„Der Sozialbereich braucht ausreichend Personal“

Eine Frau steht vor einem weißen Hintergrund und lächelt in die Kamera
Verena Feiel ist Sozialarbeiterin mit Leib und Seele. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, ist spürbar, dass sie liebt, was sie tut.
Foto: Privat

Die Sozialarbeiterin Verena Feiel arbeitet in der Steiermark sowohl als mobile sozialpsychiatrische Betreuerin für die Wohnplattform als auch für Psynot, das psychiatrische Krisentelefon.

Als Betriebsrätin setzt sie sich in beiden Unternehmen nicht nur für ihre Klient:innen, sondern auch die Anliegen der Beschäftigten ein. Sie warnt: weitere Einsparungen führen zu noch mehr Arbeitsverdichtung, wodurch noch mehr Mitarbeiter:innen ins Burnout rutschen.

Verena Feiel ist Sozialarbeiterin mit Leib und Seele. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, ist spürbar, dass sie liebt, was sie tut: für Menschen da zu sein, sie in Krisen zu unterstützen, ihnen aber auch eine langfristige Perspektive zu eröffnen und zu ermöglichen. Kurz nach der Matura war ihr noch nicht ganz klar, welchen Weg sie einschlagen sollte. Die Jobs und Praktika, die sie nach dem Schulabschluss annahm, wie eine Jugendgruppe zu leiten oder in einer integrativen Kinderbetreuung tätig zu sein, zeigten ihr aber nach und nach auf, was ihr Freude bereitete: „Ich arbeite gerne für Menschen.“ So fiel die Entscheidung, an der Fachhochschule Joanneum Graz „Soziale Arbeit und Sozialmanagement“ zu studieren.

„Wir sorgen für Entlastung und bemühen uns, dass Menschen in psychosozialen Notlagen nicht vollkommen in einer Krise landen. Im Idealfall vermitteln wir ihnen Hoffnung und geben einen Lichtblick, sodass sie eine Zukunft für sich sehen.“

Schon neben dem Studium stieg sie auch ins Berufsleben ein. Seit 2015 ist sie für einen ihrer beiden derzeitigen Arbeitgeber tätig: die Wohnplattform. Acht Jahre lang betreute sie in Kapfenberg psychisch erkrankte Menschen in einem Wohnhaus, in dem diese rund um die Uhr Hilfestellung erhalten. „In dem Haus lebten 15 Klient:innen, nachts und am Wochenende war man alleine im Dienst.“ Sie habe in dieser Zeit viel gelernt und das Gefühl gehabt, wertvolle Arbeit zu leisten, dennoch hätten sich auch ihre Bedürfnisse, vor allem was die Arbeitszeit betreffe, verändert. „Ich habe gemerkt, dass ich zwar in dem Bereich bleiben, aber etwas anderes machen möchte.“

Zu der Zeit entstand ein neues Projekt: ein psychiatrischer Notruf – Psynot. „Das klang super spannend.“ Hier konnte sie auch von Anfang an viele Arbeitsbedingungen selbst mitgestalten. Bei Psynot eröffnete sich ihr ein völlig anderes Arbeitsfeld: statt um Beziehungsarbeit ging es dort um Linderung in Akutsituationen. „Wir sorgen für Entlastung und bemühen uns, dass Menschen in psychosozialen Notlagen nicht vollkommen in einer Krise landen. Im Idealfall vermitteln wir ihnen Hoffnung und geben einen Lichtblick, sodass sie eine Zukunft für sich sehen.“

Jeder Tag ist anders

Feiel ist aber auch weiterhin für die Wohnplattform tätig, jetzt aber in einem anderen Feld. Sie ist nun Mitarbeiterin der Mobilen Sozialpsychiatrischen Betreuung in Graz. Dabei sucht sie ihre Klient:innen zu Hause auf, begleitet sie bei Ärzt:innen- und Ämterbesuchen. Dabei geht es darum, auszuloten, was die Betroffenen brauchen, um so lange als möglich selbstständig in den eigenen vier Wänden zu leben, aber auch, wenn nötig, in Entlastungsgesprächen ein bisschen Druck von den von ihnen betreuten Personen zu nehmen. Je nach Grunderkrankung, aber auch je nach Alter, sind die Bedürfnisse hier sehr unterschiedliche, schildert Feiel.

Ihr eigener Alltag ist so höchst abwechslungsreich. „Kein Tag gleicht dem anderen.“ Auch wenn sich manches gut planen lasse, brauche es auch viel Flexibilität. Arbeit mit Menschen bedeute, sich immer wieder auf neue und eben durchaus auch auf Krisensituationen einzustellen.

Für faire Entlohnung in der Sozialpsychiatrie kämpfen

Dazu kommt für Feiel seit 2018 auch die Betriebsratsarbeit. Seit damals gehört sie der Belegschaftsvertretung in der Wohnplattform an. 2023 gründete sie zudem den Betriebsrat bei den Psychosozialen Diensten (PSD) Steiermark mit – Psynot ist ein Projekt der PSD. Diesem Betriebsrat steht sie auch als Vorsitzende vor. Der betriebsrätliche Alltag habe ihr zudem gezeigt, dass sie sich auch gerne in die Kollektivvertragsverhandlungen einbringen würde. Seit dem Sommer 2024 kann sie das auch: seitdem gehört sie dem Bundesausschuss der GPA an und ist Teil des großen Verhandlungsteams des Kollektivvertrags der Sozialwirtschaft Österreich.

„Wenn man sich anschaut, was es für unsere Gesellschaft heißen würde, wenn wir alle unsere Arbeit nicht mehr machen – dann könnten wir Österreich zusperren.“

Was ihr dabei ein besonderes Anliegen ist: „Die Sozialpsychiatrie ist in diesen Gremien unterrepräsentiert – ich wollte diese Perspektive einbringen.“ Vielen sei nicht bewusst, dass es neben der klassischen Pflege auch noch andere Tätigkeiten gebe. Wichtig ist ihr aber auch, sich frauenpolitisch stark zu machen. „Über 70 Prozent der Mitarbeiter:innen im Sozialbereich sind Frauen. Und diese Bereiche sind immer noch geringer entlohnt als etwa Tätigkeiten in der Technik. Für mich ist klar, dass wir keinen Profit machen. Aber wenn man sich anschaut, was es für unsere Gesellschaft heißen würde, wenn wir alle unsere Arbeit nicht mehr machen – dann könnten wir Österreich zusperren. Die Krankenhäuser wären überfüllt, denn irgendwo müssten die Klient:innen ja versorgt werden. Privatpersonen müssten zu Hause bleiben, um ihre Angehörigen zu pflegen.“

Es gehe allerdings nicht nur um die Höhe der Entlohnung. „Es muss auch möglich sein, in diesen Berufen bis zum Pensionsantritt zu arbeiten.“ Hier stimmten die Rahmenbedingungen derzeit aber nicht.

Beschäftigte unter Druck

Einsparungen im Sozialbereich würden schon jetzt dazu führen, dass die Arbeitsverdichtung zunehme. Den hier Beschäftigten würden immer mehr Aufgaben übertragen, viele könnten das Arbeitstempo nicht über Jahre aufrecht erhalten – nicht wenige würden sich bereits im Alter von 40 Jahren fragen, wie sie es schaffen sollen, noch weitere 25 Jahre so weiterzuarbeiten. Andere beginnen spätestens mit 50 Stunden zu reduzieren, um noch irgendwie durchzuhalten. Das hat dann aber Auswirkungen auf die Absicherung im Alter – Stichwort: Pension. Dennoch nähmen die Fälle von Burnout zu. Vor zehn Jahren sei einer Umfrage in der Sozialwirtschaft zu Folge jede/r Vierte ausgebrannt gewesen, inzwischen sei jede/r Dritte Burnout-gefährdet. „Wir sehen das auch bei der Wohnplattform: es gibt so viele Langzeit-Krankenstände wie noch nie.“

Das führe dazu, dass die verbleibenden Mitarbeiter:innen einspringen müssen – teils über Monate. Es würde dann kein zusätzliches Personal aufgenommen. So spitzt sich auch für sie die Situation immer weiter zu. „Sie können dann zum Beispiel nicht auf Urlaub gehen – das ist ein Wahnsinn.“

„Es gibt so viele Langzeit-Krankenstände wie noch nie.“

Dazu kämen die ohnehin schon belastenden Tätigkeiten: bei Psynot etwa kämpfen die Mitarbeiter:innen damit, dass sie es immer wieder mit suizidgefährdeten Personen zu tun haben, die sich telefonisch melden – sie dann aber, nachdem sie die Blaulichtorganisationen verständigt haben, nicht wissen, wie es mit diesen Hilfesuchenden weiterging. Es gebe zwar Supervisionsangebote, dennoch führe das zu belastenden Situationen. Bei der Betreuung in Wohnhäusern komme es wiederum hin und wieder zu Gewalt, ebenso in der mobilen Begleitung. Hier kommen aber auch noch andere Faktoren dazu: im Sommer die Hitze, im Winter die Kälte. Aus Kostengründen würden viele Klient:innen ihre Wohnungen nicht heizen, um zu sparen, erzählt Feiel. Das spüren dann auch die Sozialarbeiter:innen, die sie aufsuchen.

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Wenn Feiel nun seitens der Steiermark, aber auch von anderen Ländern wie etwa Oberösterreich höre, dass gespart werden müsse, dann weiß sie: das führt über kurz oder lang zu noch mehr Arbeitsverdichtung. Meist würden dann nicht einzelne Mitarbeiter:innen gekündigt, sondern die Trägerorganisationen würden sich damit behelfen, die Stunden der Beschäftigten zu kürzen. Die Arbeit werde dadurch allerdings nicht weniger. Und der Druck auf den Einzelnen steige weiter.

Viele Schrauben, an denen gedreht werden könnte

Feiel fordert daher mehr Mittel für den Pflege- und Sozialbereich. „Der Sozialbereich braucht ausreichend Personal“. Hier sei die Politik gefragt. Nur mit mehr Ressourcen für die Trägerorganisationen könnten die hier Beschäftigten so arbeiten, dass sie dabei nicht ausbrennen und die Klient:innen bestmöglich betreuen.

Auf Kollektivvertragsebene setzt sie sich für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein. Derzeit wird in der Branche 37 Stunden bei Vollzeitbeschäftigung gearbeitet. Nur so könne langfristig erreicht werden, dass es Menschen überhaupt möglich ist, bis zum Pensionsantrittsalter von 65 Jahren zu arbeiten. Dazu beitragen könnte auch die sechste Urlaubswoche für alle.

Es gibt aber auch andere Schrauben, an denen gedreht werden müsste. Unzufriedenstellend sei derzeit die Abgeltung sogenannter Bereitschaftsstunden in der Vor-Ort-Betreuung psychisch Erkrankter, schildert sie. Von den Nachtstunden, welche die Mitarbeiter:innen in den Wohneinheiten verbringen, um bei Bedarf sofort zur Verfügung zu stehen, werden nur zwei Stunden grundsätzlich voll abgegolten und auch als Arbeitszeit anerkannt – der Rest nur dann, wenn tatsächlich Einsätze nachgewiesen werden können. So sind Betroffene oft weit mehr Stunden als ihre vertragliche Arbeitszeit am Arbeitsplatz, nur einige von diesen würden einfach nicht gezählt. Hier müsse es endlich zu einer Lösung kommen. Noch gebe es hier aber kein Modell, auf das sich die Sozialwirtschaft einigen konnte.

Sorge machen Feiel aber auch Einstufungsdifferenzen: bei Psynot seien im Team verschiedenste Professionen vertreten – von Sozialarbeiter:innen und Psycholog:innen bis hin zu Psychotherapeut:innen oder Sozialpädagog:innen. Alle verrichten hier dieselbe Arbeit „und haben auch die gleiche Verantwortung“ – neu Eintretende werden aber je nach Berufsabschluss unterschiedlich eingestuft und damit auch unterschiedlich bezahlt. Das sei nicht fair.

Viele Schrauben, an denen gedreht werden könnte

Ihren persönlichen Ausgleich findet Feiel im Garteln, in der Zeit mit ihren drei Katzen, aber auch bei jeder Menge Kulturgenuss von Theater und klassischen Konzerten bis hin zu elektronischer Musik. Ihren Kopf frei kriegen kann sie aber auch bei Unternehmungen mit Freund:innen und im Sport: Laufen, Klettern, Radfahren in der wärmeren Jahreszeit, Schitouren im Winter – Feiel ist auch in ihrer Freizeit umtriebig.

Die ganz große Freiheit spürt sie aber vor allem beim Tauchen: „Wenn ich dann in diese faszinierende Meeresfauna und -flora eintauche, dann fehlen mir die Worte und der Kopf ist ganz frei.“ Ein klein wenig plagt sie angesichts ihrer Flüge nach Südostasien zu diesen Tauchtripps allerdings das schlechte Gewissen – „weil ja, es ist ein zweischneidiges Schwert, klimapolitisch sind diese Flugreisen nicht vertretbar“. Ihr sei das aber bewusst und daher achte sie sonst auf ein möglichst klimaneutrales Leben: sie fahre nicht mit dem Auto, esse kein Fleisch, versuche regional einzukaufen und versuche, Plastik zu vermeiden. „Die Themen Umwelt- und Tierschutz sind mir auch sehr wichtig.“

Zur Person

Verena Feiel, geb. 1991 in Tamsweg/Salzburg, nach der Matura Bachelor- und Masterstudium Sozial Arbeit an der FH Joanneum Graz (Abschluss 2017). Seit 2013 im Sozialbereich tätig, derzeit als Sozialarbeiterin bei Psynot Psychiatrisches Krisentelefon Steiermark und für die Wohnplattform in der Mobilen Sozialpsychiatrischen Betreuung Graz tätig. Feiel ist Mitglied des Betriebsrats in beiden Unternehmen, jenem von Psynot steht sie seit dessen Gründung 2023 auch als Vorsitzende vor. Im Bundesausschuss der GPÖ verhandelt sie zudem den Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich mit und sie gehört dem Landesvorstand der GPA Steiermark sowie dem Bundesfrauenforum und dem Bundesforum der GPA an. Feiel lebt in Graz.

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