Europas ArbeitnehmerInnen haben von der EU-Präsidentschaft Österreichs bis Dezember 2018 nicht viel Positives zu erwarten. Bleibt eine soziale Trendwende aus, ist die Union in Gefahr.
Von den 29 reichsten Ländern der Welt liegen 14 in Europa, hat das Global-Finance-Institut erhoben. Darunter auch Österreich. Den Wohlstand erwirtschaften in erster Linie die Arbeitskräfte, sobald Unternehmen – attraktive – Jobs schaffen. Was haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom EU-Ratsvorsitz zu erwarten, den Österreich turnusmäßig seit Juli ausübt?
Digitalisierung
Die Digitalisierung ist ein Themenschwerpunkt der derzeitigen EU-Präsidentschaft. Die Bundesregierung will dabei den Fokus auf plattformbasiertes Arbeiten lenken, heißt es im 72 Seiten dicken Programm, ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Im Zentrum des Phänomens stehen Onlineplattformen, über die zunehmend Güter und Dienstleistungen vermittelt werden.
Dank eines entsprechenden Vorschlages der EU-Kommission stehen „transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen“ ebenso auf der offiziellen To-do-Liste des EU-Vorsitzes bis Dezember 2018 wie die Dauerbrenner Gleichbehandlung und bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben. Österreich vermittelt den 27 EU-Partnern allerdings nicht den Eindruck, dass eine bessere Vereinbarkeit wichtig wäre, nachdem die Flexibilisierung der Arbeitszeit im Eiltempo beschlossen wurde und im Budget keine Mittel zum weiteren Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen vorgesehen sind. Ein weiteres Thema ist der bessere Zugang zum Sozialschutz für Selbstständige und Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Dazu heißt es wörtlich: „Veränderungen der Arbeitsverfahren, der Beschäftigungsstrukturen und der Arbeitsorganisation führen zu neuen Gesundheitsrisiken für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Krebs ist die häufigste arbeitsbedingte Todesursache in der EU.“ Deshalb möchte Österreich das EU-Rahmengesetz (Richtlinie) über die Karzinogene abschließen. Die Work-Life-Balance findet jedoch keinerlei Erwähnung. „Während wir in der EU Gesetzesvorschläge für Work-Life-Balance verhandeln, damit es mehr Zeit für die Familie gibt“, kritisiert etwa die EU-Abgeordnete und Gewerkschafterin Evelyn Regner, boxe die Kurz-Strache-Regierung die 60-Stunden-Woche gegen massiven Widerstand durch. „Das passt nicht zusammen.“
Menschen in Europa sozial schützen
Das Motto der Ratspräsidentschaft lautet: „Ein Europa, das schützt.“ Dabei dürfe es aber nicht nur um die Außengrenzen gehen. „Wir müssen Europa auch sozial schützen. Das heißt: gute Jobs, faire Löhne und voller Einsatz beim Kampf gegen Steuer- und Lohn-
dumping. Es liegen fast 200 Gesetzesvorschläge unbearbeitet bei den Staats- und Regierungschefs, die jetzt abgearbeitet werden müssen. Das sind Vorschläge für Steuergerechtigkeit, wie die öffentliche länderweise Berichterstattung von Konzernen und eine EU-Körperschaftssteuer“, erklärt die EU-Parlamentarierin. Aus österreichischer Sicht vermisst Regner zudem mehr Engagement der Bundesregierung, die auf EU-Ebene geplante Arbeitsmarktbehörde etwa in Wien anzusiedeln. Sie soll – auf Vorschlag der Europäischen Kommission, die den Gemeinschaftsinteressen verpflichtet ist – einschreiten, wenn bei aus anderen EU-Ländern entsendeten Arbeitskräften Sozialabgaben nicht geleistet oder zu niedrige Löhne bezahlt werden. Bulgarien und Schweden haben ebenfalls Interesse daran gezeigt, die Einrichtung zu beherbergen. „Wenn die österreichische Bundesregierung in ihrem Programm für den EU-Ratsvorsitz von einem ‚Europa, das schützt‘ spricht, meint sie damit zwei Dinge: erstens den Schutz der Grenzen vor Migration und zweitens Schützen der Konzerne vor staatlicher Regulierung. Diese Prioritäten gehen an den eigentlichen Herausforderungen für Europa vorbei. Es braucht eine EU, die die ArbeitnehmerInnen schützt“, kritisiert Sophia Reisecker, Leiterin der Abteilung „Europa, Konzerne, internationale Beziehungen“ in der GPA-djp. „Zu Recht macht sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Gedanken über die Zukunft Europas. Die Probleme werden aber nicht durch mehr Grenzzäune gelöst, denn sie liegen tief innerhalb der EU selbst. Es ist der EU nicht gelungen, ihr Wohlstandsversprechen einzulösen. Das Vertrauen der Bevölkerung sinkt – auch deswegen, weil kein wirklicher Aufwärtstrend bei sozialen Schutz- und Sicherungsinstrumenten für die Menschen erkennbar ist“, erläutert Reisecker.
Vorbild Österreich
Aus Sicht der ArbeitnehmervertreterInnen hatte Österreich bisher Vorbild-Charakter in Fragen der Sozialpartnerschaft, des Gesundheitswesens oder des ArbeitnehmerInnenschutzes. „Genau Österreich müsste im Zuge des Ratsvorsitzes Akzente für ein soziales Europa schaffen“, so Reisecker. „Beispielsweise muss die europäische Säule sozialer Rechte implementiert werden, und es braucht dringend Bewegung bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Der Blick auf die digitale Agenda der EU darf nicht rein technisch geprägt sein, sondern muss den Menschen im Fokus haben und klare Rahmenbedingungen für Beschäftigte entwickeln.“
Monika Vana, Europa-Parlamentarierin der Grünen, meint auf Anfrage sogar: „Die schwarz-blaue Regierung hätte während der Ratspräsidentschaft die seltene Chance, mutige Reformen für Österreich und die EU auf den Weg zu bringen. Leider werden Chancen nicht nur verpasst, ÖVP und FPÖ sind auch eine Gefahr für den Zusammenhalt Europas. Die soziale Dimension fehlt komplett im Programm der Ratspräsidentschaft. Schwarz-Blau will keine Sozialunion, sondern Sozialabbau. Das Motto der Ratspräsidentschaft lautet „ein Europa, das schützt“. Schutz bezieht sich aber nur auf Migration. Kein Wort von Schutz vor Armut, Arbeitslosigkeit, Sozialdumping oder den Auswirkungen des Klimawandels. Wenn nicht schnell Maßnahmen wie etwa europaweite Mindestlöhne eingeführt werden, um Wohlstand und soziale Sicherheit zu garantieren, ist die EU ernsthaft in Gefahr.“
Prinzip Gleicher Lohn gescheitert
Jüngstes Beispiel: Das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ etwa für die Lkw-FahrerInnen konnte sich im Europäischen Parlament nicht mehrheitlich durchsetzen. Aufgrund der konservativen Fraktion, der auch die ÖVP angehört, berichtet Evelyn Regner als sozialdemokratische Chefverhandlerin. Die Verhandlungen im Verkehrsausschuss gehen daher weiter Zum Jahreswechsel wird Österreich die EU-Ratspräsidentschaft an Rumänien weitergeben.