Homeoffice-Verordnung und Distance-Learning ließen beim Büroartikeldiskonter P&L die Kassen klingeln. Bei den Beschäftigten kam davon wenig an.
60.000 Kilometer, etwa eineinhalb Erdumrundungen, sitzt Barbara Kreuzer pro Jahr im Auto. Als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Firma P&L (Pagro-Libro) ist sie so etwas wie das offene Ohr on Tour. „Im Idealfall“, sagt sie, besucht sie jede der insgesamt 377 P&L-Filialen in Österreich einmal pro Jahr. Und hört zu. Lauscht, wo der Schuh drückt. Doch dieses Ziel war in den vergangenen eineinhalb Jahren eben: ein Ideal, und die Pandemie war der Fall.
Firmen wie Kreuzers Arbeitgeber P&L können getrost zu den KrisengewinnerInnen gezählt werden. Tacker, Textmarker und Taschenrechner sind seit der Homeoffice-Verordnung und Distance-Learning zum 1. Lockdown heiß begehrt. Und lassen sich auch bei geschlossenen Ladentüren online ordern. Doch „KrisengewinnerIn“ ist eine Firma zuvorderst auf dem Papier, in Form einer Zahl. Über die Verteilung, über die Situation der Beschäftigten sagt der Gewinn oft wenig. Wie im Fall P&L.
Kurzarbeit mit Teilzeitgehalt
Bei Pagro, zu welchem seit 2005 auch die Einzelhandelskette Libro gehört, sind 90 Prozent der insgesamt rund 2.100 MitarbeiterInnen in Teilzeit beschäftigt. Einzig die FilialleiterInnen arbeiten 38,5 Wochenstunden. Im vergangenen März und April, erinnert sich Kreuzer, „wussten viele bereits Mitte des Monats nicht mehr, wie es weitergehen soll“. Zwar meldete ihr Arbeitgeber alle Beschäftigten zur Kurzarbeit an, wodurch diese 90 Prozent des Gehalts weiterbeziehen konnten. „Aber den Teilzeitkräften tun auch die zehn Prozent weh, denen fehlt jeder Euro“.
Noch bitterer habe es die geringfügig Beschäftigten getroffen. Für sie greift das Kurzarbeitsprogramm nicht. Den 2. Lockdown habe man mit Überstundenabbau und Urlaub überbrücken können – „aber im 1. und im 3. Lockdown konnten wir sie nicht halten“, bedauert Kreuzer. Zwar konnte man ihnen die Wiedereinstellung garantieren, aber die meisten konnten nicht mehr an ihren Posten zurückkehren, weil sie vom AMS in der Zwischenzeit anderweitig vermittelt wurden. Personal, das jetzt, nach Ende des 3. Lockdowns, an allen Ecken und Enden fehlt.
„Und ich muss ehrlich sagen: manchmal habe ich das selbst nicht leicht weggesteckt. Wenn MitarbeiterInnen einfach nicht wissen, wie sie das Monat überstehen und wie sie ihr Kind weiterversorgen sollen“.
Barbara Kreuzer
Als Betriebsrätin sei man in so einer Situation zum Zuhören verdammt. „Und ich muss ehrlich sagen: manchmal habe ich das selbst nicht leicht weggesteckt. Wenn MitarbeiterInnen einfach nicht wissen, wie sie das Monat überstehen und wie sie ihr Kind weiterversorgen sollen“. Kritik an der Geschäftsführung? Kreuzer lächelt. Sie ist keine, die die Konfrontation sucht. Keine Frau der derben Worte. Oft tritt das Nichts-Sagen, die Stille an die Stelle der Kritik.
Gründung von oben
Dieselbe kritische Stille bekommt zu hören – oder besser: nicht zu hören – wer die heutige stellvertretende Betriebsratschefin nach den Geburtsstunden des Pagro-Betriebsrats fragt. Etwas „firmenlastig“ sei der anfangs gewesen. Soll heißen: Weil die Gewerkschaft Anfang der 2000er auf einen Betriebsrat pochte, gründete der damalige Pagro-Chef diesen eben, gewissermaßen von oben. Indem er die ihm wohlgesonnene Verkaufsleiterin zur Kandidatur überredete. „Die war dann Einkaufschefin und nebenbei Betriebsrätin“, kann Kreuzer heute nur den Kopf schütteln. Etwas „firmenlastig“ eben.
Aber: seither ist auch Kreuzer mit an Bord, als stellvertretende Vorsitzende in einem Team von insgesamt 34 BetriebsrätInnen. Seit drei Jahren arbeiten die Teams von Pagro und Libro zusammen – „und das funktioniert wirklich sehr gut!“, lobt Kreuzer die Zusammenarbeit. Auch deshalb, weil der Betriebsrat mittlerweile anders zusammengesetzt ist, weniger „firmenlastig“.
Seit drei Jahren ist sie zudem stellvertretende GPA-Wirtschaftsbereichsvorsitzende im Handel – und sitzt daher bei den Kollektivvetragsverhandlungen mit am Tisch. Ein Gehaltsplus von 1,5 Prozent per 1. Jänner 2021 konnten Kreuzer und ihr Team vergangenen Herbst erstreiten. Nicht die Welt, „aber angesichts der Situation doch relativ gut“. Und: „Mehr als die Metaller“. Die erreichten 1,45 Prozent.
In den eigenen Reihen hätten viele die Einigung begrüßt, vor allem stand zum Zeitpunkt der Verhandlungen der nächste Lockdown bereits vor der Tür. Die Zeit drängte. Aber, natürlich, „es gibt welche, die haben immer was zum motschgann“.
Wo der Schuh drückt
Im steirischen Judenburg (Bezirk Murtal) geboren und im benachbarten Zeltweg aufgewachsen kümmerte sich Kreuzer nach drei Jahren Haushaltsschule zunächst zehn Jahre um ihre beiden Söhne. Danach begann sie beim Drogeriehändler BIPA, nach zehn Jahren wechselt sie im Jahr 2000 schließlich zu Pagro. Zunächst Teilzeit, kurze Zeit später dann Vollzeit, bald als stellvertretende und nach einem Jahr dann als Filialleiterin.
Und seither tourt die heute 55-Jährige durch Österreich. Von Zeltweg aus einmal wöchentlich in die Zentrale nach Guntramsdorf in Niederösterreich zu Besprechungen. Den Rest der Woche in die Filialen der Republik, 5.000 Kilometer im Monatsschnitt, 60.000 im Jahr. „Ich bin unterwegs von Bregenz bis zum Neusiedler See“, lacht Kreuzer mit etwas Stolz.
In den Filialen selbst ist es dann mal der lockere Plausch an der Kassa. Was denn so Sache ist und wo der Schuh so drückt. Oder echte Härtefälle: Wie die Kollegin, die infolge eines Tumors mit einem schweren Tinnitus zu kämpfen hatte. Für sie haben Kreuzer und ihre Kolleginnen ein passendes Arbeitsumfeld organisiert: Nicht zu laut und zur Sicherheit stets in Begleitung von KollegInnen. Schließlich konnte die Kollegin nach überstandenem Gehirntumor noch bis zur Pension als Filialleiterin arbeiten. Ein Erfolg, auf den Kreuzer in ihrer Zeit als Betriebsrätin besonders stolz ist.
Zur Person:
Barbara Kreuzer, 55, ist in Judenburg (Bezirk Murtal, Steiermark) geboren. Seit 2000 arbeitet sie bei Pagro und ist dort seit 2002 stv. Betriebsratsvorsitzende. Seit drei Jahren fungiert sie als stv. GPA-Wirtschaftsbereichsvorsitzende im Handel.