Österreichs unrühmliche Rolle im Rat der EU

Statt solidarisch zu handeln, verfolgt Österreich auf der EU-Ebene oft nur seine Eigeninteressen.
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Auf EU-Ebene könnte sich die Bundesregierung bei wichtigen und zukunftsweisenden Entscheidungen einbringen. Doch die Bilanz ist enttäuschend.

Neben dem EU-Parlament gibt es auf europäischer Ebene noch eine zweite Institution, die EU-Gesetze verhandelt. Der Rat der EU, ein Art Ministerrat, bei dem die Mitgliedstaaten gemeinsame Vorhaben beschließen können. Es ist der Ort, wo Österreichs Bundesregierung viele Chancen zur Mitgestaltung der Zukunft Europas hat. Doch werden diese genutzt? Die Antwort fällt ernüchternd aus, sieht man sich die dort verhandelten Richtlinien an.

Ein Beispiel für Österreichs fragwürdige Rolle im Rat ist die EU-weite Mindestlohnrichtlinie. Diese soll für gerechtere Arbeitseinkommen und eine höhere kollektivvertragliche Abdeckung sorgen. Zwar wurde sie 2022 beschlossen, Österreichs Regierung war im Prozess aber gegen diesen Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit. Dabei kann so eine Regelung verhindern, dass ein Wettbewerb um die niedrigsten Löhne zu Wohlstandsverlust führt.

Im März dieses Jahres wurde eine Einigung bei der Richtlinie zur Plattformarbeit erzielt, einer Arbeitsform, bei der Online-Plattformen Dienstleistungen vermitteln. Diejenigen, die diese Dienste erbringen, sind häufig durch kein Arbeitsrecht geschützt. Durch die neue Regelung kann nun effektiver gegen Scheinselbstständigkeit vorgegangen werden. Während des Erarbeitungsprozesses hat sich Minister Martin Kocher (ÖVP) immer wieder kritisch gegenüber den vorgeschlagenen Verbesserungen positioniert. Nun bleibt etwa das Risiko bestehen, dass durch das österreichische Modell der freien Dienstnehmer:innen die Richtlinie umgangen wird.

Unzureichende Gleichbehandlung

Im letzten Jahr war in Österreich der 31. Oktober der Equal Pay Day. Ab diesem Tag arbeiten Frauen rein statistisch betrachtet für das restliche Jahr gratis, stellt man ihr Einkommen jenem der Männer gegenüber.

Gleichzeitig wurde der ursprüngliche Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung struktureller Ungleichbehandlung von Österreich im EU-Rat im vergangenen Jahr abgelehnt. In einer zur Ablehnung beigefügten Erklärung wird davon gesprochen, dass Österreich bereits „über ein gut funktionierendes System bewährter Verfahren in den Bereichen Gleichbehandlung und Antidiskriminierung“ verfüge. Die oben genannten Zahlen sowie weitere Erhebungen zeigen: Das Gegenteil ist der Fall.

Dass Österreich auf EU-Ebene nicht konsequent für die Gleichbehandlung unterschiedlicher Gruppen eintritt, hat sich in der Vergangenheit schon an anderer Stelle gezeigt. Unter der türkis-blauen Regierung wurden Familienleistungen auf das Niveau des Herkunftslandes angepasst, sofern die Kinder dort aufhältig waren. Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnete diesen Vorgang als einen „Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit“. Die Regelung war aber nicht mit dem EU-Recht vereinbar und wurde dementsprechend aufgehoben.

Ablehnung beim Umweltschutz

Das EU-Renaturierungsgesetz ist eine wirkungsvolle Maßnahme im Sinne des Klimaschutzes. Im EU-Parlament wurde dieses bereits angenommen, wobei die EU-Abgeordneten von FPÖ und ÖVP (Othmas Karas ausgenommen) gegen ein solches Vorhaben gestimmt haben.

Die Richtlinie droht nun aber im Rat zu scheitern, da sich die österreichischen Bundesländer gegen diese Maßnahme stellen. Verhindert diese Blockade Österreichs Zustimmung zur Richtlinie, würde eine Abstimmung im Rat erfolglos bleiben. Vor einem solchen Ausgang warnt die Umweltorganisation WWF gemeinsam mit 170 Wissenschaftler:innen: So drohe Österreich, zum „politischen Totengräber eines vorbildlichen Ansatzes zu werden“.

Enthaltung bei Fragen zu Menschenrechten

Zur Lieferkettenrichtlinie konnte nach mehreren Anläufen im März 2024 vom EU-Rat ein Kompromiss gefunden werden. Die Wahrung von Umwelt- und Menschenrechten soll bei Zulieferern – mit Einschränkungen – ein notwendiges Kriterium werden. Die Annahme der Richtlinie wird von Organisationen wie Global 2000 als Grundstein zur „Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft“ anerkannt.

Besonders brisant war in den Verhandlungen, dass es bereits einen Kompromiss gab, den Österreich und andere Länder dann aber doch nicht mittragen wollten. Obwohl der Kompromiss noch weiter aufgeweicht wurde, enthielt sich Österreich bei der finalen Abstimmung im Rat, statt für eine menschenwürdige Politik zu stimmen.

Fehlende Transparenz, mangelnde Glaubwürdigkeit

Mit einer Richtlinie zu Transparenz und Targeting politischer Werbung, die vom Rat im März angenommen wurde, sollen politische Anzeigen als solche zu erkennen sein. Ein primäres Ziel dabei ist, wie die Richtlinie festhält, „eine offene und faire politische Debatte“ zu ermöglichen. Das umfasst auch, manipulative Einflüsse aus dem Ausland einzudämmen.

Bei dieser sehr eindeutigen Abstimmung – 24 von 27 Ländern stimmten dafür – enthielt sich Österreich, dagegen stimmte nur Ungarn. Dabei sollte in Erinnerung gerufen, wie sich die ungarische Medienpolitik unter Viktor Orbán radikalisiert hat. Die Medienlandschaft in Österreichs Nachbarland wurde mehr und mehr unter den Einfluss der Regierung gebracht. Eine Zustimmung wäre daher umso mehr ein klares demokratiepolitisches Signal gewesen – das nicht gesetzte wurde.

Keine rühmliche Rolle

Unbestreitbar ist, dass in den letzten fünf Jahren auf europäischer Ebene vieles erreicht worden ist. Die Österreichische Bundesregierung hat sich aber an diesen Errungenschaften wenig konstruktiv beteiligt oder sogar ablehnend verhalten. Gleichzeitig wächst die EU-Skepsis in der Bevölkerung. Die Zahl jener, die für einen EU-Austritt sind, hat sich auf 27 Prozent gesteigert, während sie 2019 noch bei 8 Prozent lag. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Österreichs Verhalten im EU-Rat nicht von Interesse zeigt, an gesamteuropäischen Lösungsfindungen zu beteiligen. Dadurch wird die eigene Position isoliert und gleichzeitig die Bereitschaft anderer Länder geschwächt, Österreichs Anliegen auf EU-Ebene

Eine Richtlinie des Rates ist ein Rechtsakt, in dem ein Ziel definiert wird, das von allen EU-Ländern zu erreichen ist. Die konkreten Gesetze müssen dann wiederum die einzelnen Länder erlassen.

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