Großbritannien: Der Kampf für das #righttostrike

Foto: Tayfun Salci / Zuma / picturedesk.com

Während Beschäftigte in Großbritannien in zahlreichen Sektoren streiken um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, plant die Regierung Gesetzesänderungen, die das Recht auf Streik bedrohen.

Hellblaue, dunkelblaue, rote, graue und violette Punkte überall. Das ganze Monat des britischen Streikkalenders ist voll damit. Dabei steht jeder Punkt für einen Sektor, der in Großbritannien diese Tage die Arbeit verweigert. An manchen Tagen sind es sogar drei oder vier Sektoren gleichzeitig: Die Angestellten des walisischen Rettungsdiensts, das Krankenpersonal, BusfahrerInnen in London und schottisches Lehrpersonal – sie alle waren gleich mehrere Tage diesen Monat im Streik.

Und zum ersten Mal in der Geschichte streiken auch die Beschäftigten der staatlichen Environment Agency, so etwas wie das österreichische Umweltbundesamt. Sie sind die grauen Punkte im Streikkalender der britischen Tageszeitung The Guardian. Die Angestellten der Environment Agency sind verantwortlich für die Infrastruktur zur Sicherung der Bevölkerung, wie etwa vor Wasserverschmutzung oder Überflutungen. Eine dieser lebensschützenden Infrastrukturen ist die Thames Barrier in London, eines der größten Sturmflutsperrwerke der Welt. Mit ihm wird die Hauptstadt vor besonders großen Nordseefluten geschützt.

Letzten Herbst wurden die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zwar um zwei Prozentpunkte erhöht und eine Einmalzahlung vereinbart. Wie überall sonst in Europa liegt dies aber auch in England weit unter dem Inflationsschnitt. Den Beschäftigten bleibe keine andere Möglichkeit als in den Streik zu gehen, so die Gewerkschaft Unison.

Großbritannien wird nicht nur gebeutelt von der Inflation und den Auswirkungen des Brexit, sondern auch von Arbeitskämpfen. Als Reaktion arbeitet die Regierung an einer Gesetzesänderung, die droht das Streikrechts einzuschränken. Doch auch dagegen formiert sich Widerstand.

Nationales Gesundheitssystem am Boden

Besonders akut ist die Lage im britischen Gesundheitssystem. „Die konservative Regierung hat Blut an ihren Händen, und sie weiß das,“ sagt Kevin Hurd in die Kamera. Der Mann arbeitet seit 20 Jahren als Notfallsanitäter für die britische Rettung. Unter dem Titel „Support our ambulance workers“ (Unterstützt unsere Rettungskräfte) betreibt die britische Gewerkschaft Unite the Union eine Kampagne. Hurd spricht für die betroffenen Arbeitenden in einem Kampagnenvideo der Gewerkschaft.

„Die konservative Regierung hat Blut an ihren Händen, und sie weiß das.“

Kevin Hurd, Notfallsanitäter bei der britischen Rettung

Es müsse verhindert werden, dass das Gesundheitssystem kollabiert, sodass es weiter den Leben von unseren Familien und FreundInnen dienen kann. Von Seiten der Gewerkschaft heißt es:

„Das nationale Gesundheitssystem ist am Boden. Unterbezahlte und erschöpfte MitarbeiterInnen verlassen uns in Scharen.“

Video der Gewerkschaft Unite the Union

Über ein Viertel der PatientInnen mussten mehr als eine Stunde auf einen Zugang zur Notaufnahme warten. Dieser Winter sei einer der schwierigsten Winter in der Geschichte des britischen Gesundheitssystems gewesen, berichtet der Guardian.

Daher kam es bereits im Dezember vergangenen Jahres zu ersten Streiks, die sich jetzt im Jänner fortsetzten. Während das Royal College of Nursing, Englands größte Gewerkschaft und Berufskörperschaft für Pflegeberufe, 19 Prozent Lohnsteigerung forderte, gäbe sich die größte Gewerkschafte des Landes, die GMB, schon mit einer Anhebung über das Inflationsniveau zufrieden. Weil aber weder das eine noch das andere in Sicht ist – aktuell liegen die Angebote der Regierung bei etwa vier Prozent Lohnsteigerung – werden im Gesundheitssektor bereits bis in den Februar hinein Streiktage geplant.

Gegenwind von Regierungsseite

Die Regierung versucht indes die Bevölkerung gegen die Streikenden aufzubringen anstatt auf ihre Forderungen einzugehen. Bedrohungsszenarien von fehlender Gesundheitsversorgung der Menschen werden an die Wand gemalt. Dabei hat eine Sprecherin der Gewerkschaft GMB versichert:

„Wir werden dafür Sorge tragen, dass Leib und Leben versorgt bleiben. Das Letzte, was unsere Mitglieder tun wollen, ist, Patienten in Gefahr zu bringen.”

Sprecherin der Gewerkschaft GMB

Der konservative Innenstaatssekretär Robert Jenrick rief die Beschäftigten im öffentlichen Sektor auf ihre Streiks zu beenden, weil sie der Wirtschaft schaden würden. Auf Sky-News wird Jenrick zitiert, den Forderungen der Streikenden nachzugeben wäre „das Schlimmste was die Regierung tun könnte,“ es wäre „Selbstschädigung.“ Pat Cullen, die Generalsekretärin der Gewerkschaft Royal College of Nursing, entgegnete ebenda:

„Menschen sterben nicht, weil Krankenschwestern streiken. Die Krankenschwestern streiken, weil die Menschen sterben.“

Pat Cullen, die Generalsekretärin der Gewerkschaft Royal College of Nursing

Verschärfung des Streikrechts

Die Regierung reagiert mit zusätzlichen Druck auf den Sektor. Ein neues Gesetz soll auf Spur gebracht werden um ein „Mindestmaß an Dienstleistungserbringung“ zu garantieren, berichtet etwa der Privatsender ITV. Insbesondere Beschäftigte im Gesundheitswesen, der Eisenbahn, im Bildungssystem, bei der Feuerwehr, Sicherheitspersonal von Kernkraftwerken und Bedienstete im Grenzschutz sollen verpflichtet werden auch während Streiks eine Basisversorgung zu gewährleisten. Vor jeder Arbeitsniederlegung muss eine vorher bestimmte Anzahl an ArbeiterInnen zum Dienst eingeteilt werden.

Rishi Sunak, der neue britische Premierminister sagt, die Menschen sollen zwar das Recht haben zu streiken, es müsse aber „mit dem Recht der britischen Öffentlichkeit abgewogen werden, ihr Leben ohne unangemessene Störungen zu führen, wie wir sie in letzter Zeit erlebt haben.“

Keir Starmer von der Labour Party kündigte schon jetzt an die Gesetzgebung umgehend zurückzunehmen, sollte seine Partei bei den nächsten Wahlen (vermutlich im Jahr 2024) gewinnen. Auch die Gewerkschaften organisieren sich international gegen den Gesetzesvorstoß: Esther Lynch, die Generalsektretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds schrieb in einer Aussendung: Großbritannien hat bereits das strengste Streikrecht Europas, und die Pläne der britischen Regierung würden es noch weiter von der normalen, demokratischen Praxis in ganz Europa entfernen.“ Wolle die britische Regierung wirklich vom Rest Europas lernen, müsse sie Gewerkschaften zum Gespräch laden um eine faire Übereinkunft auszuhandeln statt noch restriktiverer Gesetze.

In Großbritannien selbst mobilisierten die Gewerkschaften unter dem Hashtag #righttostrike. Am 16. Jänner demonstrierten Tausende in Westminster,  beim Sitz der Regierung in London.

Während der konservative Wirtschaftsminister Grant Shapps bereits von einer Ausweitung des Gesetzesentwurfs auf weitere Sektoren spricht, kündigen GewerkschafterInnen den Beginn einer „Massenbewegung“ gegen die Regierungsinitiative an.

Die farbigen Punkte im Streikkalender des Guardian dürften damit keineswegs weniger werden. Möglich, dass in den nächsten Wochen sogar noch weitere Farben dazu kommen.

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