Die Industrie 4.0 hat den Menschen überholt. Sie sorgt für Stellenabbau, hilft aber zeitgleich auch dabei, Arbeitsplätze zu sichern.
Unaufhaltsam hat sich ein neuer Prozess der Automatisierung und Digitalisierung in den Produktionsstandorten und im Dienstleistungssektor eingeschlichen – die Industrie 4.0. Sie hat die Arbeit in den Fabriken neuerlich umgekrempelt. Der Mechanisierung (Dampfmaschine), Industrialisierung (Fließband) und der Automatisierung (Roboter) folgt nun die vierte Revolution – die Vernetzung der Produktion. Damit ist auch die Herstellung auf Nachfrage möglich: Das Produkt wird an die individuellen Wünsche des Kunden angepasst.
Christoph Scheiber, Angestelltenbetriebsratsvorsitzender bei Plansee, vertritt 950 KollegInnen. Gesamt arbeiten 2.200 Menschen am Standort Breitenwang/Reutte für das Werk im Tiroler Außerfern, das u. a. Wolfram-Bleche und Hochtemperatur-Metalle, Molybdän-Bleche und -Stäbe fertigt. Schon seit längerer Zeit werden hier technische Prozesse und Informationstechnologien miteinander verbunden. „Die Industrie 4.0 gibt es bei uns schon sehr lange, doch dies wurde lange nicht als solche wahrgenommen“, erklärt Scheiber. Erste Schritte dazu wurden schon vor beinahe zehn Jahren gesetzt. Neu ist hingegen: Die Maschinen können immer besser untereinander kommunizieren und noch besser in Prozesslinien aufgebaut werden. Ein bemerkenswerter Fortschritt, der allerdings Jobs kostet – „einfache“ Tätigkeiten in der Produktion wurden wegrationalisiert. „Diese Stellen werden sukzessive abgebaut. Bis jetzt lief das über die gewöhnlichen Fluktuationen und vorausschauende Personalplanung“, weiß der Angestelltenbetriebsratsvorsitzende. „Industrie 4.0 schafft hochintelligente Arbeitsplätze. Verlierer sind jene, die nicht in der Lage sind, hochwertige Arbeitstätigkeiten durchzuführen“, sagt Michael Zins, Angestelltenbetriebsrat der Hoerbiger Ventilwerke in Wien. Das Unternehmen investiert viel in die Digitalisierung, doch „wir verlieren auf der Strecke immer wieder Leute“, macht Zins deutlich. „Vor kurzem wurden die Fräsen mit Schnittstellen-Kästchen ausgestattet, die Daten an einen zentralen Server schicken.“ Noch weiß das Unternehmen nicht, welche nützlichen Erkenntnisse aus der nun entstehenden Datenmenge gezogen werden können – das könnte auch noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Ein guter Nebeneffekt der Datennutzung: „Die Daten dürfen nicht zur Überwachung der ArbeitnehmerInnen herangezogen werden, darüber haben wir eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen“, berichtet der Angestelltenbetriebsrat.
Beschäftigung bleibt im Land
Weiterentwicklung und das Lernen für ArbeitnehmerInnen wird immer wichtiger. „Bei der Industrie 4.0 sind besonders jene gefragt, die ein gutes Querschnittsdenken haben und auch teamfähig sind, da es auch um die Vernetzung von Informationen geht“, weiß Rudolf Wagner von der GPA-djp. „Industrie 4.0 ist kein Schicksal, wo man warten muss, was passiert – sie sollte mitgestaltet werden können.“ Auch Christoph Scheiber von Plansee sieht durchaus positive Aspekte in der Industrie 4.0: „Aus unserer Sicht wird der Druck, Produktionen in Billig-Länder zu verlagern, eher sinken. Denn die einfachen Arbeiten werden von den Maschinen übernommen.“ Ein wichtiger Kostenfaktor fällt damit weg. Außerdem können vollautomatische Linien dem Druck aus Billig-Lohnländern deutlich besser standhalten. Das wiederum birgt Chancen auf nachhaltige Investitionen für das längere Bestehen eines Standortes. Digitalisierung kann qualifizierte Beschäftigung absichern und verhindern, dass weitere Standorte schließen.
Investition in Bildung
Beatrix Zivojevic-Lampelmayr ist Betriebsratsvorsitzende der Angestellten im BMW Werk Steyr. „Wir sind das weltweit größte Motorenwerk und Dieselkompetenzzentrum des Konzerns und haben heute mit rund 4.400 MitarbeiterInnen den höchsten Be-schäftigungsstand seit Bestehen des Werkes.“ Nicht nur im indirekten Bereich werden die Arbeitsabläufe zunehmend digitaler und flexibler und verändern die Geschäftsprozesse. Auch im Produktionsbereich sollen in Zukunft vermehrt intelligente Mensch-Roboter-Systeme die Arbeit optimal unterstützen. Investitionen in Bildung und in Weiterbildung werden daher einen noch höheren Stellenwert einnehmen, als das bis jetzt schon der Fall war. „Dabei gilt es, das Fachwissen des hochqualifizierten Personals mit neuen Kompetenzen für ein vernetztes internes Zusammenwirken zu verknüpfen“, erklärt Zivojevic-Lampelmayr.
Nicht nur die klassische Arbeit in der Fabrikshalle, sondern auch Bürotätigkeiten werden zunehmend von Maschinen erledigt. Betroffen sind dadurch einfache Angestellten-Tätigkeiten, die durch intelligente EDV-Systeme wegrationalisiert werden: u. a. Buchhaltungseingaben oder Reisekostenabrechnungen, die über den Systemablauf automatisiert werden. Die Tendenz ist vorgezeichnet: Hochspezialisierte ExpertInnen leisten immer mehr Arbeit.
Die GPA-djp ist um Fairness bemüht. Rudolf Wagner: „Im Zuge der Digitalisierung muss auch die Arbeit gerecht verteilt werden.“ Einerseits werden Arbeitskräfte in Unternehmen abgebaut, andererseits müssen jene, die ihren Job behalten, immer mehr und in immer dichteren Rhythmen arbeiten. Deshalb muss die Arbeitszeit verkürzt werden. „Auch müssen ArbeitnehmerInnen, die ihren Job verlieren, unterstützt und geschult werden, um fit für die Zukunft zu sein.“ Diese Weiterbildungsformen sollten nicht nur vom AMS, sondern auch von den Unternehmen finanziert werden. Die GPA-djp tritt dafür ein, dass die Digitalisierungsgewinne in Form einer Digitalisierungsdividende fair verteilt und in gesellschaftlich sinnvolle Bereiche investiert werden: Unternehmen, die sehr hohe Produktionsgewinne haben, aber zeitgleich Beschäftigung abbauen, sollen höhere Steuern zahlen. „Es darf kein Nachteil sein, wenn Menschen beschäftigt werden.“