Im Buch „Wir Untoten des Kapitals“ von Raul Zelik geht es um (Ohn)macht und (Gegen)macht und um die Frage wie ein linker Gegenentwurf zur herrschenden (Un)ordnung ausschauen kann.
Die bedeutendsten Monster des Horrorgenres des vergangenen Jahrzehnts waren die Zombies. Zahlreiche Filme, Fernsehserien, Bücher, Comics und Videospiele haben sich ihnen gewidmet – mal in ihrer langsam vor sich hin humpelnden Version, oder in ihrer moderneren Variante als unaufhaltsam schnell stürmende Horde. Vielleicht will uns die Popkultur ja was damit sagen? Wir hören Vergleiche von „Zombiebanken“, dem „Zombiekapitalismus“, Menschen starren wie „Zombies“ auf ihre Handys, die moderne Arbeitswelt lässt oft den Vergleich mit einem untoten Zustand zu – man macht sinnloses, selbstzerstörerisches Zeug und kommt doch nicht davon weg. Wir sind jung und brauchen das Geld.
Der Autor Raul Zelik nimmt all dies in seinem Buch als Ausgangsbasis. In „Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus“ geht es um (Ohn)macht und (Gegen)macht, um das Zombiedasein und wie man davon loskommt. Es geht um die Frage wie ein linker Gegenentwurf zur herrschenden (Un)ordnung ausschauen kann. Das Timing dafür ist perfekt, wird die Liste der gleichzeitig stattfindenden Krisen doch stetig länger: Von Coronakrise über Wirtschaftskrise bis hin zur Klimakrise ist für jeden etwas dabei. Krisen erzeugen Ängste, lassen einen erstarren. Wie einen Zombie eben. Krisen erzeugen Verwirrung, wie man bei den von rechtsradikalen Gruppen instrumentalisierten und teilweise mitorganisierten „Hygienedemos“ sehen konnte. Und Krisen erzeugen Widerstand – zehntausende beteiligten sich an Black Lives Matter Protesten allein in Österreich. Die Widersprüchlichkeit unserer Zeit bringt der Autor auf den Punkt, wenn er über die auf den Straßen Frankreichs patrouillierenden Soldaten schreibt. Sie sollen eine Sicherheit gewährleisten, welche die „schlank“ gesparten Gesundheitssysteme nicht mehr gewährleisten können.
Dabei ist die Weltlage derzeit alles andere als „zombiehaft“, sie ist im Gegenteil sehr dynamisch. Zelik spricht von einem „Epochenwechsel“, welchen wir gerade durchlaufen. Der Kapitalismus befinde sich in einer „Krise als weltökologisches System“, die Zeit der hohen Wachstumsraten sei vorbei. Der Kapitalismus stoße an seine „physische Grenze“.
Gegenmacht von unten entwickeln
Höchste Zeit also, über Alternativen nachzudenken, und darüber, wie diese Wirkungsmächtigkeit entwickeln können. Der Autor setzt hier weniger auf Parlamente sondern auf die Stärke sozialer Bewegungen aus Gewerkschaften, Genossenschaften, außerparlamentarischen Initiativen und linken Parteien, so lange sich diese inhaltlich nicht den Interessen ihrer Parlamentsfraktionen unterordnen lassen. Zelik verweist auf die Linksregierungen von Francois Mitterand in den 1980er Jahren in Frankreich und der Syriza-Regierung in Griechenland im Zuge der Eurokrise als Beispiele für die Grenzen eines rein parlamentarischen Ansatzes. Doch auch Genossenschaften und Gewerkschaften seien nur dann wirkmächtig, wenn diese eine Überwindung der bestehenden Verhältnisse anstreben würden. Errungenschaften wie Sozialversicherungen oder das Wahlrecht seien zwar auch „von oben“ eingeführt worden – jedoch immer nur als Reaktion auf kämpferische Massenbewegungen.
Raul Zelik fordert eine massive Ausweitung des Gemeineigentums. Eine nicht dem Markt unterworfene Gesellschaft müsse sich der Frage stellen, welche Bedürfnisse für ein „gutes Leben“ wirklich wichtig seien. Hier hebt er die Bedeutung des Pflege- und Gesundheitsbereichs hervor, sowie öffentliche Infrastrukturen wie Strom- und Wasser welche allen Menschen zur Verfügung stehen müssen. Zelik wünscht sich eine „Wirtschaftsdemokratie“, welche aber nicht mit der Mitbestimmung in profitorientierten Betrieben vergleichbar sei. Vielmehr gehe es um eine gesellschaftliche Gestaltung der Ökonomie und den Aufbau von Elementen demokratischer Planung.
Manch einem mögen sich bei dem Begriff „Planwirtschaft“ die Fußnägel hochrollen. Zelik scheut nicht die kritische Auseinandersetzung mit Planwirtschaftsmodellen, wie sie in der Sowjetunion oder dem ehemaligen Jugoslawien gelebt wurden. Er benennt Widersprüche, Verbrechen, Demokratiedefizite, Korruption und andere Probleme. Und er reißt über eine Art sozialistischer Gewaltenteilung Möglichkeiten an, wie man dem zukünftig begegnen könnte, wie man also der Macht des Staates in einer auf Gemeineigentum basierenden Wirtschaft demokratische Grenzen setzen kann. In diesem Zusammenhang fordert er netzwerkartige Machtstrukturen, welche nicht hinter liberalen Errungenschaften zurückfallen dürfen. Zelik diskutiert hier auch die Frage, ob es wirklich nur ausreicht das Steuer des fahrenden Zuges an sich zu reißen, oder ob es nicht vielmehr den Griff nach der Notbremse brauche. Technologie sei nicht neutral, es reiche nicht aus, einfach die bestehenden Technologien auf nicht-profitorientierte Weise zu verwenden. Vielmehr müsse man die bislang befahrenen Gleise verlassen. Auch wird die Entstehung einer sozialistischen Welt nicht als plötzlich erscheinender Augenblick, sondern als Prozess kämpferischer Entwicklung beschrieben. Dafür müsse die Linke daran arbeiten nötige Räume, Strukturen und Organisationsformen aufzubauen.
Gegenmacht braucht Organisation
Gegenmacht könne nur dort glaubwürdig existieren, wo sich Solidarität, Gleichheit und Freiheit auch in Umgangsformen, Milieus und Organisationskulturen niederschlagen. Spätestens hier wird Zeliks neues Buch auch für GewerkschafterInnen interessant, denn er fordert die Anwendung von schon lange in den USA und in jüngerer Zeit auch in Deutschland erprobten Organizing-Konzepten auf soziale Bewegungen und Gewerkschaften. Organizing bezeichnet den Ansatz, „Betroffene so anzusprechen, dass sie selbst Verantwortung übernehmen und ihre eigenen Forderungen entwickeln.“ Menschen sollen so ermutigt werden, „gemeinsam mit anderen eigene Positionen zu entwickeln.“
Dies sieht Zelik im Gegensatz zu gewerkschaftlichen Konzepten vergangener Jahre: „Geraume Zeit hatten sich Tarifauseinandersetzungen in den meisten Industriestaaten darauf beschränkt, dass Hauptamtliche SekretärInnen Kampfmaßnahmen planten, Beschäftigte zu Arbeitsniederlegungen aufriefen und stellvertretend für sie verhandelten.“ Der Mitgliederschwund in den Gewerkschaften habe jedoch vermehrt zu einem umdenken geführt. Zelik bezieht sich zusätzlich auf das Deep Organizing Konzept von Jane McAleveys: „McAlevey zufolge müssen gewerkschaftliche Kämpfe das Leben außerhalb des Betriebs, also das der Nachbarschaften und der Familien, viel stärker berücksichtigen. Zudem fordert sie eine radikale Demokratisierung der Auseinandersetzungen.“
Genau solche Fragen werden auch in der österreichischen Gewerkschaftsbewegung zunehmend zum Thema. Wenn die Gewerkschaften den Herausforderungen sowohl der Corona- als auch der post-Corona Ära begegnen wollen, müssen sie sich diesen Themen stellen. Wie können demokratisch Ziele gesetzt, Auseinandersetzungen geführt und Forderungen erreicht werden? Das alles sind lebenswichtige Fragen für die Gewerkschaften. Nach der Lektüre von „Wir Untoten des Kapitals“ kann die Antwort eigentlich nur lauten, dass die Gewerkschaften aktiver, lebendiger und demokratischer Teil sozialer Bewegungen sein müssen. Handlungsmacht wird nicht hergeschenkt, sie muss organisiert werden.
Raul Zelik
Wir Untoten des Kapitals – Über politische Monster und einen grünen Sozialismus
Suhrkamp Verlag 2020
18,50 Euro
ISBN: 978-3-518-12746-9