Schwangerschaft ist eindeutig mit dem Risiko eines schweren COVID-Verlaufes verbunden, sagt Mirijam Hall, Ärztin an einer geburtshilflichen Corona-Abteilung in Wien. Sie spricht sich dafür aus, dass schwangere Frauen als Risikogruppe definiert und in Kontaktberufen wie etwa dem Handel freigestellt werden.
KOMPETENZ: Die Klinik Ottakring ist seit Beginn der Pandemie das Schwerpunkt-Krankenhaus in Wien, wenn es um die Betreuung von COVID-19 erkrankten schwangeren Frauen geht. Wieviele Geburten hat es seitdem gegeben?
Mirijam Hall: In unserer Abteilung waren es rund 100 Frauen, die entbunden haben und weitere 20, die wir nach erfolgreicher Behandlung der Erkrankung schwanger wieder entlassen konnten.
KOMPETENZ: Wir haben mittlerweile ein Jahr Pandemie hinter uns. Was hat sich in dieser Zeit – vor allem wissenschaftlich – getan, um Schwangere besser betreuen zu können, wenn sie an COVID erkranken?
Mirijam Hall: Wir haben im vergangenen Jahr natürlich viel gelernt. Als wir im März 2020 zur COVID-Geburtshilfe wurden gab es gerade einmal eine Handvoll wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu Corona und Schwangerschaft. Damals wusste eigentlich niemand, was auf uns zukommt. Mittlerweile ist das anders und wir haben auch an unserer Abteilung viel zu diesem Thema wissenschaftlich gearbeitet.
KOMPETENZ: Welche Erkenntnisse haben Sie über die Monate gewonnen – speziell, wenn es um die Risiko-Einschätzung für schwangere Frauen geht?
„Von all jenen Patientinnen, die wir stationär betreut haben und die Krankheitssymptome gezeigt haben, mussten wir 18 Prozent auf die Intensivstation verlegen – also beinahe jede fünfte.“
Mirijam Hall
Mirijam Hall: Wir können das Risiko inzwischen besser einschätzen. Zu Beginn der Pandemie hat es geheißen, Schwangere hätten verglichen mit ihrer Altersgruppe kein erhöhtes Risiko. Inzwischen wissen wir aber: Schwangerschaft ist eindeutig mit dem Risiko eines schweren COVID-Verlaufes verbunden. Die Frauen haben zum Beispiel ein dreimal so hohes Risiko, auf eine Intensivstation zu müssen und ein dreimal höheres Risiko, eine Frühgeburt zu erleiden. Diese Zahlen sprechen für sich. Von all jenen Patientinnen, die wir stationär betreut haben und die Krankheitssymptome gezeigt haben, mussten wir 18 Prozent auf die Intensivstation verlegen – also beinahe jede fünfte. All das ist wirklich Grund genug, Schwangere endlich als Risikogruppe zu definieren und sich darum zu kümmern, dass diese Personengruppe besonders geschützt wird.
KOMPETENZ: Kennt man die Ursachen für die geschilderten Zusammenhänge?
Mirijam Hall: Soweit sind wir leider noch nicht. Natürlich funktioniert das Immunsystem in der Schwangerschaft anders, aber es gibt dazu noch keine abschließend klärenden Studien.
KOMPETENZ: Sie haben bereits angesprochen, dass es höchste Zeit wird, schwangere Frauen als Risikogruppe zu verankern. Gerade in Berufen mit starkem Kundenkontakt wie bei den Handelsangestellten wäre das wohl von besonderer Bedeutung. Wie sehen Sie das?
Mirijam Hall: Wir wissen mitterweile sehr gut, was vor einer Infektion schützt: Das ist zum einen das Tragen einer FFP2-Maske. Diese Maske ist per se für Schwangere nicht schädlich und sollte von Schwangeren auch getragen werden, wenn es geht. Allerdings darf man nicht vergessen, dass viele schwangere Frauen kurzatmig sind. Wenn ich in dieser Situation durch die Maske atmen muss, werde ich das also sicher nicht so lange durchhalten wie eine Person, die nicht schwanger ist. Zum anderen geht es um Kontaktreduktion. Das ist in einem Kontaktberuf wie dem Handel kaum möglich. Bleiben noch Abstand halten und Händehygiene – diese beiden Dinge gehen hoffentlich auch im Handel. Trotzdem: Unterm Strich muss man sagen, dass für eine Gruppe, die eine so hohe Zahl an schweren COVID-Verläufen hat, möglichst große Vorsichtsmaßnahmen zu definieren wären. International betrachtet haben das auch viele Länder schon gemacht.
„In den USA sind Schwangere in der Gruppe 1 der Hochrisiko-Personen. Damit verbunden ist auch der priorisierte Zugang zur Impfung, um sich zu schützen.“
Mirijam Hall
KOMPETENZ: Welche Beispiele können Sie nennen?
Mirijam Hall: In den USA sind Schwangere in der Gruppe 1 der Hochrisiko-Personen. Damit verbunden ist auch der priorisierte Zugang zur Impfung, um sich zu schützen. Auch Kanada und Japan haben reagiert, Großbritannien hat erst letzte Woche Schwangere im Zugang zur Impfung aufgrund ihres hohen Risikos priorisiert. Österreich sollte hier dringend nachziehen. Zumal wir ja nicht von 100.000en Menschen reden, sondern wahrscheinlich von einigen tausend Personen, die das betrifft.
KOMPETENZ: Wie hat sich eigentlich die 3. Welle in Ihrer Abteilung bemerkbar gemacht – sowohl was die PatientInnen als auch die Herausforderungen für die MitarbeiterInnen im Krankenhaus betrifft?
Mirijam Hall: Die Belastungen sind ähnlich wie im November des Vorjahres, bei der 2. Welle. Wir hatten jetzt wieder einen starken Anstieg von Fällen. Natürlich geht das auf die Substanz – psychisch und körperlich gleichermaßen. Gefühlt ist es jetzt so, dass die Verläufe etwas schwerer sind.
KOMPETENZ: Zusammengefasst bedeutet das: Es bräuchte eine neue Bewertung für die Gruppe der schwangeren Frauen hinsichtlich des Arbeitsschutzes, gerade in Kontaktberufen wie etwa dem Handel.
Mirijam Hall: Ganz genau. Diese Frauen müssen raus aus der Gefahrenzone.
KOMPETENZ: Außerdem wäre der Zugang zur Impfung dringend nötig.
Mirijam Hall: Ja. Dadurch, dass Schwangere in keiner Priorisierung berücksichtigt sind und sie von der Altersgruppe her die letzten sind, die dran kommen, haben sie momentan keine Chance, zu einer Impfung zu kommen. Natürlich bleibt es eine freiwillige Entscheidung, ob ich mich impfen lassen möchte oder nicht – aber wer sich schützen will, sollte die Möglichkeit dazu haben.
Zur Person:
Mirijam Hall ist Assistenzärztin an der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik Ottakring in Wien. Ihre Abteilung ist seit Beginn der Pandemie erste Anlaufstelle und Kompetenzzentrum für COVID-positive Schwangere. Gemeinsam mir Ihrer Abteilungsvorständin hat sie die wienweit gültige Handlungsempfehlung zu Corona in der Schwangerschaft erstellt und publiziert international wissenschaftliche Ergebnisse zum Thema.