Auch immer mehr Menschen, die erwerbstätig sind, haben Probleme, die laufenden Kosten vor allem fürs Wohnen zu stemmen. Das spürt auch die Volkshilfe Wien, die seit 2022 im Auftrag des Sozialministeriums den Wohnschirm organisiert. Die KOMPETENZ sprach dazu mit Tanja Wehsely, der Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien.
„Geringfügig Beschäftigte, Bezieher:innen der Mindestpension, kinderreiche Familie und andere vulnerable Gruppen sind besonders hart von den aktuellen Teuerungen betroffen“, sagt Wehsely. „Allerdings betrifft das auch immer mehr Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen“, fügt sie hinzu. Entweder würden vom Arbeitgeber nicht genügend Stunden angeboten und das Gehalt sei daher geringer als bei einer Vollzeitstelle oder das grundsätzliche Einkommen sei nicht genügend an die allgemeinen Teuerungen angepasst oder aber Ansprüche auf ein ausgleichendes Einkommen könnten nicht geltend gemacht werden. „Die Gründe dafür sind so vielfältig wie mittlerweile das Klientel, welches unsere Beratungsstelle aufsucht.“
Mehr Menschen in Notlagen
Wenn Tanja Wehsely aus dem Alltag der Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) erzählt, wird rasch spürbar, warum sich immer mehr Menschen in einer Notlage befinden. Da ist zum Beispiel Frau T. Sie lebt seit dem Frühjahr alleine in ihrer Wohnung. Im Mai 2022 hatte sie eine Anstellung in einem Büro angenommen, diese aber im Juni darauf wieder verloren, da die Firma Stellen abbaute. Frau T. ging es daraufhin psychisch so schlecht, dass sie sich um Alltägliches kaum mehr kümmern konnte und keinen Antrag auf Unterstützung stellte. Seit April 2023 ist sie wieder berufstätig und arbeitet nun Vollzeit als Sprachlehrerin. So kann sie auch ihre Miete wieder laufend zahlen. Doch zwischenzeitlich konnte sie das nicht und daher brachte der Vermieter eine Räumungsklage ein. Die Rückstände in Höhe von 3.127, 90 Euro kann Frau T. mit ihrem aktuellen Nettoeinkommen von monatlich 1.700 Euro nicht stemmen. Diese wurden nun vom Wohnschirm übernommen, sodass Frau T. in ihrer Wohnung bleiben kann.
Herr Y. wiederum lebt seit 1. Juni 2021 alleine in einer Wohnung, für die anfänglich 760 Euro an Miete zu bezahlen war. Inzwischen beläuft sich diese allerdings bereits auf 1.210,01 Euro. Herr Y. arbeitet Vollzeit und verdient 1.547,80 Euro. Er kann sich die Wohnung nun nicht mehr leisten und nach und nach entstanden ein Mietrückstand sowie Klags- und Anwaltskosten in Höhe von insgesamt 2.420,20 Euro. Herr Y. hat inzwischen zwar eine neue, günstigere Wohnung, in die er nun mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern umgezogen ist. Kaution und Übersiedlungskosten dafür hätte er aber nicht abdecken können. Auch hier half der Wohnschirm.
Frau R. lebt seit 2020 mit ihren beiden Söhnen in einer Wohnung. Die monatliche Miete beträgt 564,51 Euro. 2022 verlor die Frau ihre Arbeit und das Arbeitslosengeld wurde auf Grund von Missverständnissen gekürzt. Aus Unwissenheit beantragte sie die Wiener Mindestsicherung nicht und der Vater der Kinder weigerte sich anfangs, Alimente für die beiden Kinder zu überweisen. Schließlich konnte Frau R. die Miete in den Monaten November und Dezember nicht bezahlen. Seit Jänner ist Frau R. wieder berufstätig, ihre Stelle als Betreuerin für Menschen mit Behinderung ist allerdings nur ein 25-Stunden-Job, obwohl Frau R. gerne Vollzeit arbeiten würde. Sie kommt mit den laufenden Kosten wieder zurecht, kann aber die Rückstände nicht abdecken. Der Wohnschirm übernimmt das nun und mit der Hausverwaltung konnte daher vereinbart werden, dass keine Klage eingebracht wird.
„Wir teilen hier die Einschätzung von WIFO, Arbeiterkammer und Momentum-Institut: Demnach ist ein Preisdeckel für Lebensmittel, Energie und Wohnen dringend notwendig.“
Tanja Wehsely
Der Wohnschirm, der auf Initiative der Volkshilfe, aber auch der Arbeiterkammer eingerichtet wurde, leistet viel. Er hilft seit 2022 bei Mietrückständen und seit 2023 auch bei Problemen, die Energiekosten zu zahlen. Bis 2026 stehen hier insgesamt 139 Millionen Euro zur Verfügung. Der Wohnschirm kann aber vor allem dann nicht mehr helfen, wenn die laufenden Kosten dauerhaft nicht mehr bestritten werden können. „Er wurde für Miet- und Energierückstände auf Grund von Covid19 geschaffen“, erklärt Wehsely. „Für die aktuelle Multikrise ist dieser dauerhaft nicht tauglich.“
Mehr leistbarer Wohnraum
Wie aber ist diese Krise zu lösen? „Es braucht leistbaren Wohnraum, Arbeit und entsprechendes Einkommen sowie eine positive Perspektive für die Klient:innen“, sagt Wehsely. Und, in Richtung Regierung: „Wir teilen hier die Einschätzung von WIFO, Arbeiterkammer und Momentum-Institut: Demnach ist ein Preisdeckel für Lebensmittel, Energie und Wohnen dringend notwendig.“ Denn: Sozialpolitik sei keine Wohnpolitik, der Krise könne also nicht nur durch Unterstützungszahlungen begegnet werden, die Kosten an sich müssten eingedämmt werden.
Laut Statistik Austria waren bereits sechs Prozent der Bevölkerung – das sind mehr als 300.000 Menschen – schon einmal mit einem drohenden Wohnungsverlust konfrontiert. Das entspreche auch der Wahrnehmung der Volkshilfe, die einen steigenden Zulauf bei ihrer Fachstelle für Wohnungssicherung verzeichnet, so Wehsely.
Nächste Mieterhöhung steht bevor
Dieser könnte in Bälde weiter ansteigen. Denn rund 135.000 Haushalten steht mit Juli österreichweit bereits die nächste Mieterhöhung ins Haus. Konkret geht es um die Kategoriemieten. Das sind Mietverträge für Wohnungen in vor 1945 privat errichteten Gebäuden, die vor dem 1. März 1994 abgeschlossen wurden. Die Erhöhung wird voraussichtlich bei plus 5,5 Prozent liegen. Die Crux: Das wäre dann für diese Mieter:innen bereits die vierte Erhöhung in 15 Monaten – insgesamt dann von fast 24 Prozent. „Das ist für viele nicht mehr machbar“, klagt Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte in der AK Wien, an.
Auch Wehsely sieht inzwischen eine Zuspitzung der Situation, zu den steigenden Mieten kämen ja auch noch die hohen Energiekosten. Gerade letztere würden teilweise die Leistbarkeit einer Wohnung verhindern. „Dies betrifft natürlich besonders kinderreiche Familien, in denen der Bedarf an Strom und Gas auch in den Sommermonaten erhöht ist, da die Eltern den Kindern zumindest einmal am Tag eine warme Mahlzeit zubereiten wollen.“ Aber auch die Betriebskosten schlagen immer stärker zu Buch. „Es rufen Menschen bei uns an, die teilweise seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung leben und nun erstmals die Betriebskostenabrechnung nicht mehr begleichen können.“