Ampel-Koalitionsvertrag der neuen deutschen Bundesregierung

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Ende November haben SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ präsentiert. Mittlerweile wurde die neue deutsche Bundesregierung bereits angelobt und hat ihre Arbeit aufgenommen. Wir haben das Regierungsprogramm 2021-2025 unseres Nachbarlandes nun genauer unter die Lupe genommen und insbesondere anhand gewerkschaftlicher Kernforderungen analysiert.

Trotz Beibehaltung der Schuldenbremse sollen hohe Investitionen in sozial-ökologischen Wandel getätigt werden

Klimaschutz und Modernisierung nehmen angesichts der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft einen hohen Stellenwert im Koalitionsvertrag ein. Entsprechend ist auch die Notwendigkeit von zusätzlichen und dauerhaft hohen öffentlichen Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien, Energieeffizienz sowie digitaler- und Verkehrsinfrastruktur vorgesehen.

Weitgehend unambitioniert bleiben die Vertragsparteien aber bei der Bezifferung der Investitionsbedarfe, ein konkretes Volumen wird dabei nicht erwähnt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte hier im Vorfeld mind. 50 Mrd. Euro zusätzlich pro Jahr für die nächsten zehn Jahre gefordert. Auch die Finanzierung der geplanten Maßnahmen bleibt vage, insbesondere, weil die Koalition an der investitionsfeindlichen Schuldenbremse festhalten wird.

Eine zentrale Schwachstelle des Koalitionsvertrages ist jedenfalls der ausgebliebene Einstieg in eine gerechte Steuerpolitik.

Transformationsfonds für Unternehmen und regionale Transformationscluster im Sinne des sozialen Dialoges

Um die Unternehmen bei ihren Investitionen auf dem Weg zur Klimaneutralität zu unterstützen, setzt die Koalition unter anderem auf einen Transformationsfonds und eine Reihe von industrie-politischen Fördermaßnahmen. Abzuwarten gilt es, wie das Spannungsfeld zwischen dem enormen Investitionsbedarf (sowohl privat als auch öffentlich) vor dem Hintergrund der Schuldenbremse gelöst werden kann.

Die regionale Bedeutung der sozial-ökologischen Transformation wird vielfach aufgegriffen und mit Vorschlägen zur Begleitung ergänzt. Im wirtschaftspolitischen Teil ist im Zuge des Strukturwandels der Aufbau und die Förderung regionaler Transformations- und Qualifizierungscluster mit den Sozialpartnern und lokalen Akteuren sowie die Unterstützung strukturschwacher Regionen vorgesehen. Damit werden Forderungen des DGB wie demokratische und regionale Beteiligungsformate sowie eine Stärkung von guter Arbeit, Tarifbindung und Qualifizierung im Wandel aufgegriffen.

Im Koalitionsvertrag wird zudem die Einführung eines Qualifizierungsgeldes festgelegt. Dieses soll in Anlehnung an das Kurzarbeitsgeld Unternehmen im Strukturwandel ermöglichen, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und Fachkräfte zu sichern.

Insgesamt lässt das Übereinkommen erkennen, dass die Ampelkoalition die Transformation im Sinne eines gerechten Übergangs gestalten will, auch wenn teilweise noch Leerstellen erkennbar sind.

Vereinbarungen zur Tarifbindung beinhalten positive Punkte und Enttäuschungen

Begrüßenswert im Koalitionsabkommen ist jedenfalls, dass öffentliche Auftragsvergaben des Bundes an die Einhaltung repräsentativer Tarifverträge der jeweiligen Branche gebunden werden sollen. Das entsprechende Bundestariftreuegesetz kann zu höheren Löhnen, kürzeren Arbeitszeiten und besseren Arbeitsbedingungen für Millionen Beschäftigte beitragen.

Durch die angekündigte Nachwirkung von Tarifverträgen bei Betriebsausgliederungen kann die Tarifflucht der Arbeitgeber eingedämmt werden.

Problematisch hingegen ist, dass keine weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Tarifbindung vorgesehen sind. Dazu wäre beispielsweise die Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit oder die Abschaffung von Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung nötig.

Behinderung der Betriebsratsarbeit wir Offizialdelikt, aber keine qualitative Stärkung der Unternehmensmitbestimmung

Die Ampel-Parteien haben einen wichtigen Ausbau der Reichweite von Drittelbeteiligungen in Aufsichtsräten vereinbart, indem die Übertragung der Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz vereinbart wurde. Positiv ist auch, dass die Regierungskoalition eine missbräuchliche Umgehung des geltenden Mitbestimmungsrechtes ausdrücklich verhindern und sich dafür einsetzen möchte, den „Einfriereffekt“ der Unternehmensmitbestimmung bei Europäischen Aktiengesellschaft (SE) zu überwinden.

Das „digitale Zugangsrecht“ für Gewerkschaften, das im Betriebsverfassungsgesetz verankert sein soll, und die Einstufung von Behinderung von Betriebsratswahlen und Betriebsratstätigkeiten als Offizialdelikt sind ebenfalls positiv hervorzuheben.

Bedauerlich ist hingegen, dass die Koalitionspartner – auch im Widerspruch zu vorherigen Positionen von SPD und Grünen – keine der gewerkschaftlichen Forderungen zur qualitativen Stärkung der Unternehmensmitbestimmung aufgegriffen haben.

Leider fehlte hier der Mut für eine umfassende Reform, die dringend nötig wäre.

12-Euro-Mindestlohn durchgesetzt, jedoch keine Verbesserungen bei Minijobs

Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde ist absolut notwendig und bedeutet eine ordentliche Lohnerhöhung für rund zehn Millionen Beschäftigte in Deutschland. Allerdings sind Jugendliche unter 18 Jahren und Langzeitarbeitslose, wenn sie einen Job antreten, davon ausgeschlossen.

Völlig verfehlt ist hingegen die Anhebung der Hinzuverdienstgrenze von Minijobs. Minijobs sind für viele Menschen – vor allem für Frauen – eine Falle und verdrängen sozial abgesicherte Arbeitsplätze. Der DGB fordert seit langem eine Minijobreform, mit der die kleinen Teilzeitarbeitsverhältnisse von Anfang an in die Sozialversicherung einbezogen werden.

Unzureichend ist, dass die sachgrundlose Befristung bei Anstellungen nur für den öffentlichen Dienst begrenzt wurde, dies muss in gleichem Maße auch für die Privatwirtschaft gelten.

Mehr Mittel für besserer Qualifizierung und Ausbildungsgarantie

Zu begrüßen ist, dass die Qualifizierungsförderung für alle Gruppen am Arbeitsmarkt – Erwerbs-tätige und Arbeitslose – erheblich ausgebaut werden soll. Dazu soll beispielsweise ein neues Modell der Bildungs(teil)zeit (ähnlich wie in Österreich) zur Förderung und Unterstützung von Weiterbildung eingeführt werden.

Positiv hervorzuheben ist auch die künftige Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen.

Die Bekämpfung des Fachkräftemangels wird ausdrücklich an die Schaffung besserer Weiterbildungsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen geknüpft.

Keine Erhöhung des Rentenantrittsalters, Kindergrundsicherung als soziapolitischer Meilenstein

Der DGB begrüßt das Bekenntnis der Ampelkoalition, das Renteneintrittsalter nicht noch weiter zu erhöhen und das Rentenniveau bei mindestens 48% dauerhaft festzulegen. Darüber hinaus muss die betriebliche Altersvorsorge jedoch gestärkt und attraktiver gestaltet werden. Hier bleibt die Ampel zu Vieles schuldig. Für den DGB ist klar, dass eine fondsbasierte private Aktienrente die betriebliche Altersvorsorge nicht schwächen darf.

Die Pläne der Ampelkoalition zur Kindergrundsicherung sind ein sozialpolitischer Meilenstein zur Bekämpfung von Kinderarmut. Auch die Überführung der Grundsicherung (Hartz IV) in ein Bürger-geld bringt viele substanzielle Fortschritte, allerdings fehlt die dringend erforderliche Erhöhung der Regelsätze auf ein Niveau, das wirksam vor Armut schützt.

Soziale Aufwärtskonvergenz und Mitbestimmung soll auf europäischer Ebene weiterentwickelt werden

Die in der Europäischen Säule sozialer Rechte (EPSSR) verankerten Grundprinzipien sollen umgesetzt und dadurch die soziale Aufwärtskonvergenz innerhalb der EU befördert werden. Insbesondere durch und mit klaren Bekenntnissen zur Einführung des europäischen Mindestlohns, zur Stärkung der Tarifautonomie, der Tarifpartner und der Tarifbindung sowie zu widerstandsfähigen sozialen Sicherungssystemen in der EU und ihren Mitgliedstaten.

Des Weiteren sprechen sich die Koalitionspartner für eine Aufwertung des Europäischen Parlaments aus, indem dieses im Gesetzgebungsprozess mit einem Initiativrecht ausgestattet werden soll. Die demokratischen Mitbestimmungsrechte Beschäftigter sollen auch auf europäischer Ebene gefördert und weiterentwickelt werden, insbesondere was den Europäischen Betriebsrat (EBR) anbelangt.

Insgesamt verknüpft die Koalition ihre innerstaatlichen Vorhaben stark mit der ambitionierten Ausgestaltung von europäischen Rechtsakten. Das trifft etwa auf die unternehmerische Verantwortung entlang von Lieferketten oder die Regulierung digitaler Märkte zu.

Linktipps:

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