Wann gilt Covid als Berufskrankheit?

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Bereits 3.600 mal wurde Covid-19 seit Ausbruch der Pandemie als Berufskrankheit eingestuft. Johannes Perktold von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), erklärt, unter welchen Voraussetzungen das möglich ist und welche Vorteile das bringt.

KOMPETENZ: Wann wird Covid-19 als Berufskrankheit qualifiziert?

Johannes Perktold: Der Gesetzgeber hat eine Liste von Berufskrankheiten erstellt. Darauf finden sich auch Infektionskrankheiten, welche bei Tätigkeiten in besonders gefährdeten Unternehmen von den Unfallversicherungsträgern als Berufskrankheit anerkannt werden können. Welche Unternehmen das sind, ist ebenfalls im Gesetz angeführt. Der Gesetzgeber sieht beispielsweise bei Tätigkeiten in Kranken- oder Kuranstalten, Pflegeanstalten, öffentlichen Apotheken aber auch in Schulen, Kindergärten, im Gesundheitsdienst, in wissenschaftlichen Laboren oder in Justizanstalten ein erhöhtes Infektionsrisiko.

Da Covid-19 eine Infektionskrankheit ist, kann eine Infektion eine Berufskrankheit darstellen, wenn die Ansteckung im Rahmen einer Tätigkeit in einem der – auszugsweise – aufgezählten Unternehmen erfolgt ist.

Wann Covid als Berufskrankheit anerkannt werden kann:

  • Die Ansteckung muss mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Arbeit passiert sein.
  • Sie muss in einem Unternehmen passiert sein, in dem ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht: u.a. Krankenhaus, Kuranstalt, Pflegeheim, Apotheke, Schule, Kindergarten, Justizanstalt. (Die Liste legt der Gesetzgeber fest.)
  • Auch externe Dienstleister, die sich dort anstecken, fallen unter diese Regel.
  • Es muss ein (formloser) Antrag bei der Unfallversicherung gestellt werden.

KOMPETENZ: Wie erfolgt die Abgrenzung der sogenannten Listenunternehmen zu anderen Unternehmen wie Betreuung, Sozialberufen oder Trägern der Erwachsenenbildung? Diese sind im Gesetz nicht aufgezählt.

Johannes Perktold: Die Liste wurde vom Gesetzgeber in dieser Form formuliert, die AUVA muss die Regelung so vollziehen. Spielräume für die Ausdehnung auf andere Branchen bietet nur die enthaltene Allgemeinklausel – wenn die Ansteckung „in einem Unternehmen mit vergleichbarer Gefährdung erfolgt ist“. Letztendlich ist es eine medizinische Entscheidung, ob beispielsweise eine bestimmte Bildungseinrichtung hinsichtlich des Infektionsrisikos gleich „gefährlich“ wie eine Schule ist.

Die Beurteilung der einzelnen Fälle erfolgt dabei unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben und unter Wahrung der Gleichbehandlung gleichgelagerter Sachverhalte. Entscheidend ist in der gesetzlichen Unfallversicherung das Prinzip der Kausalität, also die Verursachung des Körperschadens durch die versicherte berufliche Tätigkeit.

„Wenn sich beispielsweise ein(e) (externer) ElektrikerIn, InstallateurIn oder SozialarbeiterIn bei der Arbeit in einem Spital oder bei einem Gesundheitsdienstleister infiziert, dann kann die Erkrankung ebenso eine Berufskrankheit sein.“

Johannes Perktold

Maßgeblich für die Anerkennung von Covid-19 als Berufskrankheit ist auch nicht die Anstellung in einem dieser Unternehmen, sondern ob man in einem dieser Unternehmen tätig geworden ist. Wenn sich beispielsweise ein(e) (externer) ElektrikerIn, InstallateurIn oder SozialarbeiterIn bei der Arbeit in einem Spital oder bei einem Gesundheitsdienstleister infiziert, dann kann die Erkrankung ebenso eine Berufskrankheit sein. Entscheidend ist also nicht, ob man DienstnehmerIn eines Listenunternehmens ist, sondern dass die Infektion bei der Tätigkeit an einem dieser Arbeits-Orte passiert ist.

Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Was gilt bei Infektionen in Büros oder in einem anderen nicht als gleich gefährdet eingestuften beruflichen Umfeld?

Johannes Perktold: Bei „Nicht-Listenunternehmen“ kann eine Ansteckung zwar nicht als Berufskrankheit aber unter Umständen als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn sich Beschäftigte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Zuge der beruflichen Tätigkeit angesteckt haben. Um dies beurteilen zu können, erhebt die AUVA, so gut es ihr möglich ist, den entscheidenden Sachverhalt.

KOMPETENZ: Ist diese Anerkennung in einem „Nicht-Listenunternehmen“ schwierig?

„Um eine Infektion als Arbeitsunfall anzuerkennen, müsste man konkret beweisen, bei welcher Person (oder Personen) man sich im Rahmen der beruflichen Tätigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit infiziert hat.“

Johannes Perktold

Johannes Perktold: Ja, denn in einer Pandemie, insbesondere in Zeiten mit einer sehr hohen Inzidenz, gibt es überall im öffentlichen Raum ein hohes Ansteckungsrisiko, beispielsweise in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Um eine Infektion als Arbeitsunfall anzuerkennen, müsste man konkret beweisen, bei welcher Person (oder Personen) man sich im Rahmen der beruflichen Tätigkeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit infiziert hat.

KOMPETENZ: Wie funktioniert das Feststellungsverfahren?

Johannes Perktold: Zunächst wird über Anfragen an die Betroffenen und die Dienstgeber möglichst viel über den Geschehensablauf, der zu einer möglichen berufsbedingten Infektion geführt hat, herausgefunden. Aufgrund dieser Feststellungen obliegt es dann einem Arzt bzw. einer Ärztin, zu beurteilen, ob die Infektion mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bei der beruflichen Tätigkeit erfolgt ist oder nicht.

Wie gesagt ist dieser Nachweis in Pandemiezeiten, in denen es auch im alltäglichen Leben ein hohes Ansteckungsrisiko gibt, sehr schwierig. Hier kommt es sehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an.

KOMPETENZ: Für die Leistungen der AUVA ist es egal, ob eine Covid-19 Erkrankung als Arbeitsunfall oder als Berufskrankheit eingestuft wird?

Johannes Perktold: Prinzipiell ja, im Fall einer Anerkennung gibt es in beiden Fällen für Betroffene das volle Leistungsspektrum. Entscheidend für die Leistung ist nicht, ob die Erkrankung als Berufskrankheit oder als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannt ist, sondern welche gesundheitlichen Folgen die Erkrankung nach sich zieht und inwieweit dadurch die Erwerbsfähigkeit gemindert wird oder nicht. Bei der Feststellung der Bemessungsgrundlage für etwaige Geldleistungen gibt es allerdings bei Berufskrankheiten einen Günstigkeitsvergleich. Hierbei wird die Bemessungsgrundlage zum Zeitpunkt des Beginns der Krankheit, mit jenem Zeitpunkt zu Beginn eines Rentenanspruches (20 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit) verglichen.

KOMPETENZ: Welche Rolle spielt die Judikatur im rechtlichen Bewertungsprozess?

Johannes Perktold: Eine ausführliche Judikatur zu Covid-19 Fällen gibt es in diesem Zusammenhang noch nicht. Etwaige künftige Entscheidungen werden auch helfen, die Vollziehungspraxis der AUVA noch genauer ausrichten zu können.

Wenn etwa jemand glaubt, sich in einem „Nicht-Listenunternehmen“ im Rahmen der Arbeit bei einer anderen Person angesteckt zu haben, dann ist das eine reine Beweisfrage. Es kommt darauf an, ob die Infektion mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bei der Arbeit erfolgt ist oder ob nicht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Ansteckung im privaten Bereich erfolgt ist. Solche Wahrscheinlichkeitsabwägungen bergen trotz größten Bemühens um Objektivität eine gewisse Unsicherheit in sich. In diesem Bereich können von der Judikatur entwickelte Grundsätze in der Verwaltungspraxis sehr hilfreich sein.

Grundsätzlich können Betroffene in allen Verfahren immer einen Bescheid bekommen, den sie bei Gericht bekämpfen können. Da das Verfahren beim Arbeits- und Sozialgericht in Österreich für Kläger kostenfrei ist, rate ich Betroffenen zu einer Klage, sofern sie mit dem Bescheid nicht einverstanden sind.

„Mit Stand Anfang September 2021 sind über 3.600 Fälle als Berufskrankheit anerkannt worden und natürlich sind noch mehrere tausend Verfahren offen. Es werden auch laufend weitere Meldungen erstattet.“

Johannes Perktold

KOMPETENZ: Wie oft wurde Covid-19 in den letzten eineinhalb Jahren der Pandemie schon als Berufskrankheit anerkannt?

Johannes Perktold: Mit Stand Anfang September 2021 sind über 3.600 Fälle als Berufskrankheit anerkannt worden und natürlich sind noch mehrere tausend Verfahren offen. Es werden auch laufend weitere Meldungen erstattet.

KOMPETENZ: Was müssen ArbeitnehmerInnen tun, die sich im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit Covid-19 infiziert haben, damit die Infektion von der AUVA als Berufskrankheit oder als Arbeitsunfall anerkannt wird?

Johannes Perktold: Der Arbeitgeber muss eine entsprechende Meldung an die AUVA erstatten. Ist das nicht passiert, können Betroffene ihren Dienstgeber zur nachträglichen Meldung auffordern. ArbeitnehmerInnen können auch selbst tätig werden, das entsprechende Formular aus dem Internet ausdrucken und an die AUVA schicken.

KOMPETENZ: Welche Formvorschriften müssen hier eingehalten werden?

Johannes Perktold: Der Antrag ist formlos. Wir nehmen grundsätzlich jede Mitteilung als Meldung zur Einleitung eines Verfahrens an, aus der hervorgeht, dass im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit eine Infektion vermutet wird. Es ist natürlich zweckmäßig, die Formularvorlagen zu verwenden, da dies die Erstbearbeitung erleichtert.

Grundsätzlich ist jede Infektion, bei der ein begründeter Verdacht einer beruflichen Ansteckung vorliegt, zu melden. Hauptsächlich wird das bei Tätigkeiten in Listenunternehmen bzw. solchen mit gleicher Gefährdung der Fall sein.

KOMPETENZ: Warum ist die Meldung so wichtig?

Johannes Perktold: Die rechtzeitige Meldung dient zur Absicherung etwaiger unfallversicherungsrechtlicher Ansprüche. Es macht einen großen Unterschied im Leistungsspektrum, ob eine Erkrankung in der Freizeit oder im Zusammenhang mit der Arbeit passiert – da kann es um Rehabilitationsmaßnahmen oder gegebenenfalls höherwertige Heil- und Hilfsmittel gehen. Die Meldung bei der Unfallversicherung bringt ArbeitnehmerInnen keine Nachteile, im Falle einer späteren Notwendigkeit von Leistungen jedoch viele Vorteile. Auch etwaige Rentenansprüche werden dadurch abgesichert.

KOMPETENZ: Wie schnell muss die Meldung an die AUVA ergehen?

Johannes Perktold: Grundsätzlich sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten vom Arbeitgeber innerhalb von fünf Tagen dem zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden. Gemäß § 86 (4) ASVG schadet es aber den Leistungsansprüchen nicht, wenn die Unfallmeldung innerhalb von 2 Jahren nach dem Eintritt des Versicherungsfalles erfolgt. Langt bis dahin eine Meldung beim Unfallversicherungsträger ein, gibt es die Leistungen der Unfallversicherung auch rückwirkend. Wird diese Frist versäumt, leistet die AUVA ab der Meldung bzw. ab der Antragstellung, wobei das jetzt eine etwas verkürzte bzw. vereinfachte Darstellung ist.

Unfallmeldungen müssen grundsätzlich vom Dienstgeber gemacht werden. Zur Meldung von Berufskrankheiten-Verdachtsfällen sind auch die behandelnden ÄrztInnen verpflichtet.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass Arbeitgeber für etwaige Schäden, die ArbeitnehmerInnen durch eine verspätete oder unterlassene Meldung entstehen, haften können.

KOMPETENZ: Wie geht die AUVA mit Long-Covid Erkrankungen um?

Johannes Perktold: Die AUVA betreibt in Tobelbad bei Graz eine Rehabilitationsklinik, in der auch Rehabilitationsmaßnahmen für PatientInnen, bei denen nach einer Covid-19 Erkrankung länger andauernde Beschwerden oder Nachwirkungen vorhanden sind, angeboten werden. Diese Abteilung für Berufskrankheiten und Arbeitsmedizin steht unter der fachlichen Aufsicht von Barbara Machan. Insbesondere schwere Fälle mit langanhaltenden Beschwerden werden dort von einem multidisziplinären Team kompetent und umfassend betreut und rehabilitiert. Auch die medizinische Beurteilung, ob eine Berufskrankheit oder ein Arbeitsunfall vorliegt, passiert dort. Aktuell wird in medizinischen Kreisen das Fatigue-Syndrom intensiv erforscht.

KOMPETENZ: Können auch SchülerInnen die ja durch Bundesbeiträge vom Unfallversicherungsschutz umfasst sind, eine Covid-19 Erkrankung als Berufskrankheit geltend machen?

Johannes Perktold: Ja, eine Schule ist ein „Listenunternehmen“ und der Schulbesuch ist in diesem Zusammenhang einer beruflichen Tätigkeit gleichgestellt.

Zur Person

Johannes Perktold arbeitet als Referent für Rechtsangelegenheiten des Leistungsbereichs in der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in Wien.

Scroll to top