sicher. Aus der Wirtschaftskrise 2008 wurde viel gelernt, die EU-Institutionen haben effizienter gehandelt, indem sie Kurzarbeit und Gesundheitssysteme gestützt hätten, konnte viel abgefedert werden. Die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit im EU-Parlament machte es zudem möglich, dass sehr große Geldsummen zu Hilfspaketen geschnürt werden konnten. Mit dem Aufbaufond wechseln EU-weit rund 1008 Milliarden Euros die BeseitzerInnen. Auf Österreich entfallen davon drei Milliarden Euro an Zuschüssen von EU-Hilfen. Diese sind zu 40 Prozent an klimaneutrale Investments und zu 20 Prozent an Digitalisierungsmaßnahmen gebunden.
Gerechte Verteilung der Hilfegelder
Jetzt müsse kontrolliert werden, wie die EU-Gelder auf nationaler Eben eingesetzt werden, so die Parlamentarierin Evelyn Regner. Ein Hauptaugenmerk müsse auf den vereinbarten Schwerpunkten liegen: Darunter sind Geschlechtergerechtigkeit, Klimaschutz und die Pflege. „Die Gelder müssen dort rein fließen wo sie hingehören“, plädiert Regner und fordert Gewerkschaften und BetriebsrätInnen dazu auf, genau hinzuschauen. Akut bestehe eine „eklatante Gefahr“ der ungerechten Verteilung der Hilfsgelder. Positiv stimme die Ratspräsidentschaft Portugals im ersten Halbjahr 2021. Sie lege ihren Fokus auf Soziales, so Regner. Oliver Röpke vom ÖGB wünscht sich generell, dass Gewerkschaften „aktiv mehr europäische Themen in den Vordergrund zu stellen.“
Stärkung der sozialen Integration
Was aber können Gewerkschaften, ihre Verbündeten und die Zivilgesellschaft tun, damit unsere Gesellschaft gerechter aus der Krise rauskommt, als sie hineinging?
In der Krise steckt eine riesen Chance, meint Oliver Röpke. „Eine stärkere ökonomische Integration muss einhergehen mit stärkerer sozialer Integration,“ so der ÖGB-Europabüro-Leiter. Die EU könne sich nicht nur mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft beschäftigen. Es brauche auch rechtswirksame Instrumente für ein europäisches Sozialsystem. In anderen Worten „Wir brauchen einen neuen Social Contract für Europa.“ Auf Dauer seien die zunehmenden Unterschiede in Europa nicht auszuhalten, die Unzufriedenheit der ArbeiternehmerInnen würde wachsen, so Röpke. Die unterschiedlichen Einschätzungen der nördlichen EU-Ländern seien zwar nachvollziehbar, aber auf Dauer unrealistisch. Fehlen würden auch automatisierte Stabilisatoren, wie etwa eine europäische Arbeitslosenrückversicherung. Auch vom Abbau der signifikanten Lohnunterschiede zwischen den Ländern könnte auch Österreich profitierenebenso von eienr gesteigerten Resilienz anderer Länder, so Evelyn Regner. Immerhin sei Österreich Exportland.
Den Knackpunkt des EU-Stresstests sehe die EU-Parlamentarierin aber in Steuerfragen: Unternehmen mit 750 Millionen Euro Umsatz im Jahr würden in Österreich „systematisch keine Steuern bezahlen.“ Weil grenzüberschreitende Firmenstrukturen intransparent seien, könnten Steuern vermieden werden. Aber: „Wo Profite erzielt werden braucht es Transparenz.“. Die gegenwärtige Steuerungerechtigkeit sei eine „moralisch unzumutbare Situation,“ so Regner.
Trotz der positiven Würdigung der EU-Krisenmaßnahmen, bleibt das Resümee aber etwas gedämpfter. Das Podium ist sich einig: Die markantesten Auswirkungen der Wirtschaftskrise stehen noch bevor – vieles werden wir erst in den nächsten Monaten sehen.
Wie sehr die EU hier eingreifen kann ist noch Verhandlungssache. Wie es Paul Schmidt von der ÖgfE pointiert ausdrückte: „Die EU-Institutionen sind so stark, wie es ihre Mitglieder wollen.“
Die nächste Online-Veranstaltung in der Reihe „Leben und Arbeiten in Zeiten von Corona“ findet Ende Februar statt:
Coronakrise: Gefahr einer verlorenen Generation
Donnerstag, 25. Februar 2021, 14 bis 15:30 Uhr
u.a. mit Bernhard Heinzlmaier (Meinungs- und Jugendforscher) und Susanne Hofer (Bundesjugendvorsitzende des ÖGB)