„Ich wurde immer als Betriebsrats-Sympathisant gesehen“

Foto: privat

Michael Lohmeyer, Vorsitzender des Betriebsrates bei der Zeitung „Die Presse“ und des Konzernbetriebsrats in der Styria Gruppe hat früh Verantwortung für die Interessen seiner KollegInnen übernommen und setzt sich gerne für Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen ein.

Die Home-Office-Euphorie geht für ihn mit einer erhöhten Gefahr der Entgrenzung einher. Lohndumping oder die Umgehung gesetzlicher Bestimmungen im Betrieb würde er sofort abstellen.

Der Journalismus liegt Michael Lohmeyer im Blut. Gerne erinnert er sich an die Anfänge seiner Karriere, als er in einem medienkundlichen Lehrgang an der Universität Graz in die Grundlagen des Recherchierens und in die Zusammenhänge der politischen Netzwerke hineinschnupperte: „Der Unterricht war sehr spannend und praxisorientiert, wir haben politische und rechtliche Grundlagen und Verknüpfungen analysiert. Ich habe viel gelernt und entdeckt, worauf es in der journalistischen Arbeit ankommt.“ Nach einigen Jahren Praxiserfahrung bei einer Jugendzeitung im Styria Verlag wechselte Lohmeyer zur „Kleinen Zeitung“ und festigte in der Chronik Redaktion die beruflichen Grundlagen. Er spezialisierte sich auf Ökologie-Berichterstattung und wechselte Ende der 80er Jahre in die Chronik-Redaktion der Tageszeitung „Die Presse“ nach Wien.

Erfolgserlebnis beim Start

Zur betriebsrätlichen Arbeit ist der Vollblut-Journalist eher zufällig gekommen. Als dienstältesten, nicht angestellten Redakteur haben ihn die freien MitarbeiterInnen der „Kleinen Zeitung“ zu ihrem Sprecher nominiert, als es galt einen Kompromiss auszuhandeln: „Prüfer der Gebietskrankenkasse wollten wissen, ob die zahlreichen Freien, die ständig im Haus waren und regelmäßig arbeiteten, bei der Sozialversicherung angemeldet werden müssten. Vor diesem Hintergrund haben wir mit der Verlagsleitung begonnen zu verhandeln.“ Nach einigen Monaten letztlich erfolgreich, mit der Geschäftsführung wurde ein stufenweiser Anstellungsplan ausgehandelt.

Dieses Erfolgserlebnis zum Start seiner Vertretungstätigkeit weckte in dem jungen Journalisten das Interesse an Fragen rund um die Rechte der ArbeitnehmerInnen. Als er 1989 bei der Presse startete, war er zwar nicht im Betriebsrats-Team, verfolgte dessen Aktivitäten aber mit großer Aufmerksamkeit und nahm sich immer wieder Zeit, einzelne heikle arbeitsrechtliche Themen mit anderen KollegInnen zu besprechen. In den kommenden Jahren näherte er sich der institutionalisierten ArbeitnehmerInnenvertretung im Betrieb immer stärker an – zunächst als Ersatzmitglied, später als vollwertiger Vertreter: „Ich bin eigentlich immer unter dem Verdacht gestanden, ein Betriebsrats-Sympathisant zu sein.“

Erste Bewährungsprobe

Die erste Bewährungsprobe für den jungen Betriebsrat kam 2008/2009, als die Styria das Unternehmen in sieben Einzelfirmen zerlegen wollte, was für die MitarbeiterInnen arbeitsrechtliche und kollektivvertragliche Nachteile gebracht hätte. „In dieser Situation musste ich meinen persönlichen Aktivitätslevel und meine Flughöhe als Betriebsrat für mich selbst definieren“, wusste Lohmeyer damals, dass dieses Engagement viele Veränderungen bringen kann: „Betriebsrätliche Arbeit kann nicht subkutan mitlaufen.“

„Es war so, wie ein Foto aus der Nähe zu betrachten: Je näher ich hingeschaut habe, desto schärfer habe ich die Probleme gesehen.“

Michael Lohmeyer

Lohmeyer vertiefte sich in die Problematik: „Eine Firma sollte im Gewerbe Kollektivvertrag angesiedelt werden und Artikel und Fotos produzieren und verkaufen, quasi am Fließband.“ Obwohl zunächst nur eine interne Verrechnung diskutiert wurde, lautete das Ziel, journalistische Produkte zur Handelsware zu machen. „Damit wäre der Journalismus zum Gewerbe geworden“, kritisiert Lohmeyer die damit unweigerlich einhergehende Verengung der Vielfalt. „Nicht umsonst wurde der Journalismus aus dem Gewerberecht ausgeklammert – schon bei dessen allersten Veröffentlichung, 1859. Wenn man das Modell zu Ende denkt, könnte es dazu führen, dass beispielsweise eine Person alleine die gesamte Parlaments-Berichterstattung übernimmt und ihre Wahrnehmungen an alle Medien verkauft.“

Lohmeyer war rasch klar, dass so eine Vorgangsweise den Journalismus zur Ware machen würde: „Das mussten wir bekämpfen!“ Unterstützung kam von der GPA und der Arbeiterkammer. Das war der Zeitpunkt, an dem Lohmeyer erkannte, dass derart zentrale Problematiken nicht neben der täglichen Redaktionsarbeit zu bewältigen waren, er war bereit, die Rolle des freigestellten Betriebsrates zu übernehmen: „Ich wollte mich nicht um einen Einspalter catchen, während rundherum das gesamte Berufsbild explodiert.“

Eine grundsätzliche Lösung musste her, obgleich diese zeitintensiv und kompliziert war. „Es war so, wie ein Foto aus der Nähe zu betrachten: Je näher ich hingeschaut habe, desto schärfer habe ich die Probleme gesehen.“

Wegen Erfolges verlängert

Formal endete der Prozess zur Neustrukturierung des Unternehmens in einem Vergleich, Lohmeyer hat dabei wertvolle Erfahrungen in puncto Diplomatie und Kompromissfähigkeit gemacht. Die Resonanz der KollegInnen in der Presse war deutlich, sie wollten 2008 ihren erfolgreichen Verhandler als Betriebsratsvorsitzenden behalten. Seit 2010 ist der Journalist auch Vorsitzender des Konzern-Betriebsrates der Styria.

Als aktuelle Herausforderung beurteilt Lohmeyer die Durchsetzung von Mindesttarifen für Artikel, die von nicht angestellten, freien MitarbeiterInnen den Verlagen geliefert werden: „Wenn KollegInnen nicht zu einem gewissen Tarif liefern wollen, sucht sich der Verlag einen anderen Auftragnehmer.“

„Freie JournalistInnen sind immer auch Konkurrenten und sie sind wenig miteinander vernetzt.“

Michael Lohmeyer

Die freien Mitarbeiter zu organisieren und zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen, sei allerdings schwierig: „Freie JournalistInnen sind immer auch Konkurrenten und sie sind wenig miteinander vernetzt.“

Dennoch sieht Lohmeyer eine große Verantwortung der Betriebsräte, mit den Geschäftsführungen über die berufliche Situation dieser oft vulnerablen Gruppe zu sprechen. „Letztlich ist das auch eine Frage, die für die Zukunft der Medien enorm wichtig ist.“ Bei diesem Thema ist neben der betrieblichen Ebene auch die Journalistengewerkschaft gefordert: „Wir müssen die Vertretung der Freien verstärken, auch durch den politischen Einsatz der Gewerkschaft.“ Als Präsidiumsmitglied der Journalistengewerkschaft versucht Lohmeyer, auch in dieser Frage wirkungsvolle Instrumente mit zu entwickeln.

Bereits 2013 wurde erreicht, dass im Styria Verlag mittlerweile alle freien MitarbeiterInnen in den Redaktionen, die tatsächlich arbeiten wie Angestellte, auch angestellt und die Online-JournalistiInnen in den Kollektivvertrag aufgenommen wurden.

Die Gesprächsbasis zur Geschäftsführung bezeichnet Lohmeyer als gut, er tritt entsprechend selbstbewusst auf: „Lohndumping oder das Umgehen von gesetzlichen Bestimmungen gibt es bei uns nicht – das würde ich sofort abstellen.“

Gefahr der Entgrenzung steigt

Der rasche Wandel des Berufsbildes macht dem Gewerkschafter Sorgen: „Journalismus war nie ein „9 to 5 Job“, dennoch kann es nicht sein, dass man gratis arbeitet, wenn man phasenweise mehr arbeiten muss.“ Aktuell sei die Gefahr der Entgrenzung in Verbindung mit den steigenden Homeoffice-Zeiten gestiegen: „Engagement darf nicht in einem Raubbau an sich selbst münden.“

„Journalismus war nie ein „9 to 5 Job“, dennoch kann es nicht sein, dass man gratis arbeitet, wenn man phasenweise mehr arbeiten muss.“

Michael Lohmeyer

Eine wichtige Aufgabe als Betriebsrat sieht Lohmeyer auch darin, rechtliche Regelungen in die Praxis zu übersetzen: „Da brauchen viele KollegInnen Unterstützung.“ Wichtig sei außerdem, dass erkämpfte Rechte erhalten bleiben – nicht um ihrer selbst willen, sondern als Grundvoraussetzung für qualitätsvollen Journalismus. „Die Unabhängigkeit dieses Berufs hängt zentral mit der Absicherung von Demokratie und Meinungsfreiheit zusammen. Gäbe es keine unabhängigen Medien, gäbe es keinen Platz für den moderierten Austausch von Meinungen. Und keine Kontrollfunktion.“

Gerechtigkeit war immer ein wichtiger Punkt für Lohmeyer: „Es ist ungeheuer inspirierend, wenn man in Einzelfällen oder sogar für die Gesamtheit der KollegInnen Verbesserungen erreicht und konkrete Arbeitssituationen verbessert hat.“

Zur Person

Michael Lohmeyer wurde 1960 in Klagenfurt am Wörthersee geboren und zog im Alter von 10 Jahren mit seinen Eltern nach Graz, wo er nach Abschluss des Gymnasiums einen medienkundlichen Lehrgang an der Uni Graz absolvierte. Heute ist er Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates der Zeitung „Die Presse“ sowie des Konzernbetriebsrates im Styria Verlag. Auch als freigestellter Betriebsrat bleibt Lohmeyer an der praktischen Arbeit dran und schreibt Artikel für „Die Presse“.

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