Industrie im ökologischen Wandel

v.l.n.r.: Reinhard Streinz: Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates voestalpine Stahl GmbH, Landesvorsitzender der GPA Oberösterreich, Franz Peter Mitterbauer: Vorstandsvorsitzender der Miba AG, Sophia Reisecker: Leiterin der Abteilung Europa, Konzerne und internationale Beziehungen der GPA, Karl Dürtscher: GPA Bundesgeschäftsführer, Julia Eder: externe Lektorin am Institut für Soziologie, JKU Linz
Foto: Edgar Ketzer

Politischer Rahmen – gewerkschaftliche Forderungen – betriebliche Möglichkeiten

Wir befinden uns inmitten zweier gesellschaftlicher Transformationen: Digitalisierung und Dekarbonisierung. Daher ist eine aktive und strategische Neuausrichtung der europäischen Wirtschafts- und Industriepolitik notwendig. Das stellt Branchen, Unternehmen und Betriebsräte vor neue Herausforderungen.

Im Rahmen des 21. GPA Konzerneforums, das am 10. März in der AK Linz stattfand, haben wir uns deshalb mit aktuellen politischen und regulativen Entwicklungen auf europäischer Ebene, vor allem dem Green Deal und der aktualisierten EU-Industriestrategie auseinandergesetzt. Im Vordergrund stand dabei die konkrete Einordnung des Standorts Österreich. Beleuchtet wurden Aspekte der gerechten Verteilung, sozialer Fragen sowie die ArbeitnehmerInnen-Perspektive. Ein besonderes Augenmerk lag beim Thema Mitbestimmung – am Standort, auf Branchenebene und in der EU.

Renaissance der staatlichen Wirtschaftspolitik?

Im Jahr 2020 wurde erstmals von der EU eine europäische Industriestrategie präsentiert. Aufgrund der Corona-Pandemie und den daraus resultierenden neuen Herausforderungen, insbesondere was globale Lieferketten anbelangt, erfolgte 2021 bereits eine Überarbeitung dieses Papiers. Dabei wurde die Abkehr von einer bisher streng neoliberalen Industriepolitik in Aussicht gestellt, die bisher vor allem auf staatliche Zurückhaltung und Deregulierung setzte. Auch veränderte geopolitische Rahmenbedingungen und damit verbundene ökonomische Folgen haben strategische Nachteile, Abhängigkeiten und Knappheiten der bisherigen Industriepolitik deutlich gemacht.

Die EU hat sich nun zum Ziel gesetzt, im Zuge des Strukturwandels eine strategische Autonomie in gewissen Schlüsseltechnologien und neu entstehenden Wertschöpfungsketten zu erreichen. Dadurch soll ein stärkerer und widerstandsfähigerer europäischer Binnenmarkt aufgebaut werden. Eine wesentliche Rolle hierbei spielt das europäische Beihilfenrecht, das staatliche Subventionen für Unternehmen regelt. Zur Stärkung strategischer europäischer Wertschöpfungsketten und Mehrinvestitionen in Schlüsseltechnologien hat die EU dazu nun ein neues Regulativ entwickelt. Durch gezielte Investitionen in industrielle Kapazitäten, Infrastrukturen und digitale sowie grüne Technologie soll die technologische und wirtschaftliche Souveränität und die doppelte Transformation bewerkstelligt werden. Diese Entwicklung kommt gewissermaßen einer Renaissance der staatlichen Industrie- und Wirtschaftspolitik gleich.

EU reagiert umfassend auf Strukturwandel

Die europäische Ebene hat mit einer Reihe von Rahmenpolitiken und Strategiepapieren wie dem Green Deal oder der Industriestrategie auf den Strukturwandel reagiert. Die finanzielle Dimension dieser Aktivitäten wird mit Blick auf den Gesamtinvestitionsbedarf deutlich: In den grünen und digitalen Strukturwandel werden in den nächsten zehn Jahren schätzungsweise 5.850 Mrd. Euro fließen, das entspricht etwa 4 bis 5 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes der EU.

Die ökologische und digitale Transformation sind klassische Beispiele für eine Mehrebenenpolitik, die regional, national und europäisch gestaltet werden muss. Österreich fehlt es bisher an einem nationalen Fahrplan (Transformationspfad, beschäftigungspolitische Ziele,…) für diesen Strukturwandel. Auf europäischer Ebene, aber auch in anderen EU-Ländern haben diese Prozesse längst gestartet.

Strukturwandel politisch gestalten

Der Strukturwandel wird nicht automatisch fair und sozial gerecht stattfinden, er muss aktiv mit einer entsprechenden Industrie-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik gestaltet werden. Gelingt dies, würde die „grüne“ Wirtschaft zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Die Gesamtbeschäftigung könnte Berechnungen zu Folge bis 2030 um 0,6 bis 2 Prozent ansteigen.

Aber diese neuen Arbeitsplätze werden nicht automatisch an jene Menschen gehen, die vom Wandel betroffen sind. Ein fairer und gerechter Übergang muss daher konkret auf bestimmte Beschäftigungsgruppen und Regionen abgestimmt werden. Insgesamt benötigt es also eine arbeitsmarktpolitische Strategie für die Betroffenen. Es gilt Arbeitsplätze zu erhalten, weiterzuentwickeln bzw. neue Jobs zu schaffen und dabei sozial schwache Gruppen und mögliche VerliererInnen zu schützen.

Just Transition

Um diesen gerechten Übergang zu ermöglichen, sind aus gewerkschaftlicher Sicht insbesondere folgende Maßnahmen und Initiativen auf europäischer Ebene von Bedeutung:

1) Mehr arbeitsmarktpolitische Investitionen

Um die Beschäftigten auf den Wandel hin zu einer klimaneutralen Industrie vorzubereiten, sind angemessene arbeitsmarktpolitische Investitionen erforderlich. Es braucht mehr Geld für Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme.

„Ein sozial gerechter Übergang ist die Voraussetzung für das Gelingen der ökologischen Industrietransformation. “

Karl Dürtscher

2) Mitbestimmung der Sozialpartner bei Umschulung und Weiterbildung

Ohne zu wissen, wo und wie die Beschäftigten konkret vom Strukturwandel
betroffen sind, können Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme nicht zielgerichtet angeboten werden. Nationale öffentliche Behörden müssen daher die Sozialpartner bei der Gestaltung dieser Maßnahmen entsprechend einbinden.

3) Mitgestaltung des Wandels durch Ausbau des sozialen Dialogs

2013 schlug das Europäische Parlament bereits einen EU-Rahmen für Mitbestimmung bei der Bewältigung des Strukturwandels vor. Dieser muss nun geschaffen werden, um sicherzustellen, dass die Beschäftigten das Recht haben, den Übergang an ihren Arbeitsplätzen und in ihren Regionen in Form eines sozialen Dialogs mitzubestimmen.
Abschließend diskutierte GPA-Bundesgeschäftsführer Karl Dürtscher unter anderen mit Leonore Gewessler, Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie der Republik Österreich. Im Zentrum dieser Podiumsdiskussion stand der ökologische Wandel im Spannungsfeld von Klimazielen, Stärkung des Wirtschaftsstandortes und dem gerechten Übergang für die Beschäftigten.
Dürtscher stellte dabei klar, dass auf kollektivvertraglicher Ebene insbesondere Fragen zur Entlohnung und zur Arbeitszeitgestaltung im Zuge des ökologischen Wandels im Vordergrund stehen werden. Darüber hinaus verwies Dürtscher darauf, dass die Industrie weiblicher werden müsse und es insbesondere Akzente in der Aus- und Weiterbildung für die Beschäftigten benötige. Der Zugang für die KollegInnen zu diesen Programmen müsse auf breiter Ebene sichergestellt werden. Was den Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung im Zuge des Strukturwandels betrifft, sprach sich Dürtscher für gesetzliche Unterstützung in Form einer Anpassung des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) aus.

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