Corona lässt Arm und Reich noch weiter auseinanderdriften

Foto: Sonja Spitzer

Rekordwerte am Aktienmarkt, tiefer Einbruch in der Realwirtschaft verbunden mit historisch hoher Arbeitslosigkeit: Österreich ist gefordert „Vermögen oder Kapitaleinkommen stärker zu besteuern“, um der zunehmenden Einkommensungleichheit entgegen zu wirken, sagt Emanuel List, Ökonom an der Wiener Wirtschaftsuniversität.

KOMPETENZ: Sie haben sich intensiv mit der Entwicklung der Einkommen in Österreich beschäftigt und zuletzt in einer Studie den Zeitraum von 2004 bis 2016 analysiert. Schon damals ist die Schere deutlich auseinandergegangen: Die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung haben mehr als das Dreifache des Durchschnitts verdient. Welche Verhältnisse werden wir nach der Corona-Pandemie haben?

Emanuel List: Wir sehen, dass die Wirtschaft gerade auch in Österreich sehr deutlich eingebrochen ist. Und diesmal ist der Dienstleistungssektor sehr stark betroffen. Die Corona-Krise hat einen anderen Charakter als die Finanzkrise 2008. Salopp gesagt, ist damit zu rechnen, dass sich die Ungleichheit weiter auseinander entwickelt.

KOMPETENZ: Was unterscheidet die aktuelle Pandemie mit all ihren Auswirkungen von der Finanzkrise 2008/2009?

„Wenn man sich hier (im Billionaires-Index) die Top-Positionen aus dem Jahr 2020 ansieht, ist nach den zuletzt verfügbaren Daten das Vermögen von Jeff Bezos um 48 Prozent gestiegen, bei Elon Musk um 338 Prozent, bei Bill Gates sind es 15 Prozent.“

Emanuel List

Emanuel List: Ein Ergebnis unserer Studie war, dass während der Finanzkrise die Einkommen beim reichsten Prozent der Bevölkerung um 17 Prozent  – und damit überproportional – zurückgegangen sind. Das rührt daher, dass in dieser Gruppe die Einkommen aus Kapital einen hohen Anteil von 50 Prozent und mehr ausmachen. Dazu zählen Zinsen, Dividenden oder auch Unternehmensgewinne, die damals stark eingebrochen sind. Die Ungleichheit bei den Einkommen hat dadurch vorübergehend abgenommen. Jetzt haben wir eine ganz andere Situation: Im Zuge der Pandemie ist es zuerst zwar auch am Aktienmarkt nach unten gegangen. Inzwischen gibt es hier aber wieder eine deutliche Erholung, zum Teil sogar Rekordwerte. Das zeigt sich auch im sogenannten Billionaires-Index von Bloomberg, der die weltweit 500 reichsten Menschen ranked. Wenn man sich hier die Top-Positionen aus dem Jahr 2020 ansieht, ist nach den zuletzt verfügbaren Daten das Vermögen von Jeff Bezos um 48 Prozent gestiegen, bei Elon Musk um 338 Prozent, bei Bill Gates sind es 15 Prozent. Auch zwei Österreicher befinden sich in diesem Index: Dietrich Mateschitz und Johann Graf. In diesen Fällen sind die Vermögen um 29 Prozent beziehungsweise 62 Prozent im Vorjahr gestiegen. Da stellt sich für mich schon die Frage, ob sich die Dynamik hier nicht verselbstständigt?

KOMPETENZ: Wie kommt es zu dieser rasanten Erholung am Aktienmarkt?

Emanuel List: Zum einen ist das sicher eine Art self fulfilling prophecy.  Vereinfacht gesagt: Wenn es viel Vermögen gibt und auch aufgrund des Niedrigzinsumfeldes die Leute am Aktienmarkt investieren wollen, dann strömt hier immer mehr Geld hinein und der Aufwärtstrend ist per Definition gegeben. Zum anderen blickt der Aktienmarkt tendenziell immer ein bisschen weiter in die Zukunft und da gibt es mitunter sehr positive Prognosen. Persönlich denke ich aber, dass es langfristig schwierig wird, bis sich auch die unteren Einkommensschichten wieder erholen und entsprechend neue Arbeitsplätze entstehen.

KOMPETENZ: Damit sind wir beim Kern des Problems: An welchen Schrauben müsste gedreht werden, um eben diese Erholung der unteren Einkommen zu erreichen und in weiterer Folge zu mehr Verteilungsgerechtigkeit zu kommen?

„Die Vermögensbestände sind stark im obersten Segment konzentriert. Die logische Schlussfolgerung wäre, dass wir gerade in Österreich viel Potenzial hätten, Vermögen oder Kapitaleinkommen stärker zu besteuern.“

Emanuel List

Emanuel List: Was wir in unserer Studie gesehen haben ist, dass die Kapitaleinkommen viel höher ausfallen, als man bisher gedacht hat. Sie spielen eine tragende Rolle, wenn es um die Einkommensungleichheit geht. Die Vermögensbestände sind stark im obersten Segment konzentriert. Die logische Schlussfolgerung wäre, dass wir gerade in Österreich viel Potenzial hätten, Vermögen oder Kapitaleinkommen stärker zu besteuern. Denn der Faktor Arbeit ist bereits sehr hoch besteuert. Dazu kommt, dass in der aktuellen Situation Schulden aufgenommen werden, um die Corona-Krise zu bewältigen. Wir müssen uns überlegen, wie wir das bezahlen. Vor diesem Hintergrund schlagen auch die OECD und der internationale Währungsfonds in letzter Zeit immer wieder vor, dass sich gerade Österreich verstärkt der vermögensbezogenen Besteuerung widmen muss. Österreich ist in diesem Punkt im Vergleich der OECD-Länder relativ weit unten angesiedelt.

KOMPETENZ: Wo konkret könnte angesetzt werden?

Emanuel List: Einerseits könnte es um einen Ansatz gehen, der immer wieder als Reichensteuer bezeichnet wird – also eine Vermögenssteuer, die ab einer bestimmten Grenze eingezogen und einmal jährlich abgeführt wird. Dieses Modell könnte stark progressiv gestaltet werden, weil die Vermögensverteilung entsprechend nach oben hin zunimmt. Andererseits ist die Lieblingssteuer der Ökonomen bei solchen Debatten die Erbschaftssteuer, da es sich um ein leistungsloses Einkommen handelt. Die Abwehrhaltung in der Bevölkerung ist hier aber relativ groß.

KOMPETENZ: Ein anderes Problem, das nicht zuletzt aufgrund der Corona-Krise in den Fokus rückt, ist der Arbeitsmarkt. Wir erleben derzeit eine historische Arbeitslosigkeit, hundertausende Menschen sind zudem in Kurzarbeit. Gehört es zur Verteilungsgerechtigkeit, vor diesem Hintergrund über Arbeitszeitverkürzung und eine neue Art der Arbeitsverteilung nachzudenken?

Emanuel List: Ich finde es sehr begrüßenswert, dass über solche Modelle und wirtschaftspolitisch große Ideen diskutiert und nachgedacht wird. Es kann ein interessantes Instrument sein, wenn die Einkommenshöhe entsprechend geschützt wird. Wichtig ist, solche Modelle gut durchzudenken, damit sie wirtschaftlich verkraftbar sind. Wir haben in Österreich aber das Glück, dass die Produktivität im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Daher hätten wir im internationalen Wettbewerb eine gute Basis. 

KOMPETENZ: In Ihrer Studie weisen Sie darauf hin, dass die Einkommensungleichheit in Österreich durch funktionierende Sozialleistungen zum Teil abgefedert wird. Wenn wir beim Arbeitsmarkt bleiben, stellt sich die Frage: Braucht es eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes?

Emanuel List: Das wäre aus meiner Sicht ein richtiger Schritt. Zum einen gibt es eine moralische Komponente, wenn so viele Menschen unverschuldet arbeitslos werden. Zum anderen hat es aus wissenschaftlicher Sicht viele Vorteile die unteren Einkommen zu stabilisieren.

KOMPETENZ: Jüngere Menschen unter 30 waren laut Ihrer Studie schon in der Vergangenheit besonders von der Einkommensungleichheit betroffen. Diese Bevölkerungsgruppe erwischt es jetzt in der Corona-Krise noch einmal, wenn etwa der Berufseinstieg nicht gelingt. Was kann man tun?

„Die Probleme werden hier weiter zunehmen. Aus der ökonomischen Forschung ist bekannt, dass diese negativen Schocks in der Jugend – wenn man noch in der Schule ist oder danach sehr lange Job sucht – sich sehr deutlich auf das weitere Leben auswirken können.“

Emanuel List

Emanuel List: Das stimmt. Die Probleme werden hier weiter zunehmen. Aus der ökonomischen Forschung ist bekannt, dass diese negativen Schocks in der Jugend – wenn man noch in der Schule ist oder danach sehr lange Job sucht – sich sehr deutlich auf das weitere Leben auswirken können. Es wird also wichtig sein, auf diese Gruppe acht zu geben. Ich beobachte, dass schon die ersten Wortmeldungen auftauchen, wonach die Staatsschulden so stark steigen und wir sparen müssen, weil es unfair wäre, diese Schuldenlast an die nächste Generation weiterzugeben. Da kann ich nur sagen: Es werden nicht nur Schulden vererbt. Denn mit dem Geld werden schließlich auch Investitionen getätigt und Chancen für junge Leute geschaffen wie Ausbildungsplätze oder Jobmaßnahmen. Dieses Gegensteuern ist enorm wichtig.

Zur Person:

Emanuel List ist Ökonom am Forschungsinstitut Economics of Inequality (WU Wien) und Doktorand am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf. Er ist Co-Autor der Studie „Ungleichheit des Einkommens größer als angenommen“ 

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