Kolumbien: Gewerkschaften fordern sofortiges Ende der Gewalt

Künstler performen beim Protest gegen den kolumbianischen Präsidenten Ivan Duque, in Bogota am 15. Mai 2021. Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstrierenden haben seit Beginn des nationalen Streiks am 28. April 49 Menschenleben gekostet.
Foto: RAUL ARBOLEDA, AFP, picturedesk.com

Die kolumbianische Regierung geht seit Wochen mit voller Härte gegen Streiks und Proteste vor.

Die gewerkschaftliche Dienstleistungsinternationale UNI Global sowie der weltweite Dachverband der Industriegewerkschaften IndustriAll haben gemeinsam mit den kolumbianischen Gewerkschaften die derzeitige Gewalteskalation und die repressive Vorgehensweise von Präsident Iván Duque und der Regierung und scharf verurteilt. Seit Beginn des anhaltenden nationalen Streiks am 28. April geht die Regierung mit voller Gewalt gegen die friedliche und unbewaffnete Protestbewegung vor. In einer Erklärung vom 4. Mai fordern die Gewerkschaften die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) und den Hohen Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen dringend auf, in Kolumbien einzugreifen. Dadurch sollen die brutale Polizeigewalt und die Menschenrechtsverletzungen sofort gestoppt werden, die derzeit ungestraft eskalieren.

Hohe soziale Ungleichheit geißelt kolumbianische Wirtschaft und verunmöglicht Krisenreaktion

Die kolumbianische Wirtschaft hat aufgrund der hohen sozialen Ungleichheit im Land einen äußerst schwachen Inlandskonsum und ist deshalb stark vom Export abhängig. Dazu kommen Belastungen durch hohe Auslandsverschuldungen. Die Regierung ist somit stark von ausländischen Investitionen abhängig und hat es auch verabsäumt in den letzten Jahren einen starken Binnenmarkt, beispielsweise durch kräftige Lohnerhöhungen, zu schaffen. Kolumbien hatte daher nicht wie die EU oder die USA die Möglichkeit, sich durch umfangreiche Investitions- und Wiederaufbauprogramme aus der Corona-Krise heraus zu finanzieren.

Folgen der Corona-Wirtschaftskrise treffen die Bevölkerung im „Land der Ungleichheit“ besonders hart

Die enormen finanziellen und wirtschaftlichen Kosten der Pandemiebekämpfung haben die bereits bestehende massive soziale Ungleichheit in Kolumbien weiter in die Höhe getrieben. Die Lockdowns zur Eindämmung des Virus haben vor allem den riesigen informellen Arbeitsmarkt (Darunter versteht man unterschiedliche Formen der (selbständigen) Beschäftigung, die von gesetzlichen bzw. kollektivvertraglich geregelten Arbeitsformen und Standards nicht umfasst sind. Kollektive Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen oder Lohnerhöhungen kommen hier de facto nicht zur Anwendung.) des Landes quasi über Nacht zum Stillstand gebracht. Dies brachte empfindliche finanziellen Einbußen für die betroffenen Beschäftigten, die durch keine staatlichen Programme kompensiert wurden. Laut aktuellen Zahlen der nationalen Statistikbehörde fielen mehr als 3,6 Mio. KolumbianerInnen seit Pandemiebeginn in die Armut zurück, das entspricht nun etwa 42 Prozent der gesamten Bevölkerung. Die Zahl jener Familien, die es sich nicht mehr leisten können, drei Mal am Tag zu Essen hat sich verdreifacht.

Präsident Duques Steuerreform führt zu landesweiten Streiks und Protesten

Große Empörung hatte dementsprechend die Nachricht hervorgerufen, dass die Regierung während dieser prekären Lage Kampfflugzeuge für circa 4,5 Milliarden US-Dollar gekauft hat. Eine von Präsident Duque bereits auf den Weg gebrachte Steuerreform führte dann endgültig zum Aufstand. Im vorgeschlagenen Modell sollten sowohl die untersten EinkommensbezieherInnen als auch die Mittelschicht stärker besteuert werden. Gleichzeitig hätten Großunternehmen und Banken weiterhin Steuerbefreiungen und staatliche Subventionen genossen.

Die Not großer Teile der Bevölkerung hat sich daraufhin in Streiks und Proteste umgewandelt. Aufgrund des massiven Widerstandes durch die Bevölkerung hat der Präsident die Reform Anfang Mai wieder zurückgenommen. Das erste Ziel der Streik- und Protestbewegung wurde dadurch bereits erreicht.

Regierung geht mit massiver Gewalt gegen Streik- und Protestbewegung vor

Die Polizei aber auch das Militär gingen von Anfang an mit exzessiver Gewalt und dem Einsatz von Schusswaffen gegen die friedliche Streik- und Protestbewegung vor. Trauriger medialer Höhepunkt der bisherigen Ereignisse war der Selbstmord der Minderjährigen Alison Meléndez, die nach ihrer Festnahme berichtet hatte, von Mitgliedern der Sondereinheit für Aufstandsbekämpfung „Esmad“ sexuell missbraucht worden zu sein.

Während der anhaltenden nationalen Streiks und Proteste seit 28. April sind bereits über 400 Menschen im Land spurlos verschwunden. Über 1700 Fälle von Polizeigewalt wurden dokumentiert. Darunter zehn Fälle von sexueller Gewalt sowie 22 Fälle von Augenverletzungen. Es wurden über 830 willkürliche Festnahmen vollzogen und mehr als 220 Personen verletzt. Mehr als 49 Menschen wurden schon getötet. Bisher sind auch 145 Übergriffe auf JournalistInnen und FotografInnen bekannt geworden.

Trotz der Versuche, die Streikenden und Demonstrierenden mit aller Gewalt zurückzudrängen, gehen diese weiterhin tagtäglich landesweit auf die Straßen und kämpfen für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie. Die Regierung zeigt bisher keine ernst gemeinten Versuche, mit der Streik- und Protestbewegung zu verhandeln oder deren Forderungen auch nur anzuhören.

UNI Global, IndustriAll und kolumbianische Gewerkschaften verfassen gemeinsame Erklärung

„Entscheidend ist es, die Gewalt sofort zu stoppen und faire Alternativen für die angekündigten Reformen im Gesundheits-, Steuer-, Arbeits- und Rentensektor aufzuzeigen. Der am stärksten von Armut betroffene Teil der Bevölkerung darf nicht noch weiter unter den Reformen leiden.

Wir bekräftigen unsere Botschaft an die kolumbianische Regierung, einen offenen Dialog zu ermöglichen, auf die Forderungen der Beschäftigten einzugehen und auf die gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Krise, die durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurde, zu reagieren.

Wir werden weiterhin auf die Garantie von Arbeitsrechten, Gewerkschaftsrechten, Demonstrationsrecht und Meinungsfreiheit drängen, vor allem aber auf das Recht auf Leben“, so die Gewerkschaften in ihrer Erklärung vom 4. Mai.

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